Ein Mann geht in einem Tunnel im Gaza-Streifen (Archivbild)
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GIZ und KfW Bekam die Hamas ungewollt Hilfe aus Deutschland?

Stand: 09.04.2024 13:52 Uhr

Jahrelang haben deutsche Institutionen Entwicklungshilfe im Gazastreifen geleistet. HR-Recherchen zeigen, dass Materialien und Know-how in die falschen Hände geraten sein könnten.

Beim Bau von Raketen und Tunneln der Terrororganisation Hamas sind Material, Fachkenntnis und Logistik eingesetzt worden, wie sie auch für deutsche Entwicklungshilfeprojekte verwendet wurden. Rohre, Kanalringe, Stahl und Zement können sowohl zivil als auch terroristisch verwendet werden ("Dual Use"). Die Träger der deutschen Entwicklungshilfe verweisen auf strenge Kontrollen. Es gebe keine Hinweise auf Missbrauch.

Der Hessische Rundfunk hat Entwicklungshilfeorganisationen befragt und Projektberichte ausgewertet. Vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) wurde nach Monaten über das Informationsfreiheitsgesetz die Herausgabe von 150 Seiten Akten erreicht. Die Daten sind mit einem Dutzend Ingenieure für Tiefbau und Raketentechnik erörtert worden.

Wasserrohre zu Raketen

"Wenn es keine hochwertige Rakete werden soll, funktioniert jedes einigermaßen feste Stahlrohr", sagt Johann Höcherl, Waffentechniker an der Universität der Bundeswehr München. In München lebt auch Robert Schmucker, pensionierter Professor der Technischen Universität. Schmucker war Waffeninspekteur für die Vereinten Nationen und Berater bei Bundeswehr und NATO. In Israel hat er Hamas-Raketen untersucht. Es sei eindeutig: Hamas- Kämpfer würden Raketen auf der Basis von Wasserrohren bauen.

Die staatliche "Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit" (GIZ) war bis Ende 2018 im Wasserbau des Gazastreifens tätig. In internen Unterlagen berichtet das GIZ-Büro in den palästinensischen Gebieten von technischen Verbesserungen und Kapazitätsaufbau der Wassersysteme. Seit 2022 wurde ein neuer Einsatz erwogen, der wegen des Krieges aber storniert ist.

Die GIZ legt Wert auf die Feststellung, niemals Wasserrohre finanziert oder geliefert zu haben. "Bei der Projektumsetzung fanden kontinuierlich Fortschrittskontrollen vor Ort statt, um die korrekte Mittelverwendung sicherzustellen", sagt ein Pressesprecher.

Tunnelbau mit ziviler Technik

In einem Konzept von 2016 schreibt die GIZ von "Ausrüstung für Betrieb und Instandhaltung" auch von Abwassersystemen. Dazu gehört ein im Gazastreifen gut ausgebautes Kanalsystem. Auch die deutsche Staatsbank KfW finanziert seit mehr als zwanzig Jahren Bauprojekte im Gazastreifen mit hohen zweistelligen Millionenbeträgen. Es wurden wenige Großprojekte bezahlt sowie vierzig kleine Baustellen im Wasser- und Abwassersektor.

"Einen Tunnel baut man nicht einfach mal eben so", sagt Jan Lüking, der an der Technischen Hochschule Lübeck Geotechnik lehrt. Lüking hat Videomaterial der Hamas über ihr Tunnelsystem analysiert, das Israel erbeutet hat. "Da werden auch Schalelemente aus dem Kanalbau verwendet", sagt Lüking. Ein abgebildeter Ausstieg sei eindeutig ein Kanalschacht. Deckenteile wirkten wie Tragelemente aus dem Hochbau: "Vielleicht zweckentfremdet."  

Ende vergangenen Jahres trat der Vorsitzende der GIZ-Geschäftsführung, Thorsten Schäfer-Gümbel, im Presseclub von Frankfurt am Main auf. Angesprochen auf Abwasserbau in Gaza und mögliche Zweckentfremdung für Terror-Tunnel schwieg der frühere SPD-Politiker.

Auf Nachfrage verweisen GIZ und KfW auf besonders strenge interne und externe Kontrollen und Prüfungen, teils in enger Abstimmung mit israelischen Behörden. "Dass Material korrekt verwendet und verbaut wurde, hat das Personal der GIZ vor Ort kontinuierlich überprüft", teilt die GIZ mit. Auch die KfW erklärt: "Uns liegen keinerlei Informationen vor, dass Material abgezweigt werden konnte."

"Dual Use"-Kontrollen

Nach palästinensischen Aufständen ("Zweite Intifada") und Terrorüberfällen begann Israel vor zwei Jahrzehnten, den Gazastreifen von "Dual Use"-Waren abzuschneiden. Nur unter strengen Kontrollen sollte für zivile Bauten Stahl und Zement eingeführt werden können.

Interne Berichte dokumentieren Informationsmängel: Die KfW schreibt über "kleinteilige direkte Beauftragung von Materiallieferungen" durch "unerfahrene Umsetzungspartner". 2014 vermerkte die GIZ, Informationen zu Abwasserprojekten seien nur begrenzt verfügbar. "Die lokalen Systeme für Monitoring und Evaluierung müssen zunächst noch weiterentwickelt werden", heißt es 2015 bei der GIZ.

In Stellungnahmen sagen BMZ und GIZ heute, es habe nie Hinweise auf Zweckentfremdung oder verlorenes Material gegeben. Partnerorganisationen und deren Mitarbeiter, Finanzwege und Materiallieferungen seien mehrfach geprüft worden. Bei einer aktuellen Überprüfung "haben sich die Kontrollmechanismen als robust erwiesen", teilt das BMZ mit.

Auch die KfW verweist auf systematische und stichprobenartige Kontrollen und klare Planung: "Im Rahmen der Bauarbeiten gab es keine Bezugspunkte zu möglichen Tunneln unterhalb der Standorte."

Beschaffung von Personal kompliziert

Ein Problem für Kontrollen stellt mangelnder Zugang zum Gazastreifen dar. Seit dem Putsch der Hamas 2007 ist Arbeit ausländischer Fachleute nur eingeschränkt möglich. Die amtliche deutsche Entwicklungshilfe setzt auf lokale Mitarbeiter sowie Besuche aus dem Westjordanland und Deutschland.

"Verantwortliche GIZ-Mitarbeitende der Projekte waren mindestens zweimal im Monat auf Dienstreisen in Gaza - teils mehrere Tage am Stück", sagt der Sprecher der GIZ, "auf diese Weise hat die GIZ die ordnungsgemäße Umsetzung überprüft." Das BMZ erklärt: "Im Gazastreifen monitoren internationale Consultingfirmen oder die Vereinten Nationen Transport, Lagerung und Einbau jedes einzelnen Bauteils."

Die KfW berichtet dagegen intern über "lokale Gutachter". Auf Anfrage ist von "externen unabhängigen Gutachtern" die Rede, die die Baustellen täglich geprüft hätten. Zudem habe es stichprobenartige Prüfungen von Gutachtern gegeben, "vor allem dann, wenn KfW-Mitarbeiter selbst nicht vor Ort reisen konnten".

Einige Partnerorganisationen "versuchten aktiv, 'gewaltbereite' Bewohner in Projektaktivitäten einzubinden", heißt es in einem KfW-Report. Durch "Arbeitsbeschaffung für ehemalige Flüchtlinge und Jugendliche sollte das Konfliktpotential gemindert" werden. Auf Nachfrage erklärt die KfW, sie habe "keinerlei Erkenntnisse" zum Einsatz gewaltbereiter Personen.

Was Tunnelbauer wissen müssen

Professoren für Geotechnik sind uneinig über das Theorie-Niveau, das zum Bau von Hamas-Tunneln nötig ist. Kerstin Lesny von der Uni Siegen erwartet erfahrene Ingenieure mit Masterabschlüssen. Vieles könnte durch "Versuch und Irrtum" ausprobiert werden, meint dagegen Christoph Budach von der TU Köln und sagt: "Höheres technisches Verständnis hilft natürlich." 

"Das ist alles nicht hochakkurat", sagt Hauke Zachert von der TU Darmstadt, "aber man braucht schon Leute, die Wissen mitbringen." Ein leitender Ingenieur für Tunnelbau darf nicht namentlich zitiert werden, weil sein Arbeitgeber das Gespräch nicht autorisiert hat. Er ist sicher, dass zusätzlich Vermessungstechniker nötig sind: "Ich muss doch wissen, wo ich rauskomme", sagt er, "ein pfiffiger Ingenieur mit Bachelor-Abschluss reicht."

KfW und GIZ waren am Aufbau einer Technischen Hochschule und einer Fachschule in Palästina beteiligt. Sie legen besonderen Wert auf Praxisnähe und bieten teils auch Schnellkurse an. "Die robusten technischen Maschinen und Werkstätten (werden) von einer hohen Zahl von Studierenden regelmäßig benutzt", schreibt die KfW in Projektunterlagen. Die KfW registrierte zudem, dass "Arbeiter sich durch die Arbeit (an KfW-Bauprojekten in Gaza) weiterbilden konnten".

Die GIZ habe keine Projekte unterstützt, die technisches Fachwissen zu Tiefbau gefördert hätten, schreibt der Pressesprecher auf Nachfrage. Die KfW sagt: "Über einen Know-How-Transfer zum Tunnelbau liegen uns keine Erkenntnisse vor."

Wohin mit dem Aushub?

Die befragten Ingenieure rätseln über den Aushub der Hamas-Tunnel. Manches könne in Ruinen, Mulden und auf Feldern untergebracht werden. Verteilung aus fahrenden Kipplastern sei möglich. Es geht um Zehntausende Kubikmeter Sand und leichtes Gestein.

"Eigentlich ist der Sand dieser Regionen für Beton nicht geeignet, da die Kornfestigkeit zu gering ist", sagt Bauingenieur Lüking von der TH Lübeck, "als Verfüllmaterial unter Fundamenten von Wohnhäusern oder Straßen geht es, sofern Abstriche bei der Gebrauchstauglichkeit akzeptiert werden."

Die KfW finanziert seit Jahren Bau von Schulen und Gesundheitszentren im Gazastreifen. Bei den 723 Einzelprojekten wurde Wert auf "lokale Bauunternehmen und die Verwendung lokaler Baumaterialien" gelegt. Über Missbrauch habe die KfW keine Erkenntnisse, heißt es auf Nachfrage. Sie verweist im Übrigen auf ihre robusten Kontrollen.