Diplomatischer Streit Polen beschränkt Waffenlieferungen an die Ukraine
Polen hat angekündigt, zunächst keine neuen Waffen an die Ukraine zu liefern. Bereits vereinbarte Lieferungen würden aber weiter laufen, so ein Regierungssprecher. Grund seien "absolut inakzeptable Äußerungen". Die polnische Opposition ist empört.
Polen hat angekündigt, seine Waffenlieferungen an die Ukraine auf bereits abgeschlossene Verträge zu beschränken. "Im Zusammenhang mit Fragen zu Waffenlieferungen möchte ich Ihnen mitteilen, dass Polen nur zuvor vereinbarte Lieferungen von Munition und Rüstungsgütern ausführt", sagte Regierungssprecher Piotr Müller.
Müller kritisierte, von der ukrainischen Seite habe es zuletzt eine Serie von "absolut inakzeptablen Äußerungen und diplomatischen Gesten gegeben." Zuvor hatte Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki mit einer Äußerung über Waffenlieferungen an Kiew für Spekulationen gesorgt.
Der polnische Oppositionsführer Donald Tusk verurteilte die Ankündigung der Regierung. Es sei ein "moralischer und geopolitischer Skandal", dass Ministerpräsident Morawiecki und andere Entscheidungsträger der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) der Ukraine politisch in den Rücken fielen, nur weil es ihnen im Wahlkampf von Nutzen sein könnte, sagte Tusk.
Strack-Zimmermann bringt "Patriot"-Abzug ins Spiel
Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) brachte im Gespräch mit dem "Spiegel" Konsequenzen ins Spiel. "Sollte die polnische Regierung aus innenpolitischer Stimmungsmache heraus der Ukraine keine Waffen mehr liefern wollen, sollte Deutschland erwägen, seine in Polen stationierten Flugabwehrraketensysteme direkt in die Ukraine zu verlegen", sagte die 65-Jährige.
Für "solche durchsichtigen innenpolitischen Wahlkampfmanöver" der polnischen Regierung dürfe es in Europa "in Zeiten der brutalen russischen Aggression" keinen Platz geben, so Strack-Zimmermann weiter. "Eigentlich dürfte Polen das deutlich besser wissen als wir", fügte sie hinzu.
Seit Beginn des Jahres sind drei "Patriot"-Flugabwehrraketensysteme der Bundeswehr im Osten Polens stationiert. Deutschland wolle damit dem Sicherheitsbedürfnis Polens Rechnung tragen, so Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) im vergangenen Monat. Vorgesehen ist, dass die Luftverteidigungssysteme dort bis zum Jahresende verbleiben.
Zitate Morawieckis unterschiedlich ausgelegt
Regierungssprecher Müller betonte aber, dass von dem Schritt nicht die bereits vertraglich mit der Ukraine vereinbarten Exporte betroffen sind. Dazu gehöre auch der größte Auslandsvertrag, den die polnische Rüstungsindustrie nach 1989 abgeschlossen habe - die Lieferung der Kanonenhaubitze "Krab".
In einem am Mittwochabend geführten Interview des Fernsehsenders "Polsat News" hatte Regierunsgchef Morawiecki auf die Frage des Moderators, ob Polen trotz des Getreidestreits die Ukraine weiter bei Waffenlieferungen und humanitärer Hilfe unterstützen werde, entgegnet: "Wir liefern schon keine Rüstungsgüter mehr an die Ukraine, sondern rüsten uns selbst mit den modernsten Waffen aus." Morawiecki führte weiter aus, Polen haben seine Bestellungen für Rüstungsgüter enorm erweitert. Die eigenen Streitkräfte sollten so modernisiert werden, dass Polen über eine der stärksten Landarmeen Europas verfügen werde, sagte Morawiecki.
Während seine erste Aussage zu den Rüstungsgütern klar formuliert schien, deutete der Kontext des Interviews darauf hin, dass Morawiecki eher keinen vollständigen Stopp der polnischen Waffenlieferungen an Kiew gemeint haben dürfte. Vielmehr schien er darauf abzuheben, dass Polen nicht nur Waffen an das Nachbarland liefere, sondern parallel dazu auch die eigene Armee aufrüste. Dennoch war seine Äußerung in mehreren polnischen und internationalen Nachrichtenportalen so interpretiert worden, dass Polen keine Waffen mehr an Kiew liefern wolle.
Ton wurde zuletzt rauer
Das EU- und NATO-Land Polen ist bislang einer der wichtigsten politischen und militärischen Unterstützer der Ukraine. Polen hatte aber wie Ungarn an Importbeschränkungen für ukrainisches Getreide festgehalten, nachdem die EU-Kommission entsprechende Beschränkungen aufgehoben habe. Dies hatte Kiew erbost. Zuletzt war der Ton zwischen beiden Ländern immer rauer geworden.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach in der UN-Generaldebatte am Dienstag von Freunden in Europa, die "ein politisches Theater der Solidarität aufführen und einen Thriller aus dem Getreide machen." Diese Länder würden nur scheinbar in ihren eigenen Rollen auftreten, aber die Bühne für den Schauspieler aus Moskau vorbereiten. Das Außenministerium in Warschau bestellte daraufhin den ukrainischen Botschafter ein. Andersherum war das vor etwa anderthalb Monaten der Fall.
Polens Staatsoberhaupt Andrzej Duda wiederum sagte, die Ukraine sei wie ein Ertrinkender, der seinen Retter packen und in die Tiefe ziehen könnte. Regierungschef Morawiecki drohte damit, noch weitere ukrainische Agrarprodukte mit Importverboten zu belegen. Nun spielt Polen die Karte mit der Militärhilfe. Nach Berichten des polnischen Portals Onet.pl soll das NATO-Mitgliedsland allerdings auch derzeit keine Waffensysteme mehr haben, die es ohne Gefahr für die eigene Verteidigungsfähigkeit an die Ukraine abgeben könne.
USA verweisen auf Wahlkampf
Polens Regierungssprecher Müller betonte, Polen habe dem Nachbarland gleich nach Beginn des russischen Angriffskrieges Panzer, gepanzerte Fahrzeuge, Flugzeuge und Munition zur Verfügung gestellt. "Als andere Länder noch über die Unterstützung diskutierten, hat Polen konsequent geholfen, den russischen Angriff abzuwehren", so Müller.
Ein ranghoher US-Regierungsfunktionär sagte der Nachrichtenagentur AP, die Aussagen Morawieckis werte man in Washington nicht als Zeichen, dass die westliche Geschlossenheit bei der Unterstützung der Ukraine Risse bekomme. Jedes dieser Unterstützerländer habe seine eigenen innenpolitischen Themen, sagte der Regierungsfunktionär, der anonym bleiben wollte. "Einige dieser Länder sind mitten in Wahlkämpfen, deshalb sind sie auch gerade damit beschäftigt, Botschaften an ihr Publikum zu verbreiten".
Die regierende, rechtsnationale PiS wird vor der Parlamentswahl am 15. Oktober von der rechtspopulistischen Partei Konföderation attackiert, die argumentiert, die Waffenlieferungen für die Ukraine und die Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge im Land würden international nicht ausreichend gewürdigt. Polen hat der Ukraine unter anderem Leopard-Panzer und Kampfflugzeuge des Typs MiG aus der Sowjetzeit geliefert.