Personalnot bei der Bundeswehr Die Wehrpflicht ist zurück - als Debatte
Braucht Deutschland wieder eine Wehrpflicht? In Zeiten von Krieg in Europa und akutem Personalmangel sollte man zumindest verschiedene Modelle prüfen, findet Minister Pistorius. SPD-Fraktionschef Mützenich hat eine andere Idee.
55 Jahre lang galt in Deutschland die Wehrpflicht, seit 2011 ist sie ausgesetzt. Abgeschafft wurde sie nicht. Und so ist auch die Debatte über eine Rückkehr zur Wehrpflicht nicht beendet, regelmäßig taucht sie wieder auf. Spätestens seit Russlands Krieg gegen die Ukraine und der damit verbundenen Zeitenwende auch in der deutschen Sicherheits- und Verteidigungspolitik drängt das Thema verstärkt in die Schlagzeilen. Auch wenn eine politische Mehrheit für ein Zurück zur Wehrpflicht in Deutschland derzeit nicht in Sicht ist. Das dürfte auch Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius gewusst haben, als er kürzlich Gedankenspiele über verschiedene Dienstpflichtmodelle publik machte.
Von Aufgaben und Aufträgen
Nun gehört es zu Pistorius' Job, sich Gedanken zu machen, wie die Bundeswehr in Zeiten von Personalmangel und eines Krieges in Europa, bestmöglich aufgestellt werden kann. Das sagte er auch selbst: "Meine Aufgabe als Verteidigungsminister ist, alle denkbaren Modelle auf ihre Machbarkeit für Deutschland zu überprüfen, damit ich verschiedene Handlungsoptionen habe, die ich dann einer politischen Mehrheitsbildung zuführen kann und muss", sagte er Mitte Dezember im Sender "Welt".
SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich mischte sich nun in die schwelende Debatte ein - und zwar mit einem Hinweis, der durchaus auch als Arbeitsauftrag an Pistorius verstanden werden kann: "Zum jetzigen Zeitpunkt sollten wir in erster Linie daran arbeiten, die Bundeswehr attraktiver zu machen. Sie muss besser ausgerüstet werden, Kasernen müssen instand gesetzt werden. Darauf sollten wir uns konzentrieren", sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.
Auch der Kanzler ist dagegen
Von Überlegungen über eine Rückkehr zur Wehrpflicht hält Mützenich also nicht viel, genauso wie SPD-Chefin Saskia Esken oder die Koalitionspartner Grüne und FDP. Bundeskanzler Olaf Scholz hatte der Debatte schon im Februar eine Absage erteilt. "Die Bundeswehr wurde zu einer Berufsarmee umgebaut. Daher gibt die Rückkehr zur Wehrpflicht keinen Sinn", sagte er damals der "Bild"-Zeitung. Bei einer Bundeswehrtagung bekräftigte Scholz seine Ablehnung.
Im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP heißt es: "Die Bundeswehr muss demografiefest und langfristig auch mit Blick auf die Altersstruktur ausbalanciert sein." Wie das gelingen kann, steht da freilich nicht.
Von 203.000 Soldaten weit entfernt
Wie auch viele Bereiche der Wirtschaft leidet die Bundeswehr unter einem akuten Bewerbermangel. Pistorius lässt derzeit prüfen, ob das vor seiner Amtszeit festgelegte Ziel einer Sollstärke von 203.000 Soldatinnen und Soldaten weiter Bestand haben wird. Derzeit sind es knapp 181.000. Der Bundeswehrverband schlägt daher Alarm - und sieht die Rückkehr zur Wehrpflicht als letztes Mittel. "Die Bundeswehr muss personell spätestens Ende kommenden Jahres den Abwärtstrend stoppen", sagte Verbandschef André Wüstner kürzlich der "Rheinischen Post". Sonst drohe die Einsatzbereitschaft "auf ein Maß zu sinken, das kaum zu verantworten wäre".
Vorbild Schweden?
Auf der Suche nach Lösungen nannte Minister Pistorius explizit das schwedische Modell. Das Land hatte die Wehrpflicht 2010 ausgesetzt. Vor dem Hintergrund einer verschlechterten Sicherheitslage kehrte das Land 2018 zur Wehrpflicht zurück, im Sommer 2017 begann man mit den Musterungen. "Wir haben Schwierigkeiten gehabt, die Kampfeinheiten auf freiwilliger Basis zu bemannen", sagte der damalige schwedische Verteidigungsminister Peter Hultqvist. Für bis zu zwölf Monate eingezogen werden Männer und Frauen. Pistorius hatte darauf verwiesen, dass in Schweden alle jungen Frauen und Männer gemustert würden, aber "nur ein ausgewählter Teil von ihnen leistet am Ende den Grundwehrdienst".
Die Wehrbeauftragte des Bundestags, Eva Högl, hatte im Sommer die Idee eines verpflichtenden Dienstjahrs, das im zivilen oder militärischen Bereich abgeleistet werden könnte, als "diskussionswürdig" bezeichnet. Und sie sagte: "Man könnte wie in Schweden einen gesamten Jahrgang junger Leute für die Bundeswehr zur Musterung einladen."
CDU setzt auf "Gesellschaftsjahr"
Die CDU setzt im Entwurf ihres neuen Grundsatzprogramms auf ein verpflichtendes "Gesellschaftsjahr". Dadurch würde auch die Bundeswehr einen Attraktivitätsschub bekommen, sagte CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Dieses Jahr könne auch bei der Bundeswehr absolviert werden.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wirbt seit dem vergangenen Jahr für seine Idee einer sozialen Pflichtzeit. Sie sollte sechs bis zwölf Monate betragen und in unterschiedlichen Phasen des Lebens absolviert werden können.