Grünen-Chefin über Umfragewerte "Wir haben Versprechen nicht eingelöst"
Enttäuschung nach der Pandemie kostete die Grünen die Unterstützung vieler junger Menschen, glaubt Ricarda Lang. Eine Kanzlerkandidatur hält die Grünen-Chefin aber für möglich. Der Anwärter wäre für sie alternativlos.
Grünen-Chefin Ricarda Lang führt die jüngsten Verluste ihrer Partei und die Zugewinne der AfD bei Jungwählern auch auf Enttäuschungen nach der Coronapandemie zurück. "Wir waren zu sehr im Krisenmodus gefangen", sagte sie im ZDF-"Sommerinterview".
Nach der Pandemie habe sich der Fokus sehr schnell auf die Folgen des Ukraine-Kriegs für Deutschland verlagert - die Interessen der Jugendlichen seien dabei zu kurz gekommen. "Da hatten viele junge Menschen das Gefühl 'Und wo bleiben wir? Sieht man eigentlich, was wir geleistet haben, was wir entbehrt haben und kommt da von der Politik noch was?'", so Lang weiter. "Corona war für viele junge Menschen nochmal einschneidender als für viele Erwachsene."
Bei der Bundestagswahl im zweiten Corona-Jahr 2021 hätten viele junge Menschen Hoffnungen in die Grünen und die FDP gesetzt, die damals am besten bei Erstwählern abschnitten. "Das Versprechen haben wir nicht eingelöst", kritisierte Lang die Politik ihrer Partei. Nun müssten die Bedürfnisse junger Menschen wieder in den Fokus gerückt werden, mahnte Lang. Sie nannte etwa die Bildungspolitik.
Bei der Europawahl im Juni hatten die Grünen hohe Verluste hinnehmen müssen, die auch auf einen Einbruch bei den Stimmen von jungen Wählerinnen und Wählern zurückzuführen waren.
Jemand anderes als Habeck? "Ich sehe gerade niemand."
Die Aufstellung eines Kanzlerkandidaten der Grünen zur nächsten Bundestagswahl hielt Lang trotz derzeit schwacher Umfragewerte grundsätzlich offen. "Wir sehen, dass das Parteiensystem sich schon grundlegend verändert hat", sagte sie. Wenn nur noch Parteien mit 30 Prozent es machen könnten, hätte man jetzt genau eine Kanzlerkandidatur, sagte Lang mit Blick auf die Union. "Ich glaube, das wäre nicht so gut für die Demokratie."
Die Co-Vorsitzende fügte hinzu, dass die Grünen sich mit ihren Umfragewerten von derzeit 13 Prozent natürlich nicht zufriedengeben könnten. "Wenn wir sagen, wir wollen für die Breite des Landes Politik machen, dann muss das wieder mehr werden. Und daran arbeiten wir jetzt."
Die Entscheidung, mit wem an der Spitze die Grünen in die Bundestagswahl 2025 gehen, solle in diesem Jahr gefällt werden, machte die Parteichefin deutlich. Auf die Frage, ob es außer Vizekanzler Robert Habeck jemand anderen dafür geben könne, sagte sie: "Ich sehe gerade niemand." Alle weiteren Entscheidungen würden aber später gefällt, "weil wir nicht das Gefühl haben, dass jetzt über ein Jahr vor der Wahl die Leute sich vor allem für Personalfragen interessieren."
Habeck gilt als klarer Favorit für eine mögliche Kanzlerkandidatur, nachdem Außenministerin Annalena Baerbock erklärt hatte, nicht erneut dafür antreten zu wollen. Mit ihr als Kanzlerkandidatin waren die Grünen bei der Bundestagswahl 2021 auf 14,7 Prozent gekommen.