Sexuelle Gewalt gegen Kinder Datenspeicherung gegen die Dunkelziffer
Die Zahl von Fällen sexueller Gewalt gegen Minderjährige bewegt sich laut Bundeskriminalamt weiter auf einem hohen Niveau. Ermittler fordern bessere Rahmenbedingungen für die Verfolgung von Tätern, vor allem digital.
In Deutschland haben die Behörden laut dem Bundeskriminalamt im vergangenen Jahr 17.437 Kinder registriert, die Opfer von sexueller Gewalt wurden. Die Zahlen entsprechen 2022 damit zwar in etwa denen des Vorjahres. Das Ausmaß aber wird dann deutlich, wenn man die Daten herunterbricht.
"In Deutschland werden also pro Tag 48 Kinder Opfer sexueller Gewalt", sagt Holger Münch, er ist Präsident des Bundeskriminalamtes. "Das zeigt wie dramatisch das Ausmaß der Taten ist."
Mehr Einsatz bei Dunkelfeldforschung
Das gilt umso mehr, weil es dabei ausschließlich um das so genannte "Hellfeld" geht - also der Polizei bekannt gewordene Fälle. Und auch die gelangen erst dann in die Statistik, wenn sie ausermittelt sind. Deshalb lautet die erste Forderung von Münch und vor allem von Kerstin Claus, der Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs: Das Dunkelfeld muss stärker erforscht werden, etwa durch Befragungen.
Claus ist überzeugt, dass "wir diese Dunkelfeldforschung aus vielen Gründen brauchen: damit Politik zielgerichtet und qualitativ richtig entscheiden kann, damit Ressourcen konsequent zielgerichtet eingesetzt werden können, damit dort vor Ort, in den Kommunen, in den Ländern Maßnahmen ergriffen werden". Und auch, damit auch der Bund seinen Teil dazu beitragen könne, Kinder und Jugendliche besser zu schützen, so Claus.
Die Beauftragte fordert, dafür ein "Nationales Zentrum" zu gründen. Sie geht von Forschungskosten von rund 1,7 Millionen Euro pro Jahr aus.
Diesen hohen, aber etwa gleichbleibenden Zahlen der sexuellen Gewalt an Kindern stehen deutlich gestiegene Werte bei Missbrauchsdarstellungen und Pornografie gegenüber. Dabei erfasst die Polizei ein Plus von über zehn Prozent, im Vorjahreszeitraum war es sogar ein Plus von über 100 Prozent.
Längere Datenspeicherung als Schutzmaßnahme
Grund dafür ist auch eine Gesetzesverschärfung von 2021, die die Verbreitung entsprechender Aufnahmen zu einem Verbrechen hochstuft. Ermittlungen zu Verbrechen aber können nicht aus Geringfügigkeit eingestellt werden. So gelangen etwa auch Klassenchats in das Raster der Fahnder, bemängelt BKA-Chef Münch.
Eine andere Einstufung würde der Polizei und der Justiz ein differenziertes Vorgehen ermöglichen, meint Münch. Es stehe dabei die Frage im Raum, hinter welchem Hinweis tatsächlich eine pädophile Tat zu sehen sei. "Und wo wurde ein Inhalt nur geteilt, etwa aus kindlicher Naivität oder aus elterlicher Sorge?"
Eine Gesetzesänderung will auch die Ampel-Regierung, noch liegt dazu aber kein Entwurf vor. Die dritte Forderung der beiden Experten lautet - wie auch schon im Vorjahr: IP-Adressen von Computern müssten länger gespeichert werden, um so Täter ermitteln zu können. Die Daten einen Monat zu speichern, so schlägt BKA-Chef Münch es vor, würde Ermittlungserfolge deutlich steigern. Im März hat der Bundestag darüber diskutiert, insbesondere die FDP warnte aber vor einer "anlasslosen Dauerüberwachung".
Flut an Inhalten bedroht Kinder
Für Kerstin Claus bedeutet die ständige Verfügbarkeit gewalttätiger und sexualisierter Bilder gerade für Kinder eine Überforderung. Wie sollen denn bei einer solchen Bilderflut noch Warnlampen angehen, fragt sie. "Das Erkennen von 'Hier droht Gefahr' wird natürlich systematisch außer Kraft gesetzt, wenn Kinder mit diesem Material immer wieder konfrontiert und in Teilen überschwemmt werden", bemängelt die Beauftragte.
Claus verlangt deshalb, Anbieter stärker in die Pflicht zu nehmen, so wie dies auch die Europäische Union anstrebt.