Netanyahu in Berlin Spagat zwischen Gedenken und klaren Worten
Vom Kanzler war beim Besuch des israelischen Ministerpräsidenten ein Spagat gefragt: zwischen Gedenken an den Holocaust und klaren Worte zur politischen Situation in Israel. Am Ende übte Scholz Kritik - aber leise.
Sichtlich nervös waren viele am Morgen, als der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu in Berlin ankam und auf Bundeskanzler Olaf Scholz wartete. Netanyahu stand umringt von zahlreichen Sicherheitsbeamten am Gleis 17, ein Mahnmal, das an die Deportation jüdischer Bürger durch die Reichsbahn erinnern soll. Hier erinnerte er mit Kanzler Scholz an die deutsche Geschichte und die zahlreichen Toten, um sich dann der deutsch-israelischen Freundschaft zu versichern.
Es war ein sehr ruhiges und nachdenkliches erstes Treffen der beiden in Berlin-Grunewald. Nur wenige Kilometer weiter bauten sich über den Tag hinaus die Proteste in Berlin auf. Sie demonstrierten, ähnlich wie Protestbewegungen der vergangenen Tage in Israel, gegen die geplante Justizreform des israelischen Ministerpräsidenten. Der Vorwurf wurde seit Tagen immer lauter, dass Netanyahu mit seiner Reform die unabhängige Justiz schwächen werde und damit die demokratische Gewaltenteilung aufgehoben werde. Von einer Diktatur ist gar die Rede, die Stimmung in Israel ist angespannt.
Deutliche Worte von Scholz vorab gefordert
So war seit Tagen der Besuch des israelischen Ministerpräsidenten auch politisch aufgeladen und immer wieder stand die Frage im Raum, welche deutlichen Worte Kanzler Scholz nun gegenüber seinem Gast finden würde? Am Mahnmal Gleis 17 war auch Josef Schuster, Präsident des Zentralrates der Juden, und hoffte auf deutliche Aussagen des Kanzlers. Auf die Frage, wie die klaren Worte des Kanzlers aussehen könnten, war zumindest Schuster deutlich: "Man muss klar kritisieren, dass eine Verfassungsänderung die Gewaltenteilung zwischen Parlament und Recht aushebelt und das nicht mit demokratischen Grundsätzen zu vereinbaren ist", sagte er. Er hoffe darauf, dass wenn der Kanzler solche Worte finde, sie nicht einfach an Netanyahu abperlten.
Gespannt wurde also auf den Termin am Nachmittag im Kanzleramt geschaut, ein Termin, bei dem Netanyahu und Scholz sich austauschten. Im Vorfeld hofften so einige, dass der Kanzler dem israelischen Ministerpräsidenten zumindest im Vier-Augen-Gespräch deutlich macht, welche Position Deutschland zur israelischen Justizreform hat.
Sorge, aber keine zu laute Kritik
Umso erstaunlicher war es, als die beiden Staatschefs fast gut gelaunt mit mehr als einer Stunde Verspätung im Kanzleramt vor die Presse traten. Der Kanzler übte dann Kritik auf seine Art. Er habe "große Sorge" hinsichtlich der geplanten Justizreform. Die Unabhängigkeit der Justiz sei ein "hohes demokratisches Gut", so Scholz, der dabei immer wieder zu Netanyahu blickte. Man sei sich darin einig - so die Botschaft. War diese Kritik laut genug? Perlten diese Wort an dem israelischen Ministerpräsidenten gar ab?
Zumindest ließ Netanyahu keine Kritik an seinem Vorhaben zu - weder von Journalistinnen und Journalisten im Kanzleramt, noch ging er wirklich auf die "großen Sorgen" des Kanzlers ein. Kritik an der Justizreform sei "absurd", gar "lächerlich", erwiderte er. Israel werde "ständig verleumdet", Israel bleibe eine Demokratie. Immer wieder betonte Netanyahu, was für eine liberale Demokratie Israel doch sei, wie er sich für mehr Rechte zum Beispiel für Frauen oder für die LGBTQ-Community einsetze. Und mehrere Male verwies auch der Kanzler auf die Wichtigkeit von Demokratie - und wie man sich doch darin einig sei.
So half auch Scholz' Hinweis auf einen Kompromissvorschlag des israelischen Staatspräsidenten Isaac Herzog zur geplanten Justizreform nicht besonders viel. Der Kanzler hoffe, dass da "nicht das letzte Wort" gesprochen sei. Herzog hatte am Mittwoch einen Plan veröffentlicht, der nach seinen Worten gleichzeitig das Parlament und die Regierung stärken sowie eine unabhängige Justiz gewährleisten solle. Netanyahu lehnte diesen Vorschlag aber vor seiner Reise nach Deutschland bereits vehement ab. So war der Hinweis von Scholz auf diesen Kompromiss das höchste der kritischen Anmerkungen, die an diesem Nachmittag noch fielen.
Enttäuschung vor dem Brandenburger Tor
Denn mehr Kritik an der geplanten Justizreform in Israel, die die Demokratie gefährden könnte, gab es vom Kanzler einfach nicht. Stattdessen appellierte Scholz erneut an Israelis und Palästinenser, eine Zweistaatenlösung als "nachhaltige Lösung" auszuhandeln, alle Aktivitäten zu stoppen, darunter auch den Bau weiterer israelischer Siedlungen. Außerdem stand das Verhältnis zum Iran im Vordergrund, die Angst, dass das Land Atomwaffen produzieren könne. Israel werde alles Nötige dafür tun, um das zu verhindern. Auch für den Kanzler habe das Priorität. Israel und Deutschland eine die Sorge darüber, "dass Iran neue Schritte der Eskalation gegangen ist und eine sehr hohe Anreicherung von Uran betrieben habe", so der Kanzler. Eine diplomatische Lösung müsse her. Der Fokus der Gespräche war also klar.
Am Ende ließen die Worte des Kanzlers viele Demonstrantinnen und Demonstranten vor dem Brandenburger Tor, die gegen den Besuch protestierten, enttäuscht zurück. Zu sehr stand der israelische Staatsbesuch in der Kritik, zu sehr erhofften sich viele deutliche Ansprachen vom Kanzler. Doch der blieb sich treu, als Diplomat und Kanzler, der nicht zu laut kritisiert - zumindest nicht öffentlich.