Menschen gehen in Moskau (Russland) vor dem Erlöserturm über den Roten Platz.
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Einflussnahme in Europa Ein russischer Influencer für AfD und Puigdemont

Stand: 17.06.2024 05:00 Uhr

In Ermittlungen um mögliche russische Einflussnahme auf katalanische Separatisten taucht mehrfach ein bekannter russischer Journalist und Blogger auf. Nach SWR-Recherchen hatte dieser auch Kontakte zur AfD.

Seit Jahren befassen sich spanische Behörden mit den mutmaßlichen Verbindungen der katalanischen Separatisten zu Russland. Seit einigen Monaten beschäftigen sie sich auch mit deren Verbindungen zu rechten Kreisen in Europa. Nach neuen SWR-Recherchen gibt es zwei Fotos, die Spuren sowohl nach Russland als auch nach Deutschland aufweisen.

Eines der Fotos zeigt eine Gruppe von AfD-Abgeordneten bei ihrer Reise zu der von Russland besetzten Krim im Jahr 2018. Die Bundesregierung kritisierte den Besuch damals scharf, die Ukraine drohte den Teilnehmern mit strafrechtlichen Konsequenzen. Organisator der Reise sei der damalige AfD-Landtagsabgeordnete Roger Beckamp gewesen, sagte ein Pressesprecher der NRW-Landtagsfraktion dem SWR. Laut Medienberichten sagte Roger Beckamp damals in einem TV-Interview, die Krim sei nicht von den Russen besetzt, vielmehr sei sie jetzt wieder Teil Russlands.

Wer ist Edvard Chesnokov?

Beckamp, der inzwischen für die AfD im Bundestag sitzt, wollte sich auf Anfrage weder an das Foto erinnern, noch an den Namen der ihm angeblich unbekannten Person am Tisch: Edvard Chesnokov. Der AfD-Bundestagsabgeordnete Eugen Schmidt, der auf dem Foto im Hintergrund eine AfD-Fahne hält, erinnert sich jedoch an den Mann. "Er war zu diesem Zeitpunkt Journalist bei der Komsomolskaja Prawda", sagte Schmidt dem SWR. Die regierungsnahe Boulevardzeitung, auch "Lieblingszeitung" Putins genannt, ist das reichweitenstärkste Blatt in Russland.

Chesnokov ist auch als Radio-Host und Blogger unterwegs. Auf seinem Telegram-Kanal mit mehr als 14.000 Followern beschäftigt er sich intensiv mit der deutschen Innenpolitik. Nach dem gemeinsamen Foto mit den AfD-Vertretern und kurz vor den Landtagswahlen in Bayern und Hessen ging ein Video von Chesnokov auf Telegram viral. Darin fordert er, untermalt mit dramatischer Musik, deutsche und deutschrussische Wähler zur Wahl der AfD auf, um einen angeblich drohenden Krieg zwischen Russland und Deutschland zu verhindern.

Im Mai 2022 kündigte Chesnokov die heutige fraktionslose Hamburger AfD-Bürgerschaftsabgeordnete Olga Petersen als Gastrednerin einer Veranstaltung an. Bei dieser ging es um seine Kandidatur bei den russischen Vorwahlen als Abgeordneter der Regierungspartei Einiges Russland.

Konfrontiert mit dem Foto, das ihn mit den AfD-Abgeordneten zeigt, antwortete Chesnokov dem SWR schriftlich, es sei in einem Café am Flughafen Scheremetjewo in Moskau entstanden. Anlass: ein Interview mit den AfD-Abgeordneten zu ihrer Reise. "Stellen Sie sich eine ähnliche Situation vor: 1990 kommt eine russische Delegation nach Ost-Berlin, um die Wiedervereinigung Deutschlands zu beobachten - die gleiche Wiedervereinigung, die die Krim 2014 mit Russland erlebt hat - würden Sie diese Delegation abweisen oder sie willkommen heißen und darüber berichten?", heißt es in seiner Stellungnahme.

Auf der Agenda: Unabhängigkeit Kataloniens

Ganz oben auf Chesnokovs Agenda steht offenbar auch die Unabhängigkeit Kataloniens. Auf der Profilseite des Online-Auftritts seiner Zeitung nennt Chesnokov als seine wichtigste journalistische Leistung, dass er 2019 der erste russische Journalist gewesen sei, der den katalanischen Separatistenführer Carles Puigdemont nach dessen Flucht ins Exil nach Belgien interviewt habe.

Puigdemont selbst schrieb später in der Komsomolskaja Prawda über das Ziel der katalanischen Unabhängigkeit. Umgekehrt veröffentlichte Chesnokov mehr als 20 Artikel in der katalanisch-sprachigen Zeitung El Punt Avui.

Nur zwei Tage vor dem Überfall Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 schrieb Chesnokov zur Situation in der Ostukraine: "Nach dem nationalistischen Putsch in der Ukraine im Jahr 2014 erklärten die Regionen Donezk und Luhansk, in denen früher ethnische Russen lebten, nach einer Reihe bewaffneter Auseinandersetzungen ihre Unabhängigkeit." Grundlage für diesen "Unabhängigkeitsakt" sei ein Referendum ähnlich dem der katalanischen Separatisten im Jahr 2017 gewesen.

Brisante Chats

Aus Dokumenten, in die der SWR Einblick erhielt, geht hervor, dass spanische Ermittler in Chats zwischen engen Beratern von Puigdemont auf den Namen Chesnokov stießen - für die Separatisten offenbar ein wichtiger Kontakt, um sich die Unterstützung der Russen zu sichern. Die Berater von Puigdemont einigten sich demnach darauf, Puigdemont zu briefen, die Linie der russischen Führung konsequent zu verfolgen. Themen wie die Sanktionen gegen Russland müssten vermieden werden. Es gelte, die Russen, die die Berater als "Freunde" bezeichnen, nicht zu verärgern.

Auch ein geplantes Interview mit Puigdemont in der Zeitung Komsomolskaja Prawda wurde in den Chats diskutiert. Ein Berater des Separatistenführers hob hervor, dass Chesnokov "sein Journalist" in Moskau sei, mit einer besonders großen Reichweite. Chesnokov erklärte dazu dem SWR, er habe Puigdemont nie persönlich getroffen oder direkt mit ihm kommuniziert. Er sei selbst auch nie in Barcelona oder Brüssel gewesen. Das Interview sei via E-Mail zustande gekommen.

Die spanischen Ermittler beschäftigt noch ein weiteres Foto, auf dem Chesnokov zu sehen ist. Nach dessen eigenen Angaben entstand es im Frühjahr 2019 in Moskau bei einem Vortrag an einer Universität. Den Vortrag hielt ein enger Berater von Puigdemont. Auf dem Foto sitzt er zwischen Chesnokov und einem russischen Geschäftsmann aus Barcelona. Spanischen Sicherheitsbehörden zufolge hatte dieser Mann Kontakt zu einem russischen Geheimdienst. Chesnokov selbst beschrieb dem SWR die Rolle des Geschäftsmanns so: "Er hilft dabei, Schulden legal wieder einzutreiben."

Einsatz von Journalisten als Teil der russischen Strategie?

Spanische Sicherheitsbehörden sehen es laut internen Dokumenten, die der SWR einsehen konnte, allerdings als erwiesen an, dass der russische Geschäftsmann ein russischer Spion ist - mit Kontakten zur russischen organisierten Kriminalität. Der Geschäftsmann selbst stritt die Vorwürfe auf SWR-Anfrage ab.

Gerhard Conrad ist ehemaliger BND-Agent und war zuletzt Direktor der INCENT, dem EU Intelligence Analysis Centre. Er schließt nicht aus, dass russische Geheimdienstler Journalisten gezielt für ihre Zwecke einsetzen. Dem SWR sagte er: "Die Nutzung einer Journalisten-Legende bietet sich nachrichtendienstlich operativ allein schon aus dem Grund an, dass diese beruflich gehalten sind, Kontakte anzuknüpfen." Chesnokov stritt jede Verbindung zu russischen Geheimdiensten ab: "Das ist eine lächerliche Täuschung, die auf jemandes Paranoia beruht."

Ende der Ermittlungen droht

Welche Rolle Russland genau bei der Unabhängigkeitserklärung gespielt hat, würden die spanischen Ermittler gern weiter klären. Doch mit dem Amnestiegesetz für katalanische Separatisten, das der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez im Parlament zur Sicherung seines linken Regierungsbündnisses durchgesetzt hat, könnten die Ermittlungen bald schon eingestellt werden, fürchten Kritiker.

Ein Sprecher der Bürgerplattform für richterliche Unabhängigkeit (PCIJ) sagt dem SWR: "Das Amnestiegesetz verstößt gegen die grundlegendsten Prinzipien unseres Verfassungssystems. Es handelt sich um einen illegalen Tausch von Straflosigkeit im Tausch gegen Stimmen."

Geheimdienstexperten warnen, Russland könne sich durch das Gesetz bestärkt fühlen, auch künftig auf Operationen wie die mutmaßliche Einflussnahme auf katalanische Separatisten zu setzen.

EVP-Chef kritisiert spanisches Amnestiegesetz

Das spanische Amnestiegesetz sieht man auch in Brüssel mit Sorge. Der Vorsitzende der EVP-Fraktion, Manfred Weber, fordert im Interview mit dem SWR, die EU-Kommission müsse dieses ernstnehmen: "Amnestie sollte in einem Rechtsstaat [...] nie als Teil eines Machtspiels erfolgen, sondern auf juristischen Abwägungen basiert sein." Es gebe genügend Hinweise "für die Verbindungen zwischen der Partei von Carles Puigdemont und dem russischen FSB, ehemals KGB, die von den spanischen Gerichten untersucht werden." Katalonien sei Teil einer umfassenderen russischen Strategie zur Destabilisierung in der EU.

Die spanische Regierung ließ eine SWR-Anfrage zur Kritik an ihrem Amnestiegesetz unbeantwortet. Beobachter rechnen damit, dass der Sieg der EVP bei den Europawahlen den sozialistischen Ministerpräsidenten Sánchez nun unter Druck setzen könnte.

Separatistenführer Puigdemont und sein Berater nahmen zu Fragen des SWR nach Verbindungen zur AfD und dem russischen Journalisten Chesnokov nicht Stellung.