Kampf gegen Rechtsextremismus Die Lehren aus dem Mordfall Lübcke
Ein Jahr ist es her, dass der Kasseler Regierungspräsident Lübcke mutmaßlich von einem Neonazi erschossen wurde. Die Tat schockierte das Land. Politiker sagten Rechtsextremismus und Hetze den Kampf an. Mit Erfolg?
In Erinnerung an den getöteten CDU-Politiker Walter Lübcke hängt ein großes Banner am Kasseler Regierungspräsidium: Die Worte "Demokratische Werte sind unsterblich" prangen an der Behörde, die Lübcke bis zu seinem Tod leitete. Ein stilles Gedenken. Veranstaltungen zum Todestag mussten wegen Corona abgesagt werden.
Am späten Abend des 1. Juni 2019 wurde Lübcke auf der Terrasse seines Hauses in Wolfhagen-Istah aus nächster Nähe in den Kopf geschossen. Er starb noch in der Nacht.
Lübcke leitete das Regierungspräsidium bis zu seinem Tod.
Eine Zäsur: Lübcke ist nicht das erste Opfer von Rechtsextremen, aber offenbar der erste von Rechtsextremen getötete Politiker in der Nachkriegszeit. Über Parteigrenzen hinweg wurde nach seinem Tod der Kampf gegen Rechtsextremismus beschworen.
Der mutmaßliche Mörder Stephan E. ist ein rechter Straftäter, tief verwurzelt in der nordhessischen Neonaziszene. Der Prozess gegen ihn und seinen mutmaßlichen Komplizen Markus H. wird voraussichtlich noch im Juni vor dem Frankfurter Oberlandesgericht starten. Die Bundesanwaltschaft hat E. wegen Mordes angeklagt. Er sei getrieben gewesen von Rassismus, Hass auf den Staat und der fixen Idee, Lübcke für seine Haltung in der Flüchtlingspolitik abzustrafen. Seit 2015 soll er Lübcke im Visier gehabt und über Jahre die Tat geplant haben.
Zielscheibe für rechtsextreme Hetze
Lübcke war immer wieder Ziel für rechten Hass im Netz, er erhielt Morddrohungen. Auch die beiden Angeklagten hetzten unter Pseudonymen im Internet. Sein Tod wurde im Internet hämisch kommentiert, die rechte Hasswelle rollte erneut. Noch bevor der mutmaßliche Täter gefasst war, erhielten Politiker Drohungen, es könne ihnen ähnlich ergehen wie Lübcke. Auf der Trauerfeier sah sich der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) gezwungen, den Angehörigen nicht nur sein Beileid auszudrücken, sondern zu versprechen: Der Hass werde nicht ungestraft bleiben, das Netz sei kein rechtsfreier Raum.
In der hessischen Politik machte sich Tatendrang breit. Das Aktionsprogramm "Hessen gegen Hetze" wurde ins Leben gerufen. Die Landesregierung präsentierte ein Online-Meldesystem für Hass im Netz. "Das wird kein Sprint, das wird ein Dauerlauf", kündigte Bouffier an. Viele Kommunalpolitiker sprachen nach Lübckes Tod öffentlich über den alltäglichen Hass im Netz und tätliche Angriffe.
"Dauerhafter Auftrag zum Kampf gegen Hass"
Noch im Juli 2019 wurde hessenweit eine Sondereinheit von 140 Ermittlern zusammengestellt, die den Druck auf die rechtsextreme Szene, Straftäter und vermeintliche "Schläfer" erhöhen sollte. 80 Razzien wurden seitdem durchgeführt, über 3000 Sicherstellungen und Kontrollen, verkündete der hessische Innenminister Peter Beuth (CDU) vergangene Woche. Lübckes Tod sei ein "dauerhafter Auftrag zum Kampf gegen Hass", so Beuth.
Der neue "Kampf" schlug sich in der Statistik nieder, die Zahl rechter Delikte stieg in Hessen 2019 um 53 Prozent im Vergleich zu den Vorjahren - mehr als in jedem anderen Bundesland. Trotzdem wird sich Beuth wohl noch vielen Fragen zu einem möglichen Versagen der Sicherheitsbehörden im Fall Lübcke stellen müssen, die den Neonazi E. seit 2009 für "abgekühlt" hielten. Ein Untersuchungsausschuss im hessischen Landtag ist in Planung.
Auch im Bund wurden Konsequenzen gezogen: Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) setzte sich dafür ein, im Verfassungsschutz 300 neue Stellen zu schaffen, um Rechtsextremisten besser zu überwachen. Noch im Juni 2019 kündigte er ein Verbot der rechtsextremen Organisation Combat 18 an, zu der auch E. Kontakte gepflegt haben soll. Im Januar folgte das Verbot, Kritiker bemängeln, dass durch die öffentliche Ankündigung Betroffene frühzeitig gewarnt wurden.
"Erschreckend wenig Konsequenzen"
Aber reicht das? Seit Lübckes Tod erschütterten weitere rechtsextreme Morde das Land. In Halle tötete ein Rechtsextremer zwei Passanten, in Hanau erschoss ein Rassist zehn Menschen. Im Frankfurter Prozess gegen E. wird der irakische Flüchtling Ahmed I., wie auch die Familie Lübcke, als Nebenkläger auftreten. Anfang 2016 soll E. den Mann mit einem Messer lebensgefährlich verletzt haben.
Der Anwalt von Ahmed I., Alexander Hoffmann, vertritt seit drei Jahrzehnten Opfer rechter Gewalt. Auch im NSU-Prozess in München vertrat er eine Nebenklage. Er glaubt nicht, dass Lübckes Tod die Politik nachhaltig aufgerüttelt hat: "Ich finde es erschreckend, wie wenige politische Konsequenzen die Ermordung eines politischen Repräsentanten nach sich gezogen hat", sagte er dem Hessischen Rundfunk. Die rechte Ideologie werde weiterhin nicht mit der notwendigen Härte bekämpft: "Eine Gesellschaft, die das nicht schafft, macht mir Angst."