Nach offenem Brief Ministerium beauftragte Listen für Fördermittelentzug
In der Fördergeld-Affäre liegen Panorama und FragDenStaat weitere Mailverläufe aus dem Bildungsministerium vor. Demnach wurden dort offenbar Namenslisten mit Hochschullehrenden erstellt, die nicht auf derselben politischen Linie sind.
Wusste Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger in der Fördergeld-Affäre mehr, als sie bisher zugegeben hat? Eine im Mai in ihrem Ministerium in Auftrag gegebene Liste legt das zumindest nahe. Inwieweit die Ministerin selbst in diesen Prozess eingebunden war, geht aus den Mails allerdings nicht hervor.
Anfang Mai hatten sich einige Hochschullehrende in einem offenen Brief kritisch gegen die polizeiliche Räumung einer Besetzung von Teilen der Berliner FU durch propalästinensische Studierende geäußert. Eine Panorama-Recherche zeigte, dass das Bildungsministerium prüfen lassen wollte, ob man ihnen Fördermittel entziehen könne.
Weitere Mailverläufe liegen vor
Nun liegen Panorama aus einer gemeinsamen Recherche mit FragDenStaat weitere Mailverläufe vor. Aus ihnen geht hervor, dass das Bildungsministerium (BMBF) den Auftrag erteilt hat, die Unterzeichner des offenen Briefes daraufhin zu überprüfen, ob sie Zuwendungsempfänger oder Gutachter des Bildungsministeriums sind. Die entsprechenden Namen sollten in der Liste der Unterzeichner markiert werden.
Bei den Bearbeitern des Auftrags sorgte diese Überprüfung wohl für Unbehagen. So heißt es in den Mails, die Panorama und FragDenStaat vorliegen: "Ich möchte Ihnen nicht verhehlen, dass es unter den Kolleginnen und Kollegen großes Unwohlsein ausgelöst hat, Namen in Listen zu markieren." Aus Sicht der Bearbeitenden sei das Statement durch das Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt. Weiter heißt es: "Sollten Sie die Liste dennoch übermittelt bekommen haben wollen, dann mache ich das selbstredend."
Auf die geäußerten Bedenken hin antwortete das Ministerium: "Ich finde diese Haltung sehr schwierig, um es etwas zurückhaltend zu formulieren. Ich bitte Sie, unserem Wunsch zu folgen."
Zur ursprünglichen Anweisung der Prüfung heißt es in dem Mailverkehr: "Wäre eine Entziehung einer etwaigen BMBF-Förderung möglich? Letztlich wäre so etwas natürlich eine politische Entscheidung, die sehr gut abgewogen sein müsste. Als Grundlage hierfür bittet die Leitung zunächst um eine Einschätzung, ob dies zumindest theoretisch möglich wäre."
Auf eine aktuelle Panorama-Anfrage, wie der Vorgang im Ministerium genau ablief und ob Namenslisten kritischer Hochschullehrender angefertigt wurden, hat das Ministerium bis zum Ende der Frist nicht geantwortet.
"Es läge ein erheblicher Eingriff in Wissenschaftsfreiheit vor"
Clemens Arzt, pensionierter Professor für Staats- und Verwaltungsrecht in Berlin, sieht in dem Vorgang den offenkundigen Wunsch des Ministeriums, förderrechtliche Schritte einzuleiten. "Wäre dies so geschehen, läge ein erheblicher Eingriff in die vom Grundgesetz gewährleistete Wissenschaftsfreiheit vor. Aber auch so wissen nun alle Forschenden, dass bei aus Sicht des Ministeriums unliebsamen Meinungsäußerungen eine Streichung von Fördergeldern, mindestens aber eine Beschränkung oder Verweigerung neuer Drittmittel für die Forschungsförderung drohen kann", so Arzt.
Nachdem Panorama die Recherche Mitte Juni öffentlich gemacht hatte, versetzte Bildungsministerin Stark-Watzinger ihre Staatssekretärin Sabine Döring in den einstweiligen Ruhestand.
In einer Erklärung des Ministeriums vom 16. Juni hieß es, dass Döring den Prüfauftrag veranlasst habe. Bildungsministerin Stark-Watzinger habe von dem veranlassten Vorgang erst durch die Panorama-Recherche erfahren.
Das Bildungsministerium hat sich nach Veröffentlichung zu einigen Formulierungen kritisch geäußert und teilt mit:
"Richtig ist: Um auf Nachfragen der Presse vorbereitet zu sein, wurde im BMBF auf Fachebene eine Übersicht der Unterzeichner des Offenen Briefes, die in einer Verbindung zum BMBF stehen, erstellt. Diese Übersicht wurde nicht der Ministerin vorgelegt und auch nicht an das Pressereferat oder Dritte übermittelt. Die Übersicht verblieb auf Fachebene und wurde erst im Zuge der nach dem Panorama-Bericht am 11. Juni im BMBF angestoßenen Aufklärung über die zuständige Fachabteilung hinaus bekannt."