Gas aus Aserbaidschan Eine unverbindliche Wunschliste
Es war ein PR-Coup für Aserbaidschans Präsident Alijew, als EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen mit ihm eine neue Energiepartnerschaft besiegelte. Doch die Vereinbarung ist unverbindlich - und enorme Investitionen sind nötig.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte Kritik für ihren Auftritt kürzlich mit Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew in Baku geerntet. Thematisiert wurden vor allem der Stand der Menschenrechte und der Demokratie in dem Land, das Alijew seit 2003 autokratisch regiert. Von der Leyen hingegen lobte Aserbaidschan als zuverlässigen Gaslieferanten: Es werde ein neues Kapitel in der Energiezusammenarbeit mit Aserbaidschan aufgeschlagen, das ein wichtiger Partner bei den Bemühungen sei, unabhängig von fossilen Brennstoffen aus Russland zu werden.
Konkret ist eine Verdopplung der Liefermenge an Gas bis 2027 von bisher 8,15 auf dann 20 Milliarden Kubikmeter pro Jahr geplant - festgehalten in einer Absichtserklärung, die von der Leyen und Alijew unterzeichneten. Doch wie realistisch ist dieses Ziel und war es der Auftritt von der Leyens in Baku wert?
Unverbindliche Wunschliste
Die Angabe zur Verdopplung der Gaslieferungen ist die konkreteste in der siebenseitigen Absichtserklärung zwischen EU und Aserbaidschan, die tagesschau.de vorliegt. Allerdings heißt es dazu nur "Die beiden Seiten streben an, den bilateralen Erdgashandel zu unterstützen, ... , je nach wirtschaftlicher Tragfähigkeit und Marktnachfrage."
Neben dem Erdgas geht es um Klimaziele, Energieeffizienz, erneuerbare Energien, Nutzung von grünem Wasserstoff und den Bau von Stromleitungen - jedoch nur mit Formulierungen wie "beide Seiten bemühen sich", "beide Seiten sind bestrebt oder "beide Seiten sind sich einig". Zudem wird betont, dass die Absichtserklärung "keine verbindlichen rechtlichen oder finanziellen Verpflichtungen oder Zusagen" zwischen der EU und Aserbaidschan oder in Bezug auf Dritte begründe.
"Erhebliche Investitionen" nötig
In der Absichtserklärung heißt es, es seien "erhebliche Investitionen in den Ausbau des Pipelinenetzes des Südlichen Gaskorridors und in die vorgelagerte Projektentwicklung" notwendig. Wo diese genau herkommen sollen, wird nicht konkret beschrieben. Die Rede ist von einer "Zusammenarbeit auch mit internationalen Finanzinstitutionen".
Die Unverbindlichkeit liegt unter anderem darin begründet, dass die Erdgasförderung in der Hand von Unternehmen liegt und dass Investoren gefunden werden müssen. Der aserbaidschanische Energiekonzern SOCAR gehört zwar dem Staat. Aber dessen stellvertretender Vizepräsident Vitali Baylarbayov betonte am 5. August bei einer Online-Gesprächsrunde des US-Think-Tanks Atlantic Council, dass umfassende Investitionen von außerhalb notwendig seien. Matthew Baldwin, stellvertretender Generaldirektor für Energie der EU-Kommission, blieb bei der Veranstaltung vage. Er sprach von möglichen privaten Investoren.
Ausbau des Pipeline-Systems
Das Gas gelangt durch den Südlichen Gaskorridor, einem Verbund von Pipelines durch den Südkaukasus in die Türkei, nach Griechenland und Albanien bis nach Italien. Der Abzweig in die EU heißt Trans-Adria-Pipeline und wurde Ende 2020 in Betrieb genommen.
Dem aserbaidschanischen Energieexperten Gubad Ibadoghlu zufolge liegt deren Kapazität derzeit bei zehn Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr und kann für die angestrebten 20 Milliarden Kubikmeter ausgebaut werden. Aber ebenso wie die anderen Abschnitte benötigt die Erweiterung nicht nur Investitionen, sondern auch mindestens die fünf anvisierten Jahre - inklusive der Neuverhandlung bestehender Verträge. Das bestätigte auch SOCAR-Vizepräsident Baylarbayov.
Russischer Konzern Lukoil beteiligt
Gefördert wird das Gas im Schah-Denis-Gasfeld 70 Kilometer südöstlich von Baku. Es liegt im Tiefseegebiet des Kaspischen Meeres. Betreiber ist der britische Konzern BP, der einen Anteil von knapp 30 Prozent hält.
Zweitgrößter Eigner ist seit Februar das russische Konzern Lukoil mit einem Anteil von knapp 20 Prozent. Lukoil ist ein privater Konzern. Im März sprach sich das Unternehmen gegen den Krieg in der Ukraine aus. Doch dessen Chef Vagit Alekperov trat im April zunächst ohne Angabe von Gründen zurück.
Der Umgang mit dem Unternehmer Michail Chodorkowski und seinem Konzern Jukos ist nur ein Beispiel dafür, dass private Unternehmen nicht vor dem russischen Staat sicher sind.
Bündnis mit Russland
Zudem vereinbarte Alijew zwei Tage vor dem russischen Angriff auf die Ukraine ein Bündnis mit Präsident Wladimir Putin. Von einem Reporter befragt, erklärte Alijew, Aserbaidschan wolle auf dem Gasmarkt nicht mit Russland konkurrieren, selbst wenn es vergleichsweise wenig Gas liefern könne. Er betonte darüber hinaus, dass eine Liefersteigerung eine lange Vorlaufzeit benötige.
Energieexperte Ibadoghlu erinnert in einer Kurzanalyse auf der Website der London School of Economics an eine bis heute nicht ganz aufgeklärte Explosion an einer Pipeline in der Türkei vor 14 Jahren. Ein ähnlicher "Unfall" könne sich auch jetzt ereignen, "wenn Russland seine Interessen bedroht sieht".
BP verweist auf Kapazitätsgrenzen
Der britische Konzern BP gibt sich ebenfalls verhalten. Man prüfe, inwieweit die Kapazitäten des Südlichen Gaskorridors ausgebaut werden könnten, zitierte die Nachrichtenplattform Eurasianet BP im Mai. Der Konzern weise außerdem seit Langem darauf hin, dass eine Erhöhung der Förderung nicht aus dem Schah-Denis-Feld geleistet werden könne. Möglich sei die Nutzung von Gas-Reserven im Aseri-Chirag-Guneschli-Feld, aus dem bislang hauptsächlich Öl gepumpt wird. Doch die Investitionen und die Neuverhandlung der Förderverträge würden im günstigsten Fall mehrere Jahre beanspruchen.
Ein Problem für Investoren ist die massive Korruption in Aserbaidschan. Berichte von Organisationen und Medien dazu bringt die Führung durch Einschränkung demokratischer Freiheiten zum Schweigen. Von der Leyen selbst verwies auf die Notwendigkeit, die Bedingungen für das Vertrauen der Investoren zu schaffen.
Gas aus Turkmenistan für den eigenen Bedarf
Um seinen eigenen Bedarf abzudecken, vereinbarte Aserbaidschan im Dezember 2021 einen Gas-Deal mit Turkmenistan. In dessen Rahmen liefert Turkmenistan Gas in den Nordosten des Iran. Aus dem Nordwesten des Iran wiederum wird die gleiche Menge nach Aserbaidschan geliefert. Mit diesem "Swap" wird das Problem umgangen, dass es bislang keine Pipelineverbindung zwischen Aserbaidschan und Turkmenistan gibt. Experten zufolge könnte dieses Geschäft ausgeweitet und turkmenisches Gas nach Europa geliefert werden.
SOCAR-Vizedirektor Baylarbayov äußerte sich jedoch zurückhaltend: Man sei offen für Lieferungen aus Staaten, die Gas zum Südlichen Gaskorridor bringen könnten. Matthew Williams von der EU-Kommission wiederum bestätigte Angaben, wonach bislang drei Prozent des Gasbedarfs der EU aus dem Südkaukasus kommen. Eine Steigerung auf 20 Milliarden Kubikmeter pro Jahr ab 2027 bleibt im Vergleich zu den bisherigen russischen Lieferungen immer noch gering. Sie betrugen 150 Milliarden Kubikmeter.