Drohung an NATO-Staaten Steinmeier nennt Trump-Äußerung "verantwortungslos"
Trumps NATO-Drohung sorgt für scharfe Kritik. Bundespräsident Steinmeier mahnte, die Äußerungen ernst zu nehmen, auch wenn in den USA Wahlkampf sei. Kanzler Scholz sagte, Trumps Drohung sei "einzig und allein im Sinne Russlands".
Aussagen des US-Präsidentschaftsbewerbers Donald Trump zum Beistand in der NATO stoßen in Deutschland auf scharfe Kritik. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sagte: "Diese Äußerungen sind verantwortungslos und spielen sogar Russland in die Hände." Daran könne niemand im Bündnis ein Interesse haben.
Steinmeier sagte auf einer Pressekonferenz mit Zyperns Präsident Nikos Christodoulidis, in den USA sei Wahlkampf, manches sei provokativ. "Aber auch wenn es provokativ ist, heißt es nicht, dass wir es nicht ernst nehmen sollten." Zugleich appellierte er an die Europäer, nicht so zu tun, als sei die Wahl in den USA schon entschieden.
Scholz: "Unverantwortlich und gefährlich"
Ähnlich äußerte sich Bundeskanzler Olaf Scholz. "Jegliche Relativierung der Beistandsgarantie der NATO ist unverantwortlich und gefährlich", sagte Scholz. Derartige Äußerungen seien "einzig und allein im Sinne Russlands". Das Schutzversprechen der NATO gelte "uneingeschränkt: alle für einen, einer für alle", bekräftigte der SPD-Politiker.
Bei einem Wahlkampfauftritt am Samstag hatte der ehemalige US-Präsident deutlich gemacht, dass er NATO-Partner, die ihren finanziellen Verpflichtungen nicht nachkommen, keinen Schutz vor Russland gewähren würde. Ein "Präsident eines großen Landes" habe ihn einmal gefragt, ob die USA dieses Land auch dann noch vor Russland beschützen würden, wenn es die Verteidigungsausgaben nicht zahle, sagte Trump. Er habe geantwortet: "Nein, ich würde euch nicht beschützen." Er würde Russland dagegen "sogar dazu ermutigen, zu tun, was auch immer zur Hölle sie wollen".
Es war dabei unklar, ob es jemals so ein Gespräch zwischen Trump und einem Staatschef gegeben hat, denn der Republikaner sagte auch: "Nehmen wir an, das ist passiert." Trump wird im November aller Voraussicht nach als Kandidat der US-Republikaner erneut ins Rennen um die Präsidentschaft gehen.
"Unberechenbar, skrupellos und unzuverlässig"
Auch mehrere deutsche Außenpolitiker äußerten sich alarmiert. "Donald Trumps irrlichternde Äußerungen zu den vertraglichen Verpflichtungen der USA im Fall des Angriffs auf ein NATO-Mitglied beweisen erneut, wie unberechenbar, skrupellos und unzuverlässig er ist", sagte der Transatlantik-Koordinator der Bundesregierung, Michael Link (FDP), dem "Tagesspiegel".
Der Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour bezeichnete die Äußerungen als bedrohlich für die gemeinsame Sicherheit und "leichtsinnig gegenüber der NATO". Der frühere Außenminister Sigmar Gabriel sagte, die Aussage sei wie eine Einladung an den russischen Präsidenten Wladimir Putin, das Verteidigungsbündnis zu testen. "Der testet uns dann nicht in Deutschland, aber vielleicht im Baltikum", warnte der SPD-Politiker im Deutschlandfunk.
CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen sagte, ein Sieg Trumps bei der Präsidentschaftswahl im Herbst würde die NATO in eine existenzielle Krise stürzen. "Wer aus seiner Sicht nicht ausreichend zahlt, wird von den USA nicht beschützt", sagte er der "Bild". Deutschland müsse daher "verstehen, dass wir schon bald gar keine andere Wahl mehr haben könnten, als uns selbst zu verteidigen, und das in einer Zeit, in der in Europa Krieg herrscht. Wir müssen das als Europäer schaffen, weil alles andere eine Kapitulation vor Putin wäre."
"NATO kein Militärbündnis 'à la carte'"
Auch auf europäischer Ebene löste Trumps Drohung massive Kritik aus. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell betonte, das Militärbündnis könne nicht von der Laune des US-Präsidenten abhängen. "Die NATO kann kein Militärbündnis 'à la carte' sein", sagte Borrell. Es könne nicht "jetzt ja, morgen nein" heißen. Das Bündnis existiere, oder es existiere nicht.
"Es gibt keine Alternative zur EU, zur NATO, zur transatlantischen Zusammenarbeit", sagte der Regierungschefs Polens, Donald Tusk. Europa müsse ein sicherer Kontinent werden und bereit sein, die eigenen Grenzen zu verteidigen.
"Weckruf an die Europäer"
Die estnische Ministerpräsidentin Kaja Kallas und ihre dänische Kollegin Mette Frederiksen sprachen von einem Weckruf an die Europäer, mehr Geld in die Rüstung zu stecken. "Ich denke, was der amerikanische Präsidentschaftskandidat gesagt hat, ist auch etwas, um vielleicht einige der Verbündeten aufzuwecken, die nicht so viel getan haben", betonte Kallas.
"Egal, was in den USA passieren wird dieses Jahr: Ich denke, die Entscheidung muss bereits jetzt getroffen werden, dass Europa stärker wird", sagte die Frederiksen.
Zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigung
Die NATO-Länder hatten sich 2014 darauf verständigt, bis 2024 zwei Prozent ihrer Wirtschaftsleistung für Verteidigung auszugeben. Die Bundesregierung wird dieses Ziel 2024 nach eigenen Angaben erreichen, auch dank des 100-Milliarden-Euro-Sonderkredits für die Bundeswehr. Finanzminister Christian Lindner hatte zudem versichert, dass dies auch über das Jahr 2028 hinaus so bleiben werde, wenn das Geld aus dem Sondertopf ausgegeben sein wird.
In der NATO gilt eine Beistandsklausel, die in Artikel 5 des Vertrags geregelt ist: Er besagt, dass ein bewaffneter Angriff gegen einen oder mehrere Alliierte als ein Angriff gegen alle angesehen wird. Bislang wurde dieser Bündnisfall erst einmal ausgerufen: 2001 nach den Terroranschlägen von Al Kaida auf die USA.