Wasser wird per Schlauch in eine Wasserstation im Saatari Flüchtlingscamp gefüllt.
interview

Geplante Kürzungen "Entwicklungspolitik ist ein wichtiges Instrument"

Stand: 23.01.2024 16:09 Uhr

Die deutsche Entwicklungshilfe steht auf dem Prüfstand. Experte Klingebiel hält die aktuelle Debatte für falsch. Entwicklungspolitik sei ein ganz wichtiges Instrument, um internationale Agenden mitgestalten zu können.

tagesschau.de: Über die Entwicklungshilfe von Deutschland wird derzeit viel diskutiert. Vor allem der Bau von Fahrradwegen und der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs in Peru sorgen für Aufruhr. Wie sinnvoll ist so ein Projekt aus Ihrer Sicht?

Stephan Klingebiel: In dem Fall würde ich der Argumentation des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) folgen. Bei den Projekten geht es um die Frage, wie die CO2-Emissionen reduziert werden können. Dafür ist der Ausbau des nachhaltigen Stadtverkehrs in anderen Ländern ein ganz wichtiges Thema. Und in dem Fall wird das Ganze ja in großen Teilen durch einen Kreditmechanismus finanziert, das heißt ein großer Teil der Mittel wird wieder an den Bundeshaushalt zurückfließen.

tagesschau.de: Sie meinen die Entwicklungs- und Förderkredite der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW). Wie genau läuft das ab?

Klingebiel: Bei dem Thema nachhaltiger Stadtverkehr in Peru setzt die KfW Entwicklungs- und Förderkredite ein. Entwicklungskredite stammen aus dem Bundeshaushalt und müssen von den Partnerländern zurückbezahlt werden - allerdings sind die Bedingungen stark vergünstigt. Bei den Förderkrediten der KfW werden Marktmittel aufgenommen und an andere Länder weitergegeben. Der Vorteil dabei ist, dass die KfW zu recht günstigen Konditionen Geld auf internationalen Kapitalmärkten leihen kann. Und diese Mittel werden dann mit diesen relativ guten Konditionen für Entwicklungszwecke an Partner weitergegeben.

Da stecken dann keine Haushaltsmittel des Bundes drin. Das heißt, das kostet den deutschen Steuerzahler nichts.

Stephan Klingebiel
Zur Person

Stephan Klingebiel leitet am German Institute of Development and Sustainability (IDOS) das Forschungsprogramm "Inter- und transnationale Kooperation". Er ist auch Gastprofessor an der Universität Turin (Italien) und der Ewha Woman University in Seoul (Südkorea).

tagesschau.de: Die Entwicklungsleistungen sollen nach Plänen der Regierung um mehrere Hundert Millionen Euro gekürzt werden - diskutiert werden sogar noch weiterreichende Sparmaßnahmen. Was halten Sie davon?

Klingebiel: Entwicklungspolitik ist ein ganz wichtiges Instrument, um internationale Agenden mitgestalten zu können. Deutschland ist ein international wichtiges Land und wenn man gestalten will, auch im Eigeninteresse, ist Entwicklungszusammenarbeit unerlässlich.

Denken Sie an geopolitische Fragen wie die Ukraine oder letztlich auch der Wettbewerb auf dem afrikanischen Kontinent, wo China und Russland sehr aktiv sind. Das heißt, da haben wir einen internationalen Wettbewerb, und da setzen wir letztlich auch unsere Entwicklungszusammenarbeit für uns mit ein.

Das gilt auch für den Klimawandel. Wir haben ein großes Interesse daran, dass die Energie, die in Südafrika, in Indien oder anderswo produziert wird, möglichst nachhaltig ist.

Nicht zuletzt durch Corona haben wir die Gefahren einer Pandemie gesehen. Wir haben ein Interesse daran, dass zum Beispiel in westafrikanischen Ländern ein funktionierendes Gesundheitssystem existiert, damit eine Krankheit wie Ebola sich nicht weltweit verbreitet. Und dafür ist Entwicklungszusammenarbeit absolut zentral.

"Leistungen für Geflüchtete werden angerechnet"

tagesschau.de: Das BMZ hatte im vergangenen Jahr gut zwölf Milliarden Euro vom Bundeshaushalt zur Verfügung. Insgesamt werden die öffentlichen Entwicklungsleistungen Deutschlands jedoch deutlich höher beziffert - 2022 waren es gut 33 Milliarden Euro. Wie kommt diese Zahl zustande?

Klingebiel: Zum einen gibt es zwei große Positionen im Bundeshaushalt, deren Mittel als Entwicklungsarbeit angerechnet werden können. Das sind die von Ihnen erwähnten etwa zwölf Milliarden Euro des BMZ und der andere große Topf ist die humanitäre Hilfe, der beim Auswärtigen Amt angesiedelt ist (2023 waren es 3,3 Mrd. Euro, Anm. d. Red.). Dazu gibt es noch kleinere Töpfe bei den anderen Ministerien, aber die spielen keine so große Rolle.

Ein weiterer großer Faktor sind die erwähnten Förderkredite der KfW, die ebenfalls als Entwicklungsleistungen angerechnet werden können, aber nicht Mittel des Bundeshaushalts nutzt.

Außerdem kann Deutschland die Kosten für Geflüchtete, die aus Ländern kommen, die von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) als Entwicklungsländer gezählt werden, anhand von bestimmten Kriterien als Entwicklungsleistung abrechnen - dazu gehört auch die Ukraine. Für das Jahr 2022 machte das 13,6 Prozent der gesamten als Entwicklungsleistungen angerechneten Leistungen aus.

tagesschau.de: Gibt es noch weitere größere Posten, die als Entwicklungsleistungen deklariert werden können, ohne dass es sich explizit um Belange des BMZ handelt?

Klingebiel: Neben den Leistungen für Geflüchtete können auch Mittel für Studierende, die aus Entwicklungsländern kommen und in Deutschland studieren, mit einer Pauschale abgerechnet werden. Das heißt, wenn jetzt an einer deutschen Universität jemand aus Peru studiert, wird das pro Person von den Bundesländern gemeldet. Für diese Studierenden wird aber ja nicht zusätzlich ein Uni-Gebäude gebaut oder ein Professor eingestellt, sondern das wird sozusagen anteilig kalkulatorisch berechnet.

Das heißt, diese Leistungen werden dann auch gewürdigt und fließen in diese gut 30 Milliarden Euro Entwicklungsleistungen mit ein. Das sind also in ganz großen Teilen Leistungen, die man über dieses Berichtswesen der OECD würdigen kann, wo aber nicht zwangsläufig Mittel aus dem Bundeshaushalt für mobilisiert werden beziehungsweise die Motivation eine ganz andere ist, als Entwicklungshilfe zu leisten. Bei den zivilen Hilfen für die Ukraine ist uns zum Beispiel auch die eigene Sicherheit wichtig, das ist kein reines Motiv der Entwicklungshilfe.

"Klimapolitik spielt eine Rolle"

tagesschau.de: Sie haben die OECD bereits erwähnt. Welche Rolle spielt sie bei der Anrechnung von Entwicklungsleistungen?

Klingebiel: Das Development Assistance Committee (DAC) der OECD ermittelt jährlich die Bilanzen der 32 Geberländer der Entwicklungszusammenarbeit. Das DAC legt die Kriterien fest, was als Entwicklungsleistung angerechnet werden kann und welche Länder als Entwicklungsländer zählen. Für das Jahr 2022 hat die DAC Deutschland insgesamt 33,3 Milliarden Euro Entwicklungsleistungen attestiert.

tagesschau.de: Diese Leistungen werden anschließend mit dem Bruttonationaleinkommen (BNE) ins Verhältnis gestellt. Das vereinbarte Ziel dabei ist, mindestens 0,7 Prozent des BNE für Entwicklungsleistungen auszugeben. Deutschland hat dieses Ziel jahrzehntelang nicht erreicht, zum ersten Mal dann 2016 unter dem damaligen Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU). Wie kam es dazu?

Klingebiel: Zum einen war es politisch gewollt, diese internationale Zielvorgabe zu erreichen. Dann kamen zudem die ganzen Sonderfaktoren wie die flüchtlingsbezogenen Kosten hinzu, die angerechnet werden konnten.

Auch die Klimapolitik spielt eine Rolle: Ein großer Batzen von dem, was Deutschland als Entwicklungszusammenarbeit macht, ist ein Beitrag zur internationalen Klimafinanzierung. Das heißt, Entwicklungszusammenarbeit ist eben auch das, was Deutschland international zusagt, um bei den internationalen Klimaverhandlungen die entsprechenden Verpflichtungen zu erfüllen. Dieser Anteil nimmt zu und ist Teil von den deutschen entwicklungspolitischen Leistungen.

"Anrechnungskriterien enger fassen"

tagesschau.de: An dem 0,7-Prozent-Ziel gibt es jedoch auch Kritik. Als die Zahl vor Jahrzehnten ausgemacht wurde, war die Ausgangssituation eine ganz andere. Viele Länder sind heute deutlich weiter: China war beispielsweise damals noch deutlich weniger entwickelt, heute gibt das Land selbst viele Kredite an Entwicklungsländer. Wie stehen Sie dazu?

Klingebiel: Ich denke, vieles daran lässt sich kritisieren, weil es natürlich auf eine Art willkürlich ist, dass es 0,7 Prozent sind und nicht 0,6 oder 0,8. Die Zahl der Entwicklungsländer verändert sich ja auch. Da gibt es ganz viel, was man bei solchen Zahlen hinterfragen kann.

Ich würde aber sagen, dass es einfach eine Berechnungsgrundlage ist, mit der man über lange Zeiträume betrachtet gut sehen kann, wie Länder, denen es relativ gut geht, zu ihren internationalen Verpflichtungen stehen. Gerade in Großbritannien, wo im Moment diese Zahlen nach unten gehen, spiegelt sich zum Teil auch der Populismus der Regierungen wider, weil die Leistungen stark zurückgefahren werden.

tagesschau.de: Würden Sie das 0,7-Prozent-Ziel also lieber beerdigen?

Klingebiel: Nein. Es hat zwar viele technische und auch politische Schwächen, aber es ist immerhin etwas, woran man ablesen kann, wie stark Länder zu ihren Verpflichtungen stehen.

Eher könnte ich mir vorstellen, die Anrechnungskriterien für Entwicklungsleistungen enger zu fassen. So könnten die Bilanzen der Länder nicht durch Mittel, die primär nicht mit Entwicklungszusammenarbeit zu tun haben, schön gerechnet werden.

Das Gespräch führte Pascal Siggelkow, tagesschau.de.