Vorwurf von Greenwashing Geschäfte mit CO2-Zertifikaten - heiße Luft?
Viele Unternehmen werben mit Klimaneutralität. Möglich wird das oft durch den Kauf von CO2-Gutschriften aus anderen Regionen der Welt. Doch am Beispiel einer Firma aus Sachsen zeigen sich die Probleme beim Zertifikate-Handel.
In großen Buchstaben stand auf dem Etikett der Plastikflasche: "Klimaneutral". Damit wirbt "Lichtenauer Mineralwasser" seit Anfang 2021. Das Unternehmen erklärt auf seiner Homepage, dass es dieses selbstgesteckte Ziel unter anderem mit so genannten CO2-Kompensationen erreichen würde, da es seinen Kohlendioxid-Ausstoß nicht aus eigener Kraft auf null reduzieren könnte. So wie die Mineralwasserfirma aus Sachsen werben viele deutsche Unternehmen mit Klimaneutralität oder ähnlichem. Doch stimmt das auch?
Lichtenauer kauft für den Ausgleich CO2-Zertifikate, die aus einem Regenwaldgebiet in Peru stammen. Die Idee dahinter: In dem Wald soll Abholzung verhindert werden. Die so geschützten Bäume binden dann auch weiterhin Kohlendioxid. Ein Zertifikat steht für eine Tonne CO2, die angeblich auch weiterhin nicht in die Atmosphäre gelangt. Damit sei nicht nur dem Klima geholfen, behauptet Lichtenauer, sondern auch der Bevölkerung vor Ort.
Ein Regenwald in Peru soll die sächsischen CO2-Emissionen kompensieren.
Das ARD-Magazin FAKT hat in Peru recherchiert und zwei Redakteure waren Mitte November 2023 in dem Land in Südamerika. Das CO2-Kompensationsprojekt, aus dem Lichtenauer seine Zertifikate bezog, liegt rund zwei Flugstunden östlich von Lima, im peruanischen Bundesstaat Madre de Dios. Seit Jahrzehnten gibt es dort Probleme mit illegalen Goldsuchern.
La Pampa heißt das großflächige Gebiet, in dem sie aktiv sind. Dort, wo es vor 30 Jahren dichten Dschungel gab, steht kaum noch ein Baum. Eine Mondlandschaft mit kontaminiertem Wasser, da Quecksilber benutzt wird. Polizei und Militär in Peru versuchen immer mal wieder die illegalen Einrichtungen der Goldgräber zu zerstören. Seit Jahren - allerdings ohne langfristige Erfolge.
Zertifikate für nicht abgeholzten Regenwald
La Pampa war offenbar Teil der Berechnung für die künftig angenommene Abholzung des Waldes im Gebiet des CO2-Projektes, aus dem Lichtenauer Zertifikate erworben hatte. Das CO2-Projektgebiet grenzt direkt an das Referenzgebiet und besteht aus über 400 kleineren Flächen. Es sind Parzellen von Paranussbauern, die per Vertrag verpflichtet sind, den Wald zu erhalten. Der Vergleich zwischen Projektgebiet und Referenzgebiet ist für die Berechnung der CO2-Zertifikate bedeutsam.
Das Projekt besteht seit fast zehn Jahren. Entwickelt hat es das peruanische Unternehmen Bosques Amazonicos (BAM). Es schließt die Verträge mit den Paranussbauern und verkauft die CO2-Zertifikate. Im Projektgebiet steht ein weitgehend intakter Wald. Doch die Frage lautet: War wirklich eine derart große Abholzung zu befürchten, wie prognostiziert wurde?
Großes Problem mit illegalem Goldabbau
Bevor ein Projekt zertifiziert werden kann, wird anhand eines ähnlichen Referenzgebietes kalkuliert, wie sich die Entwaldung ohne das Kompensationsprojekt künftig entwickelt. Zum Projekt, auf das sich Lichtenauer mit seiner Klimaneutralität bezieht, verfasste Simon Counsell - ein internationaler Experte für CO2-Projekte in Regenwäldern - für die Nichtregierungsorganisation Foodwatch eine Studie. Sein Ergebnis: "Damit haben sie ein sehr hohes Abholzungsszenario geschaffen."
Denn: Wie viele CO2-Zertifikate ausgegeben werden können, ist vom Referenzgebiet abhängig. Dieses ist die Basis der zu erwartenden Waldschäden und entscheidend für die Anzahl der CO2-Zertifikate. Je mehr Abholzung im Referenzgebiet des Projektes stattfindet, umso mehr Zertifikate sind - bezogen auf das Projektgebiet - möglich.
In La Pampa und der umliegenden Region gibt es ein extremes Problem mit illegalem Goldabbau. "Auch kommerzielle Abholzung, Ansiedlung von Bauern und eine extrem hohe Rate von Abholzung über zwei Jahrzehnte, bevor das Kompensationsprojekt begann", sagt Counsell. Mit Satellitenbildern und Luftaufnahmen hat er die Gebiete verglichen und schätzt, dass ein Vielfaches an CO2-Zertifikaten generiert wurde. Die Berechnung sei inflationär und so ein Millionengeschäft.
Betreiber steht schon länger in der Kritik
Der Projektbetreiber BAM stehe schon länger in der Kritik, sagt Jutta Kill, die als Sachverständige für CO2-Kompensationen Organisationen in Deutschland und Südamerika berät. Auch sie geht davon aus, dass massenhaft so genannte Phantom-Gutschriften geschaffen wurden, die nach Klimagesichtspunkten wertlos seien. "Bis heute nutzt der Projektbetreiber dieses Referenzgebiet, was von Anfang an in den Projektdokumenten ausgewiesen und nachweislich nicht adäquat ist. Das heißt, seit nahezu zehn Jahren werden hier Gutschriften verkauft und generiert, die auf einer wirklich nicht vergleichbaren Referenzfläche beruhen."
Ob zu viele Zertifikate erstellt wurden, beantwortet BAM nicht. Die Firma erklärt, ihr Projekt sei nach einer strengen Methodik erstellt worden: "…validiert und verifiziert mehrfach von diversen Prüfern und Verra." Verra ist eine Non-Profit-Organisation und einer der größten Zertifizierer von CO2-Projekten mit Sitz in den USA und seit Monaten unter Druck.
Anfang 2023 berichteten Medien wie der englische "The Guardian" und die deutsche Wochenzeitschrift "Die Zeit", dass Verra über viele Jahre wertlose Zertifikate ausgeben haben soll. Verra geriet dadurch in Turbulenzen. Im Mai trat Chef David Antonioli zurück. Verra sagt auf FAKT-Anfrage, das Projekt sei zum Zeitpunkt der Registrierung ordnungsgemäß zertifiziert und die Anzahl der erzeugten CO2-Zertifikate nicht überhöht gewesen.
Ende November 2023 kündigte Verra schließlich eine neue Methodik zum Schutz der Wälder an. Man wolle es Projektbefürwortern ermöglichen, ihre Projekte freiwillig auf die neue Methodik umzustellen. Mehr Details soll es aber erst in den kommenden Monaten geben.
Die Struktur und das Volumen der Geschäfte
Doch wer spielt bei diesen Geschäften überhaupt alles mit? Im Fall von Lichtenauer ist Bosques Amazonicos der Organisator. BAM engagiert den Zertifizierer Verra aus den USA. Als Vermittler für das Geschäft mit den Zertifikaten trat ClimatePartner in München auf. Käufer war dann der Mineralwasserhersteller - neben anderen.
Die FAKT-Recherchen zeigen nun das Volumen des Geschäfts erstmals öffentlich. Laut BAM hat ClimatePartner knapp 2,7 Millionen Zertifikate erworben. Zwischen 2019 und 2022, bestätigt ClimatePartner. Ein lukratives Geschäft, sagen die von FAKT befragten Expertinnen und Experten übereinstimmend.
Lichtenauer lehnt ein Interview zur angeblichen Klimaneutralität trotz mehrfacher Anfragen ab und verweist schriftlich auf ClimatePartner. Die Münchner erklären schriftlich: "Auch die Firma Lichtenauer arbeitet mit uns im Rahmen ihrer Klimaschutzstrategie zusammen. Das Unternehmen macht sehr viel mehr, als ausschließlich in Klimaschutzprojekte zu investieren. Seit 2018 berechnen wir für die Lichtenauer Mineralquellen kontinuierlich deren CO2-Fußabdruck, als Grundlage, um Reduktionspotenziale zu identifizieren und daraus Maßnahmen abzuleiten."
Expertin: "Das ist fatal"
Auf seinen Internetseiten wirbt ClimatePartner mit Transparenz. Anfang 2023 gab die Firma das Label "klimaneutral" auf und ersetzte es durch "ClimatePartner-zertifiziert" oder "finanzieller Klimabeitrag". Dass dennoch auf Wasserflaschen von Lichtenauer Ende November 2023 noch "klimaneutral" stand, hänge laut ClimatePartner damit zusammen, dass bereits so bedruckte Verpackungen noch im Umlauf seien, bis sie abverkauft worden sind. "Eine Vernichtung all dieser Produkte und Verpackungen halten wir nicht für sinnvoll."
Das Netzwerk der Organisatoren, Zertifizierer und Vermittler funktioniert, weil sie - so Biologin Jutta Kill - alle davon profitieren: "All diese Profiteure bereichern sich letzten Endes an Gutschriften, die keine Basis in reellen Emissionsminderungen haben. Das heißt, der Profit geht auf Kosten nicht nur der Bevölkerung vor Ort, sondern - letzten Endes - auch auf Kosten des Klimas, weil hier zum großen Teil Phantomgutschriften gehandelt werden."
Die Expertin sieht noch eine weitere Gefahr bei diesen Kompensationen: "Sie gaukelt uns vor, hier ist doch eine Netto-Null auf dem Papier, also können wir weiter Erdöl, Erdgas, Kohle konsumieren. In Realität gibt es diese Null aber in der Atmosphäre nicht. Das ist fatal."