"Corona-Kritiker" Gezielte Gerüchte über Todesfälle durch Maske
"13 Jahre, zwei Kinder - tot wegen Maske" - mit solchen unbelegten Behauptungen versuchen "Corona-Kritiker", gezielt Verunsicherung und Wut zu schüren. Rhetorik und Aufrufe werden radikaler.
Mit gezielten Gerüchten über Kinder, die durch das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes (MNS) gestorben seien, versuchen "Corona-Kritiker" ihre Anhänger zu mobilisieren. Bereits seit Anfang September kursiert im Netz die Behauptung, ein 13-jähriges Mädchen in der Pfalz sei verstorben, weil sie einen solchen Schutz getragen habe. Das Mädchen war in einem Schulbus kollabiert und gestorben, eine Obduktion ergab kein eindeutiges Ergebnis, woran die 13-Jährige gestorben sei - auch keine Hinweise, dass die Maske zum Tod führte.
Die Argumentation der "Corona-Kritiker" ist bei dem Komplex Alltagsmaske besonders widersprüchlich: So führen sie einerseits an, ein Mund-Nasen-Schutz sei vollkommen wirkungslos, weil dieser viel zu durchlässig sei - gleichzeitig wird behauptet, durch das Tragen könne man quasi ersticken.
"Keine wissenschaftlichen Erkenntnisse"
Experten halten das Tragen eines MNS als Todesursache für sehr unwahrscheinlich. Dr. Burkhard Rodeck, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ), erklärt im Gespräch mit dem ARD-faktenfinder, es gebe keine entsprechenden Berichte oder wissenschaftliche Erkenntnisse. Es sei auch nicht plausibel, da CO2 durch die Masken entweichen könne.
Der Kinder- und Jugendarzt Edwin Ackermann, Sprecher für den Bereich Nordrhein des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BKJV), erklärte im Gespräch mit dem "Kölner Stadt Anzeiger" ebenfalls, selbstgenähte Masken aus Stoff könnten bedenkenlos verwendet werden, das Kind bekomme ausreichend Luft zum Atmen.
Die Verbände BKJV und DGKJ haben dazu auch Empfehlungen erarbeitet: Demnach sollten Säuglinge keine Masken angelegt bekommen; Klein- und Grundschulkinder könnten eine Alltagsmaske tragen, wenn dies spielerisch und ohne jeden Zwang geschehe. Bei älteren Kindern und Jugendlichen liegen den Experten zufolge keine Hinweise auf Kontraindikationen vor. Ausnahme könnten - genau wie bei Erwachsenen - Personen mit Vorerkrankungen wie schweren Asthma sein. Auch psychologische Reaktionen bei Kindern und Jugendlichen sollten durchaus ernst genommen werden, sagt DGKJ-Generalsekretär Rodeck.
Angeblicher weiterer Fall
Obwohl für die Todesursache Alltagsmaske im Fall der 13-Jährigen aus Baden-Württemberg also keinerlei Belege vorliegen und Fachleute dies auch für recht unwahrscheinlich halten, verbreitet der Arzt Bodo Schiffmann nun in einem Video die Behauptung, ein weiteres gleichaltriges Kind sei gestorben - ebenfalls durch das Tragen einer Alltagsmaske. Details oder Belege nennt er keine. Stattdessen wirft er mit Vorwürfen um sich: Lehrer gefährdeten das Kindeswohl, wenn sie "Befehle" zu Schutzmaßnahmen befolgten. In der Regierung säßen "die Faschisten", so Schiffmann, und "diese Faschisten gehen an unsere Kinder".
Widerstand gegen die "faschistische Diktatur" aus dem Garten: Screenshot aus dem Video mit dem Arzt Bodo Schiffmann.
Schiffmann ist mehrfach bei sogenannten "Corona-Demonstrationen" als Redner aufgetreten. Den Mund-Nasen-Schutz bezeichnet er in dem jüngsten Video als "Sklavenmaske", als "Symbol der Unterdrückung" in einer "faschistischen Diktatur". Dass Schiffmann in dieser vermeintlich "faschistischen Diktatur" regelmäßig bei Demonstrationen auftritt, scheint ihm als Widerspruch nicht aufzufallen. Sein Video ist bereits tausendfach auf Facebook geteilt worden. Auf Anfrage zu seinen Äußerungen reagierte Schiffmann zunächst nicht. Nach Veröffentlichung dieses Beitrags meldete er sich zurück, nahm aber keine Stellung zu den Fragen.
Zu Beginn der Pandemie war der Arzt noch gemäßigter, mittlerweile bezieht er sich auf den radikalisierten Kochbuch-Autoren Attila Hildmann. Er könne Hildmann nur zustimmen, auch wenn dieser eine "aggressivere Gangart" wähle. "Aber im Herzen bin ich bei ihm", so Schiffmann, der sich selbst als "extrem friedlich" bezeichnet - aber "ich werde immer weniger friedlich". Es sei höchste Zeit, "wach" zu werden. "Wir haben jetzt zwei tote Kinder, wie viele sollen es denn noch werden? Wann stehen die Eltern endlich auf?"
Kinder als Mobilisierungsthema
Kinder stehen oft im Fokus, wenn es darum geht, an Emotionen zu appellieren und Stimmungen anzuheizen. Nach dem Flüchtlingsandrang 2015 wurden immer wieder gezielt Meldungen verbreitet, wonach Kinder oder Jugendliche Opfer von Gewaltverbrechen geworden seien. Bei der US-Wahl 2016 spielte die Verschwörungslegende "Pizzagate" eine zentrale Rolle; dabei wird behauptet, führende Politikerinnen und Politiker der US-Demokraten seien Teil eines Rings von Pädophilen. Die QAnon-Bewegung griff dieses Motiv auf und entwickelt es immer weiter.
In der Corona-Pandemie werden zudem Behauptungen verbreitet, Behörden wollten Eltern ihre Kinder wegnehmen. Eine Diakonie wurde wegen einer Stellenanzeige, die in sozialen Netzwerken grob irreführend kommentiert wurde, mit Drohungen überzogen.
Konflikte in der Protestbewegung
Doch die Bewegung der "Corona-Skeptiker" wird von Konflikten erschüttert: Nach dem sogenannten "Sturm auf den Reichstag" brach ein Streit darüber aus, ob solche Aktionen kontraproduktiv seien. Einige distanzierten sich - teilweise wohl taktisch motiviert - von den Neonazis und Rechtsextremisten auf den Demonstrationen, mäßigten sich in der Rhetorik. Andere verstiegen sich zu immer neuen Verschwörungsmythen. So sei der "Sturm" durch V-Leute des Verfassungsschutzes oder "die Antifa" inszeniert worden, um der Bewegung zu schaden. Solche kruden Theorien führten zu weiteren wilden Vorwürfen und gegenseitigen Unterstellungen in der Protestbewegung.
Angesichts der steigenden Infektionszahlen und neuen Maßnahmen dagegen könnten sich "Corona-Kritiker", die sich bereits in einer "faschistischen Diktatur" wähnen, möglicherweise weiter radikalisieren. Die einzelnen gezielten Falschmeldungen dienen dazu, den Mythos eines globalen "Corona-Schwindel" zu stützen.