Warnung von Thüringens Verfassungsschutz "Nicht nur von rechts, sondern auch von links"
Der Chef des thüringischen Verfassungsschutzes, Kramer, warnt vor einer Radikalisierung größerer Bevölkerungsgruppen. Enthemmung gebe es im linken und rechten Spektrum. Kanzler Scholz rief zum gesellschaftlichen Zusammenhalt auf.
In den vergangenen Wochen haben Angriffe auf Politikerinnen und Politiker mehrfach für Schlagzeilen gesorgt. Der thüringische Verfassungsschutzpräsident Stephan Kramer warnte angesichts dieser Gewalt vor einer Radikalisierung unterschiedlicher Gruppen.
"Es ist nicht nur von rechts, sondern eben auch von links, wenn wir uns anschauen, wie Linksextremisten gewalttätig gegen Akteure aus dem rechten Spektrum vorgehen", sagte er im Bericht aus Berlin. Auch wenn man die Demonstrationen zum Thema Israel, die Gewaltausschreitungen an Universitäten betrachte, sehe man, dass sich "beide Lager im Grunde nichts schenken".
Kramer weist AfD-Darstellung zurück
Kramer verwahrte sich gegen Vorwürfe der AfD, Angriffe auf sie würden ignoriert. Sowohl in Verfassungsschutzberichten in Thüringen als auch in anderen Ländern werde darauf hingewiesen, dass es besonders viele Körperverletzungsdelikte gegen AfD-Politikerinnen und -Politiker gebe. Auch die Polizei tue dies.
Radikalisierung und Enthemmung gebe es im linken und rechten Spektrum und der Rechtsstaat müsse dies einhegen. "Es trifft nicht nur die Mandatsträger, sondern auch Menschen, die sich zivilgesellschaftlich im Gesangsverein und im Sportverein engagieren. Wer Haltung zeigt, hat es auf einmal mit entsprechenden Angriffen und Drohungen und Einschüchterungen zu tun."
Klare Kritik an der Politik
Kramer hob auch hervor, dass die Angriffe nicht komplett überraschend kämen und erinnerte an Henriette Reker und an Walter Lübcke. Die heute Kölner Oberbürgermeisterin Reker war 2015 im Wahlkampf schwer verletzt worden. Der CDU-Politiker und Kassler Regierungspräsident Lübcke war 2019 von einem Rechtsextremisten ermordet worden.
Bei der Suche nach den Ursachen für die Radikalisierung verwies Kramer in der ARD auch auf die Politik:
Ich denke, wir brauchen einen anderen Politikstil. Wir brauchen auch eine andere Debattenkultur, wie wir miteinander umgehen. Also wenn auf der einen Seite zum Beispiel Herr Gauland davon redet, 'man will sie jagen' oder auch bei Andrea Nahles 'ab morgen gibt es eins auf die Fresse', dann darf man sich nicht wundern, dass das bei den Bürgerinnen und Bürgern ankommt beziehungsweise dass man sagt: 'Na ja, wenn ihr das könnt, dann können wir das auch'.
Der AfD-Politiker Gauland hatte 2017 nach dem Einzug seiner Partei in den Bundestag angekündigt, die Bundesregierung und Frau Merkel zu "jagen". Die damalige SPD-Fraktionsvorsitzende Nahles sprach ebenfalls 2017 davon, der neuen Regierung "in die Fresse" geben zu wollen. Beide Äußerungen hatten hitzige Debatten ausgelöst.
Viele Menschen fühlten sich bevormundet und nicht mitgenommen, so Kramer. Er sehe auch, dass es Versuche in der Politik gibt, dem entgegenzuhalten. "Aber offensichtlich kommt das bei den Bürgerinnen und Bürgern nicht an."
Scholz fordert mehr Zusammenhalt
Bundeskanzler Olaf Scholz rief zum gesellschaftlichen Zusammenhalt auf. Gewalt bedrohe die Demokratie, sagte er am Samstag bei einer Veranstaltung der RedaktionsNetzwerks Deutschland. "Deshalb müssen wir dagegen zusammenstehen als Bürgerinnen und Bürger und sagen, das lassen wir uns nicht gefallen."
Natürlich müssten die Sicherheitsorgane etwas tun: "Es geht nicht ohne Polizei und auch nicht ohne Nachrichtendienste". Aber es gehe eben auch nicht "ohne uns".
Attacken in Dresden und Berlin
Am 9. Juni finden in Deutschland die Europawahl sowie in mehreren Bundesländern Kommunalwahlen statt. Für Entsetzen hatte vor allem ein Angriff auf den SPD-Kandidaten Matthias Ecke gesorgt, der in Dresden krankenhausreif geprügelt worden war. Er musste operiert werden. In Berlin wurde nach einer Attacke auf Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey ein Verdächtiger vorläufig in der Psychiatrie untergebracht. Auch AfD-Politiker waren mehrfach Ziele von Attacken.