Polizisten vor der Kirche Santa Maria Draperis in Istanbul
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IS-Ableger Terrorgruppe ISPK - Drehscheibe Istanbul

Stand: 28.07.2024 13:54 Uhr

Am Dienstag beginnt der Prozess gegen mutmaßliche Mitglieder der Terrorgruppe ISPK. Sie sollen Anschläge in Deutschland vorbereitet haben. Recherchen von SWR und BR zeigen, wie stark Europa ins Visier des IS-Ablegers gerückt ist - und welche Rolle die Türkei spielt.

Von Ahmet Şenyurt, SWR, und Katharina Willinger, BR

Sie sollen Terroranschläge in Deutschland und ganz Europa vorbereitet haben und stehen dafür ab Dienstag vor Gericht. Dann beginnt in Düsseldorf der Prozess gegen sieben mutmaßliche Mitglieder des IS Khorasan (ISPK). Die überwiegend aus Tadschikistan stammenden Angeklagten stehen außerdem im Verdacht, Terrorismusfinanzierung betrieben zu haben. Dafür sollen sie sich auch in Deutschland ein weit verzweigtes Netzwerk aufgebaut haben.

Den Ermittlungen zufolge sollen die in Deutschland eingenommenen Gelder über Finanzdienstleister wie Western Union oder Moneygram nach Istanbul transferiert worden sein. Einige der Beschuldigten sollen nach Recherchen von BR und SWR mit Diebesgut gehandelt und es in die Türkei geschmuggelt haben, um es dort weiterzuverkaufen. Die Erlöse aus diesen kriminellen Aktivitäten sollen direkt in die Kassen des IS und seines Ablegers Khorasan geflossen sein.

Verbindungen zwischen Deutschland und der Türkei

Aus türkischen Ermittlungsakten geht hervor, dass mit den Geldern gefälschte Reisedokumente für Kämpfer finanziert und Unterstützungsleistungen für IS-Familien im syrischen Gefangenenlager Al-Hol erbracht wurden. Ein besonders brisantes Detail, das die Recherchen des SWR belegen, betrifft die verwandtschaftlichen Beziehungen eines der Angeklagten in Deutschland zu seinem Bruder in Istanbul.

Gegen ihn wurde wegen IS-Mitgliedschaft in Istanbul ermittelt. Diese familiären Verbindungen unterstreichen die enge Vernetzung des IS und seines neuen Ablegers Khorasan, auch über Landesgrenzen hinweg. Istanbul gilt heute als Drehscheibe des IS und seines Ablegers Khorasan.

Aus Ermittlungsunterlagen, die SWR und BR vorliegen, geht zudem hervor, dass der Emir, also der Befehlshaber des IS in der Türkei, in telefonischem Kontakt mit dem Anführer der Gruppe in Deutschland gestanden hat. Diese direkte Verbindung verdeutlicht die enge Kooperation und Koordination zwischen den verschiedenen Terrorzellen.

Blutiger Anschlag in Istanbul

Die Beschuldigten in Deutschland und Istanbul haben enge Verbindungen nicht nur in die Türkei, sondern auch in die Ukraine, nach Russland und Tadschikistan. Die Beschuldigten sollen über Russland und die Ukraine nach Deutschland eingereist sein, ein weiterer Hinweis auf die weit verzweigten und gut organisierten Fluchtrouten des Terrornetzwerks.

Die Beschuldigten in Deutschland sollen unter anderem die Attentäter in der Istanbuler Marienkirche finanziert haben. Im Januar stürmten zwei bewaffnete Männer während des Sonntagsgottesdienstes in die Kirche, erschossen einen Mann und verletzten mehrere Personen, bevor ihre Waffen blockierten und sie flüchteten. Die mutmaßlichen Angreifer wurden gefasst und als Mitglieder der IS Khorasan identifiziert.

Einblick in die Strukturen

Der türkische Anwalt und IS-Experte Onur Güler sieht in dem Anschlag einen Wendepunkt: "Zum ersten Mal konnte diese Gruppe einen geplanten Anschlag durchführen, ohne dass er rechtzeitig verhindert wurde." Güler hat zahlreiche IS-Mitglieder vor türkischen Gerichten vertreten und beobachtet eine zunehmende Radikalisierung vor allem unter Tadschiken, die viele Funktionäre des IS Khorasan stellen.

In den von ultrareligiösen Türken bewohnten Vierteln in Istanbul fallen die Mitglieder kaum auf. Viele von ihnen kommen aus Turkstaaten wie Turkmenistan, Usbekistan und Tadschikistan, aus denen bisher viele Gastarbeiter ohne Visum in die Türkei einwandern konnten.

Hediye Levent, eine Journalistin, die seit vielen Jahren über dschihadistische Gruppen recherchiert, bestätigt, dass der IS Khorasan in der Türkei gut organisiert ist. "Laut Gerichtsakten gibt es in Istanbul eine Organisation, die die Ankunft dieser Menschen organisiert. Sie besorgt ihnen Unterkünfte, gibt ihnen Arbeit und Geld", berichtet Levent.

Schwächen im türkischen Justizsystem

In den vergangenen Monaten hat die türkische Polizei groß angelegte Razzien durchgeführt und mehr als 3.000 IS-Mitglieder festgenommen. Doch zu Verurteilungen kommt es nur selten. "Meiner Erfahrung nach werden 70 bis 80 Prozent freigesprochen. Sie kommen in Abschiebezentren oder werden einfach freigelassen, weil es meist an konkreten Beweisen fehlt", erklärt Güler.

In Istanbul betreibe die Gruppe eine Art Internat, in dem mehr als 70 Jungen unterrichtet werden. Mittlerweile ist die Einrichtung geschlossen, gegen die Betreiber läuft ein Prozess. Die Kinder sollen aus dem IS-Gefangenenlager Al-Hol in Nordsyrien stammen, in dem Angehörige und Waisen getöteter IS-Kämpfer interniert sind. Trotz strenger Bewachung durch kurdische Militäreinheiten gelingt es dem IS Khorasan offenbar, IS-Mitglieder und Waisen in die Türkei zu bringen.

Neue Bedrohungen für Europa

Die Ermittlungen der türkischen Generalstaatsanwaltschaft führen immer wieder nach Deutschland. In Nordrhein-Westfalen nahm die Polizei im Sommer 2023 sieben Männer fest, die ab Dienstag vor Gericht stehen. Sie sollen in Europa Spendengelder gesammelt und Anschlagsziele ausgekundschaftet haben. Die gesammelten Spendengelder sollen nach Istanbul transferiert worden sein, um weitere Anschläge unter anderem auf Kirchen, Konsulate und Synagogen zu finanzieren.

Trotz verstärkter Sicherheitsmaßnahmen in der Türkei bleibt die Bedrohung bestehen. "Solche Organisationen langfristig unter Kontrolle zu halten, ist nicht einfach. Es ist, als würde man einen Skorpion in der Tasche tragen", warnt Levent.

Die Bedrohung durch den IS Khorasan ist groß, nicht nur für die Türkei, sondern für ganz Europa. Der IS hat Anschläge auf dem gesamten Kontinent geplant - zwei Monate nach dem Anschlag auf die Kirche in Istanbul griff der IS Khorasan in Moskau das "Krokus Rathaus" an und tötete 143 Menschen.

Wenn der Prozess gegen die sieben Männer beginnt, wird sicherlich auch ihr weit verzweigtes Netzwerk in Deutschland, der Ukraine, der Türkei und Tadschikistan im Mittelpunkt stehen. Der Verteidiger eines der Angeklagten weist die Vorwürfe des Generalbundesanwalts zurück. Die Vorwürfe träfen nicht zu. Und eine etwaige Bekanntschaft zu Mitbeschuldigten stelle kein Beweis für die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung dar.

Mitarbeit: Sami Menteş und Joseph Röhmel

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Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete der Weltspiegel am 28. Juli 2024 um 18:30 Uhr.