Ukrainische Botschafter Kiew distanziert sich von Melnyk-Äußerungen
Mit neuen Äußerungen zum früheren Nationalistenführer Bandera hat der ukrainische Botschafter Melnyk vor allem in Polen für Kritik gesorgt - nun distanzierte sich das Außenministerium in Kiew von Melnyks Aussagen.
Das ukrainische Außenministerium hat sich von Äußerungen ihres Berliner Botschafters, Andrij Melnyk, distanziert. Es geht um Äußerungen Melnyks, in denen er den umstrittenen ukrainischen Nationalistenführer Stepan Bandera verteidigt und historischen Begebenheiten widerspricht. In einer Erklärung heißt es: "Die Meinung des ukrainischen Botschafters in Deutschland, Andrij Melnyk, die er in einem Interview mit einem deutschen Journalisten ausgedrückt hat, ist seine persönliche und gibt nicht die Position des ukrainischen Außenministeriums wider."
In dem Interview mit dem Journalisten Tilo Jung für dessen Onlineformat "Jung und Naiv" bestritt Melnyk, dass es Beweise für den Massenmord an Juden durch Anhänger des ukrainischen Nationalistenführers Bandera gebe. "Bandera war kein Massenmörder von Juden und Polen", sagte der Botschafter. Die persönliche Teilnahme Banderas am Völkermord seien nicht belegt, so Melnyk weiter. Bandera sei auch kein Teil des Holocaust gewesen. Es gebe diese Narrative durch die russische Seite, doch das sei nicht korrekt, beharrte Melnyk.
Massaker mit Zehntausenden Opfern
Zudem dementierte Melnyk, dass Bandera mit den deutschen Nationalsozialisten kollaboriert hat. Bandera war ideologischer Führer des radikalen Flügels der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN). Nationalistische Partisanen aus dem Westen der Ukraine waren 1943 für ethnisch motivierte Vertreibungen 1943 verantwortlich, bei denen Zehntausende polnische Zivilisten ermordet wurden. Bandera selbst wurde von 1941 bis 1944 im KZ Sachsenhausen gefangen gehalten. Nach dem Zweiten Weltkrieg ging er nach Deutschland, wo er 1959 von einem Agenten des sowjetischen Geheimdienstes KGB ermordet wurde.
Auf die Massenmorde an polnischen Zivilisten angesprochen sagte Melnyk, es habe auf gleiche Weise die gleichen Massaker der Polen gegenüber der Ukraine gegeben. Es habe sich um einen Krieg gehandelt und "die Polen" wollten "diese Geschichte" jetzt politisieren.
Um historische Beweise zu liefern, zitierte Jung ein Flugblatt, welches Bandera damals verteilt haben soll: "Moskowiten, Polen, Ungarn und Juden sind deine Feinde, vernichte sie!" Melnyk gibt sich unwissend. "Ich werde Dir heute nicht sagen, dass ich mich davon distanziere. Und das war's!", so der Botschafter schließlich.
Die auf die Ukraine spezialisierte Historikerin Franziska Davies schrieb auf Twitter: "Zu sagen, 'Bandera war kein Massenmörder', ist spitzfinding von Melnyk. Bandera ist keine persönliche Beteiligung an den Massenmorden nachzuweisen, er wurde kurz nach Kriegsbeginn von den Deutschen inhaftiert. Aber er war eine zentrale Figur der OUN. Wie viele Nazis haben nicht persönlich gemordet? Massenmörder sind sie trotzdem. Wie gehen wir mit diesen Leugnungen um?"
Kritik aus Polen
Melnyk wurde für seine Aussagen vor allem in Polen scharf kritisiert. Der polnische Außenminister Zbigniew Rau gab auf Twitter bekannt, dass er über die Aussagen des Botschafters mit dem ukrainischen Außenministerium gesprochen hat. Er bedankte sich für die "schnelle öffentliche Intervention in dieser Angelegenheit."
In der Stellungnahme des ukrainischen Außenministeriums wurden die guten Beziehungen zwischen der Ukraine und Polen hervorgehoben. Man danke Warschau für die derzeitige "beispiellose Hilfe" im Krieg gegen Russland. "Wir sind überzeugt, dass die Beziehungen zwischen der Ukraine und Polen derzeit auf ihrem Höhepunkt sind." .
Melnyks Haltung provoziert schon länger
Der ukrainische Botschafter, der dem Außenministerium unterstellt ist, provoziert immer wieder mit seiner Haltung zum Nationalistenführer. Direkt nach seinem Amtsantritt im Jahr 2015 legte er beispielsweise Blumen am Grab Banderas in München nieder. Mit der Verehrung Banderas steht Melnyk in der Ukraine nicht alleine da. Von vielen wird er als Partisan und Nationalheld durch seinen Kampf für die Unabhängigkeit von der Sowjetunion gefeiert.
Historikerin Davies betont aber, auch in der Ukraine ist Bandera eine umstrittene Figur. "Erst seit den 1990er-Jahren kann über diese Themen öffentlich gesprochen werden. Erst in der unabhängigen Ukraine wurde das besondere Leid der Jüdinnen und Juden während des Zweiten Weltkriegs vom Staat offiziell anerkannt." Es seien gerade ukrainische Historiker und Historikerinnen, die oft in sehr prekären Arbeitsverhältnissen Grundlagenforschung zum Holocaust in der Ukraine geleistet hätten. Besonders nach dem Majdan 2013/14 hätten die Diskussionen etwa an den Unis neuen Aufschwung erhalten. Gerade viele junge Ukrainerinnen und Ukrainer seien Melnyk in dieser Hinsicht voraus. "Sie leugnen nicht, sie diskutieren."