Melnyks letzter Arbeitstag in Berlin Der Scharfzüngige geht
Heute hat der ukrainische Botschafter Melnyk seinen letzten Arbeitstag in Berlin. Die einen störten sich an seinem Stil, andere würdigten ihn als unermüdlichen Streiter für sein Land. Eines war er nie: leise.
Einen Botschafter mit derart klaren Botschaften hat Deutschland selten erlebt. Was vor allem daran liegen dürfte, dass sich Andrij Melnyk nie wirklich in der Rolle des filigranen Diplomaten gesehen hat - sondern eher in der eines Lebensretters. Eines Lebensretters seines Landes, das sich spätestens seit Ende Februar buchstäblich im Überlebenskampf befindet - und das Melnyk mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln vor dem Untergang zu bewahren sucht.
"Ich betrachte das als Hilferuf. Wenn jemand ertrinkt, dann ist man nicht höflich. Da muss man schreien. Und manchmal auch ein bisschen lauter werden als sonst", entschuldigte Andrij Melnyk seine bisweilen robuste Ausdrucksweise vor kurzem bei "Maischberger" in der ARD.
Provokation als Markenzeichen
Eines jedenfalls hat sich der 47-Jährige gewiss noch nie vorwerfen lassen müssen: Dass man bei ihm mühsam zwischen den Zeilen lesen muss. Zuletzt war es Tesla-Chef Elon Musk, dessen in der Tat unausgegorenen "Friedensplan" für die Ukraine Melnyk auf Twitter mit einem unzweideutigen "Fuck off" bedachte. Altkanzlerin Angela Merkel warf er "Besessenheit mit dem Terror-Staat Russland" vor, Bundeskanzler Olaf Scholz bezeichnete er als "beleidigte Leberwurst" wegen dessen anfänglicher Weigerung, in die angegriffene Ukraine zu reisen.
"Natürlich hat dieser Botschafter Emotionen erregt - positive wie negative", so drückte es Wolfgang Ischinger, selbst einst Diplomat, aus. Und stapelte damit gewaltig tief: Die Provokation, meinten Beobachter, sei bei Melnyk genauso zum Markenzeichen geworden wie seine stets adrette Kleidung und die markante Hornbrille.
Der Botschafter, den Deutschland verdient?
Seine Fürsprecher hingegen betonten: Melnyk sei genau der Botschafter, den Deutschland verdiene. Beschlich doch so manchen Beobachter bisweilen der Eindruck, als arbeiteten sich die Deutschen leidenschaftlicher an dem Abgesandten aus Kiew ab, als sich Gedanken darüber zu machen, wie sie dessen Land mit Waffen in ihrem Abwehrkampf gegen Putin unterstützen könnten.
"Ich habe ihm mal in einem Streitgespräch gesagt, dass seine Inhalte wichtig seien, aber er sprachlich die Verpackung ändern müsse", erklärte die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann dem ARD-Hauptstadtstudio. Die Melnyk aber - trotz der attestierten Verpackungsmängel - dankbar ist für den Druck, den er stets auf die Bundesregierung ausübte, schneller mehr Unterstützung für die Ukraine zur Verfügung zu stellen - auch und gerade bei Waffenlieferungen. „Es ist die verdammte Pflicht der deutschen Freunde, endlich etwas zu tun und nicht nur zu reden“, forderte der Jurist Melnyk schon in den ersten Kriegswochen.
Was der undiplomatische Diplomat aber vor allem tat: Er zwang die Deutschen, in den Spiegel zu schauen. Konfrontierte sie - tagtäglich - auch mit den Irrtümern der Vergangenheit. Mit der Nord-Stream-2-Pipeline. Mit der kolossal gescheiterten Russland-Politik der vergangenen Jahre. Vielleicht war es das, was für so manchen in der deutschen Polit-Prominenz am schwierigsten zu verdauen war.
Ende eines "Traumjobs"
Dass Melnyk persönlich allerdings auch noch einiges aufzuarbeiten hat, daran scheint selbst für sein Ministerium kein Zweifel zu bestehen: Versuchte Melnyk doch im "Jung und Naiv"-Interview hartnäckig, den ukrainischen Nationalisten Stepan Bandera reinzuwaschen, der mit den Nationalsozialisten gemeinsame Sache gemacht hatte und Mitverantwortung trägt für den Massenmord an Polen und Juden im Zweiten Weltkrieg. Dafür gebe es keine Beweise, behauptete Melnyk. Dabei sind die historischen Belege unzweifelhaft. Ob genau dies der Grund für seine Abberufung nach mehr als sieben Jahren in Deutschland ist, ließ man in Kiew offen.
Seinen "Traumjob" jedenfalls, wie er ihn einst nannte, wird Melnyk nun los. Dass aber umgekehrt Deutschland Melnyk so ganz loswird, ist nicht zu erwarten: Auch in seiner neuen Funktion im ukrainischen Außenministerium dürfte der Rückkehrer den "wichtigsten Verbündeten und Partner in Europa", wie Melnyk Deutschland nennt, im Blick behalten.
"Ich hoffe, dass die Deutschen, die sich beleidigt fühlen, auch ein bisschen Nachsicht haben, wenn ich weg bin", warb der scheidende Botschafter unlängst für Verständnis. Und war bei diesen Worten ausnahmsweise einmal ganz und gar Diplomat.