"Dienstjahr für Deutschland" Wehrbeauftragte schlägt Rückkehr der Musterung vor
2011 wurde die Wehrpflicht ausgesetzt - und laut Kanzler und Verteidigungsminister soll es dabei auch bleiben. Die Wehrbeauftragte regt nun an, alle jungen Menschen zumindest auf ihre Wehrdienstfähigkeit untersuchen zu lassen.
Mit Blick auf die Nachwuchsgewinnung der Bundeswehr hat die Wehrbeauftragte Eva Högl vorgeschlagen, künftig alle jungen Menschen eines Jahrgangs zur Musterung einzuladen. Die SPD-Politikerin sprach sich in einem Interview des Nachrichtenportals t-online gegen eine Rückkehr zur Wehrpflicht aus. Aber die Idee eines verpflichtenden "Dienstjahres für Deutschland", das im zivilen oder militärischen Bereich abgeleistet werden könne, finde sie "diskussionswürdig".
Konkret regte Högl an, dass die Bundeswehr an allen Schulen in Deutschland um Nachwuchs werben könnte. Wenn Jungoffiziere vor Schülerinnen und Schülern sprächen, sei das "keine aggressive Werbung, sondern klärt über die Arbeit der Bundeswehr auf", so die Wehrbeauftragte. Allerdings ist dies nicht überall erlaubt. In Baden-Württemberg etwa ist der Bundeswehr seit 2014 die Werbung an Schulen verboten.
Högl: Menschen selbst entscheiden lassen
"Man könnte wie in Schweden einen gesamten Jahrgang junger Leute für die Bundeswehr zur Musterung einladen und sie dann, sofern sie wehrfähig sind, selbst entscheiden lassen, ob sie sich engagieren wollen oder nicht." Diese Musterung sollte sich dann an alle Geschlechter richten, forderte Högl.
Die Wehrbeauftragte mahnte insgesamt mehr Anstrengungen an, um genug Personal für die Bundeswehr zu gewinnen. "Auch nach Ende des Krieges in der Ukraine müssen wir gegen die Gefahr eines Aggressors, sei es Russland oder jemand anderes, gewappnet sein", sagte sie. Deutschland werde weiter "internationales Krisenmanagement" betreiben müssen. "Deshalb müssen wir jetzt in die Personalgewinnung investieren. Das ist noch wichtiger als die Herausforderung beim Material." Sie sprach sich außerdem für eine Stärkung der Reserve aus.
Die Aussetzung der Wehrpflicht wieder rückgängig zu machen, helfe jedoch nicht. "Wir haben nicht genügend Ausbilder und nicht genügend Infrastruktur dafür."
Scharfe Kritik von der Linkspartei
Bei der Linkspartei stoßen Högls Vorschläge auf scharfe Kritik. "Die von der Wehrbeauftragten geforderte verpflichtende Musterung wäre ein Schritt zur Militarisierung der Gesellschaft", sagte der Bundesgeschäftsführer der Partei, Tobias Bank.
Es bestünde keine reale Gefährdungslage, die derartige Eingriffe in das Selbstbestimmungsrecht junger Menschen rechtfertigte. "Statt einer Militarisierung der Gesellschaft brauchen wir eine Entmilitarisierung der Außenpolitik", betonte Bank die Haltung seiner Partei.
"Ad hoc ist das so nicht durchführbar"
Högls Vorschlag könnte auch an den fehlenden Strukturen scheitern. Die Bundesregierung wollte ihre Aussagen zwar nicht direkt kommentieren, ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums zog aber die schnelle Umsetzbarkeit einer allgemeinen Musterung in Zweifel: "Ad hoc ist das so nicht durchführbar."
Früher waren in Deutschland die Kreiswehrersatzämter für die Musterungen zuständig - diese wurden mit dem Aussetzen der Wehrpflicht abgeschafft.
Wehrpflicht seit russischem Angriff wieder Thema
Die Wehrpflicht war 2011 nach 55 Jahren unter dem damaligen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) ausgesetzt worden, was in der Praxis einer Abschaffung von Wehr- und Zivildienst gleichkam. Seit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine ist das Thema neu in den Blickpunkt gerückt.
So forderte Högl etwa Anfang des Jahres, jetzt eine Debatte zu beginnen - "auch über die Frage, wie viel Zwang, wie viel Freiwilligkeit nötig ist". "Wir brauchen auf jeden Fall mehr Personal bei der Bundeswehr", sagte sie damals der "Augsburger Allgemeinen".
Pistorius: Gute Argumente für Dienstpflicht
Kanzler Olaf Scholz und Verteidigungsminister Boris Pistorius (beide SPD) sprachen sich klar gegen eine Rückkehr zur Wehrpflicht aus. Pistorius machte aber im Februar deutlich, dass er gute Argumente für eine allgemeine Dienstpflicht zur Stärkung von Katastrophenschutz, Bundeswehr und Rettungsdiensten sieht. Die jungen Menschen müssten in der Frage gehört werden, sagte er.
Die FDP meldete rechtliche und politische Bedenken gegen eine solche Dienstpflicht an. Die CDU hatte sich im September auf einem Parteitag für die bundesweite Einführung eines verpflichtenden Gesellschaftsjahrs ausgesprochen. Wo die jungen Menschen den Dienst absolvieren können, solle möglichst flexibel ausgelegt werden. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte bereits vor rund einem Jahr eine Debatte über die Einführung einer sozialen Pflichtzeit angestoßen.
Einbruch bei Bewerberzahlen
Verteidigungsminister Pistorius stellte jüngst infrage, ob das Ziel der Aufstockung der Bundeswehr auf 203.000 Soldatinnen und Soldaten bis 2031 eingehalten werden kann. "Ich wage keine Prognose, ob wir die Zahl erreichen können", sagte er am Donnerstag bei einem Besuch im Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr in Köln.
Seit der Corona-Pandemie gebe es einen Einbruch bei den Bewerberzahlen. Man arbeite daran, dieses Tal zu verlassen. Als Gründe nannte er etwa den Fachkräftemangel und den demografischen Wandel. Bei der Bundeswehr gibt es aktuell rund 183.000 Soldatinnen und Soldaten.