Russlands Krieg gegen die Ukraine "Querdenker" für Putin
Verschiedene "Querdenker" und Rechtsradikale verteidigen den Überfall Russlands auf die Ukraine. Viele von ihnen sehen in Putin einen Widerstandskämpfer gegen die "westliche Elite".
Während sich die Politik größtenteils einig ist und Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine verurteilt, wird dem russischen Präsidenten Wladimir Putin im Milieu von "Querdenkern", Verschwörungsideologen und Rechtsextremen viel Zustimmung und Bewunderung entgegengebracht. So wird der Überfall auf die Ukraine verharmlost oder gerechtfertigt. In einem vielfach geteilten Beitrag heißt es etwa: "Es ist keine Invasion, es ist eine Operation."
Der Tenor in bekannten Telegram Gruppen der Szene: Russland müsse mit diesem "Gegenschlag" einen "Völkermord" im eigenen Land durch NATO und Ukraine verhindern. Der Chefredakteur des rechtsextremen "COMPACT"-Magazins, Jürgen Elsässer, ordnet den Angriff als "defensiv" ein. "Nach tagelangen Angriffen ukrainischer Kräfte auf die Donbass-Republiken dient der Schritt Moskaus dem Schutz der dortigen Bevölkerung."
"Querdenken" folgt russischer Propaganda
Viele Profile, die in Sozialen Medien gegen eine angebliche "Corona-Diktatur" in Deutschland wetterten, verbreiten nun russische Propaganda. Der radikale Corona-Impfgegner Bodo Schiffmann meint, die Bundesregierung zerstöre mit ihren "Boykott- und Isolierungsmassnahmem" [Fehler im Original] gegen Russland "gerade den Rest von Deutschland, den sie nicht durch die Corona Politik zerstört haben". Er bezeichnet die angebliche Ausgrenzung von "Impfgegnern, Russen und Querdenkern" als "Volksverhetzung".
Auf den Telegram-Kanälen von Schiffmann und Xavier Naidoo lief der russische Propagandasender RT Deutsch als Live-Stream. RT Deutsch gehört laut einer Studie des Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS) zu den wichtigsten "Alternativmedien" auf Telegram und konnte seine Reichweite dort zuletzt sogar ausbauen. Eine Kurzstudie des Instituts für strategischen Dialog (ISD) kam zu dem Ergebnis, dass im deutschsprachigen Raum die Corona-Leugner und Impfgegner empfänglicher sind für russische Propaganda auf Facebook. Dasselbe gelte auch für Rechtsextremisten und -populisten.
RT Deutsch habe jahrelang daran gearbeitet sich in der Szene Glaubwürdigkeit zu erarbeiten, sagt Miro Dittrich von CeMAS. Gerade während der Pandemie habe der russische Auslandssender seine Glaubwürdigkeit ausbauen können, was dieser nun bei der Verbreitung unverhohlener Propaganda nutze, so Dittrich.
Der ideologische Anschluss an Putins Krieg falle den führenden Protagonisten der "Querdenken"-Szene nicht schwer, sagt auch Oliver Gottwald. "Im Moment schwingt sich die Szene auf Putins Krieg ein", so der Offenbacher Diplom-Rechtspfleger. Umso mehr sich "Querdenken" auf ideologische Versatzstücke der "Reichsbürger"-Szene beriefen, desto stärker seien sie anschlussfähig an Putins Propaganda.
Sonderfall Reitschuster
Aber nicht alle Akteure, die als Stichwortgeber der "Querdenker"-Szene gelten, sind auf der Seite Russlands. Einige suchen noch nach ihrer Position, andere positionieren sich eindeutig gegen Putin - wie etwa Boris Reitschuster. Reitschuster war Moskau-Korrespondent für den "Focus" und betreibt einen "alternativen" Blog.
Darin verurteilt er die Kriegserklärung Putins, schreibt von einer "unglaublichen Rede", die "voller Aggression, Lügen und Märchen" sei. Seine Haltung kommt bei seinen Anhängern jedoch nicht gut an. "Reitschuster.. hast du Lack gesoffen?", fragt einer seiner Follower auf Telegram. Ein anderer bezeichnet ihn als "Marionette des Regimes". Der Analyst Miro Dittrich stellt fest, dass sich dies auch auf die Followerzahlen Reitschusters auswirkt: "Die Szene straft ihn für seine Aussagen massiv ab."
Auch Teile der rechtsextremen Szene wie etwa "Der Dritte Weg" stellen sich auf die Seite der Ukraine. Sie rekrutieren über Telegram sogar Freiwillige für den Kampf an der Seite der ukrainischen rechtsextremen Einheit "Asow". Die Sicherheitsbehörden in Deutschland sind alarmiert und untersagen das Ausreisen deutscher Neonazis an den Grenzen. Nach Informationen der "Zeit" sind den Behörden bisher drei deutsche Rechtsextremisten bekannt, denen die Ausreise gelang und die sich rechten ukrainischen Milizen angeschlossen haben.
Putin als "Heilsbringer" gegen Gendern
Putin löst derzeit den ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump als Hoffnungsträger der Szene ab. Der russische Präsident wird als Widerstandskämpfer gegen den Westen stilisiert. Das "COMPACT" Magazin schreibt: "Putin ist dem Westen verhasst, weil er ein Gegenmodell darstellt. Er ist ein Patriot und kein Vaterlandshasser, er lehnt Multi-Kulti und Gender ab."
Ein Mitglied der Telegram Gruppe "Hanau steht auf" wünscht sich, dass Putin "bis nach Berlin durchmarschiert". Dann fiele das Gendern weg. "Sind Männer Männer und keine Frauen. Linksgrün wird eingesperrt". Auch im Kanal "Frag uns doch" heißt es in einer Audionachricht: "Wir brauchen keine Angst zu haben, wenn die Russen kommen und uns endlich befreien."
Ähnlich Putin-begeistert zeigen sich die "Freien Sachsen". Sie verbinden ihren Coronaprotest mit einer pro-russischen Haltung. Auf "Spaziergängen" werden Putin-Masken getragen und Russlandfahnen geschwenkt. Die rechtsextreme sächsische Kleinstpartei erklärt auf Telegram: "Plötzlich ist der Ungeimpfte nicht mehr Hauptfeind Nr. 1!" jetzt sei "der Russe Feind Nr 1".
Eine ideologische Kehrtwende sei in diesen Gruppen nur um den Preis der eigenen Glaubwürdigkeit möglich, sagt Oliver Gottwald. "Verschwörungsgläubige haben die ganze Zeit behauptet, Politiker und Medien würden die Öffentlichkeit beim Thema Corona belügen. Wenn sie nun bezogen auf den Ukraine-Krieg auf einmal die Wahrheit sagen sollten, würde ihr gesamtes Weltbild zusammenbrechen", so Gottwald.
"Thema ist austauschbar"
Etliche "alte Verschwörungserzählungen" - wie die zum "Tiefen Staat", dem "Great Reset" und der "Neuen Weltordnung" - finden sich nun im Kontext des Ukraine-Kriegs wieder. Es kursieren Legenden über entführte ukrainische Kinder, die Putin mit dem Angriffskrieg befreien wolle oder angebliche Biowaffen, die in der Ukraine entwickelt würden.
Das Thema sei austauschbar, erklärt Miro Dittrich, da "hinter den einzelnen Erzählungen der Glaube an eine globale Weltverschwörung steht".