Anschlag in Kabul Wer ist der IS-Ableger Khorasan?
Der IS-Ableger Khorasan, der den Anschlag von Kabul für sich reklamiert, ist für Hunderte Attentate in Afghanistan verantwortlich. Sein Arm reichte aber auch bis nach Deutschland.
Es war ein Anschlag mit Ansage. Der Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden hatte bereits vor Tagen vor einem Anschlag in Kabul gewarnt: Die Gefahr sei real und akut. Und mit dem sogenannten Islamischen Staat (IS) wurde auch bereits der Urheber beim Namen genannt.
Gestern nun bewahrheiteten sich diese Warnungen. Und mit dem regionalen Ableger "IS Koharasan" oder "IS Provinz Khorasan" reklamierte die Terrororganisation den Anschlag nach kurzer Zeit für sich.
Regionale Ableger für ein globales Kalifat
Der IS-Ableger bildete sich vor rund sechs Jahren als eine von zahlreichen regionalen Gruppen, die dem IS-Anführer, damals noch Abu Bakr al Bagdadi, die Treue schworen. Sie entstanden nach Aufkommen des IS im Kerngebiet in Syrien und Irak nicht aus dem Nichts, wie Lars Berger, Professor für Terrorismusforschung an der Hochschule des Bundes, erklärt. IS-Vertreter aus dem Kerngebiet, die ein globales Kalifat anstreben, seien in die Region gereist mit der Absicht, weitere Ableger zu gründen.
So schlossen sich ehemalige Kämpfer der pakistanischen Taliban (auch bekannt als Tehrik-e Taleban Pakistan) und des Haqqani-Netzwerks, aber auch IS-Kämpfer aus anderen Teilen der Welt, dem IS Khorasan an. Die Bezeichnung bezieht sich auf die historische Region Khorasan in Zentralasien, die nicht nur Afghanistan, sondern auch Teile Pakistans, Irans, Usbekistans Tadschikistans und Turkmenistans umfasst.
Anweisungen aus dem Untergrund
Die ersten Führer der IS-Provinz Khorasan wurden alle in kurzer Abfolge durch US-amerikanische Militärschläge getötet. Der IS-Ableger erhält offenbar bis heute nach Informationen des ARD-Hauptstadtstudios immer wieder Anweisungen aus der "Zentrale" des IS, die seit dem Verlust des Territoriums aus dem Untergrund operiert.
Allerdings handelt es sich dabei wohl um Weisungen grundsätzlicher Art und nicht um eine enge Anbindung. Direkte Befehle brauche es dabei auch gar nicht, meint Lars Berger. Das gemeinsame Ziel, Anschläge mit brutalsten Mitteln durchzuführen und das Ganze mit dem Kürzel IS zu framen, reiche schon aus, um für den IS einen Erfolg zu verbuchen, nachdem er in seinem Kerngebiet in Syrien und im Irak militärisch besiegt wurde.
Verantwortlich für Hunderte Anschläge
Dem IS-Ableger werden rund 1000 Personen zugerechnet. In den vergangenen Jahren verübte der IS in Afghanistan Hunderte Anschläge, vor allem auch gegen lokale afghanische Autoritäten und gegen die afghanischen Sicherheitskräfte, in den letzten Wochen beispielsweise in Kabul, Herat oder Dschalalabad.
Mit dem Anschlag gestern in Kabul traf der IS nicht nur die Amerikaner, sondern auch die Taliban. Taliban und IS sind verfeindet: Für den IS sind die Taliban nicht radikal genug und werden deshalb von ihm bekämpft. Ein weiterer Akteur in der Region ist Al Kaida: Auch diese Terrororganisation operiert weiterhin in Afghanistan und steht in einem Spannungs- und Wettbewerbsverhältnis sowohl zum IS als auch zu den Taliban.
Tatsächlich sieht es danach aus, dass die Taliban aktuell kein Interesse daran haben, dass von Afghanistan aus Terror "exportiert" wird, um die Konsolidierung ihrer Machtübernahme in Afghanistan nicht durch neuerliche westliche Interventionen zu gefährden.
Auch in Deutschland aktiv
Dabei reichte der Arm des IS-Ablegers Khorasan bereits bis nach Deutschland: Eine mutmaßliche IS-Zelle, die in Düsseldorf vor dem Oberlandesgericht angeklagt ist, wurde nach Überzeugung der Bundesanwaltschaft sowohl von der IS-Zentrale, aber insbesondere auch vom IS-Ableger in Afghanistan radikalisiert und gesteuert.
Fünf Männer tadschikischer Abstammung wurden im April vergangenen Jahres in Nordrhein-Westfalen durch Spezialkräfte festgenommen. Der Generalbundesanwalt wirft ihnen vor, im Januar 2019 eine Terrorzelle gegründet, Anschläge in Deutschland geplant und Geld für den IS-Ableger Khorasan gesammelt zu haben.
Dafür waren der Anklage zufolge zwei Mitglieder der Zelle nach Albanien gereist, um einen Auftragsmord zu verüben, für den sie 40.000 Dollar bekommen sollten. Allerdings kam es nicht dazu. Die Gruppe habe danach die Ermordung eines islamkritischen Youtubers beabsichtigt. Bilder seiner Leiche sollten nach Erkenntnissen der Ermittler danach zu Propagandazwecken vom IS verbreitet werden. Der Kopf der Gruppe wurde in einem gesonderten Verfahren bereits in erster Instanz zu sieben Jahren Haft verurteilt.