Boris Pistorius und Arvydas Anusauskas sind auf einem Smartphone während ihrer Pressekonferenz zu sehen.
Analyse

Hohe Erwartungen Der Pistorius-Effekt

Stand: 08.03.2023 13:18 Uhr

Verteidigungsminister Pistorius scheint derzeit ziemlich viel richtig zu machen. Seine Arbeit wird überwiegend gelobt. Dabei hat der Neue im Wehrressort noch gar nicht viel erledigt.

Eine Analyse von Claudia Buckenmaier und Christian Feld, ARD Berlin

Es ist ein besonderer Marsch, den Boris Pistorius an diesem frühen, kalten Dienstagmorgen über den Truppenübungsplatz Pabrade in Litauen unternimmt. Pistorius lässt sich von Kommandeur Alexander Döge vom Jägerbataillon 413 aus Torgelow durch das Übungsgeschehen führen. Beobachten. Fragen. Lernen.

Später vor den Kameras und Mikrofonen lobt Pistorius den Einsatz der Soldatinnen und Soldaten und sagt: "Eigentlich täte es mir als Minister gut, jede Woche einmal rauszugehen zur Truppe, weil man eben doch noch einmal andere Eindrücke bekommt." Kontrastprogramm zu den vielen Runden im Berliner Ministerium. Auch wenn es wenig realistisch ist, die Truppe dürfte so etwas gerne hören.

Am Abend vorher hatte Pistorius in Rukla die NATO-Kampfgruppe für Litauen besucht. Deutschland hat hier die Führung. Es ist seine erste Reise zu einem Auslandseinsatz der Bundeswehr. Der Minister kommt direkt aus dem Regierungsflieger, trägt Anzug und nicht Flecktarn. Der neue Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt vermittelt auch hier den Eindruck, dass er mit Soldatinnen und Soldaten aller Dienstgrade ins Gespräch kommen will und kann.

Beliebtester Politiker der Ampel-Regierung

Wohl alle, die an diesem Abend vor den aufgestellten Panzern warten, haben Pistorius bisher nur über die Medien wahrgenommen. "Ein guter Minister an der richtigen Stelle", findet Frederic, der sich freut, "als einfacher Soldat" den Minister jetzt kennenlernen zu können. Joshua hat den Eindruck, "dass er auf jeden Fall weiß, wovon er redet, ein kompetenter Mensch ist und bei der Bundeswehr einiges geraderücken kann". Die Erwartungen bei diesem kleinen Stimmungsbild in Rukla: die Munitionsbeschaffung "etwas flüssiger und problemloser" zu machen, "aufgelaufene Mängel abstellen".

Doch nicht nur in der Truppe, sondern auch in der Bevölkerung scheint der langjährige Innenminister aus Niedersachsen gut anzukommen. Am 19. Januar wird Pistorius vereidigt, ernannt zum Bundesminister im Schnelldurchlauf, keine Schonfrist, weder 100 Tage noch 100 Stunden, noch nicht einmal 100 Minuten. Heute, knapp zwei Monate später, ist er der Shootingstar im Kabinett. Beim jüngsten ARD-DeutschlandTrend überholt er Annalena Baerbock und ist, nach nur wenigen Wochen im Amt, der beliebteste Politiker der Ampelkoalition. 14 Prozentpunkte hat er dazu gewonnen und landet so bei 52 Prozent Zustimmung.

"Ein Apparat, der per se schwerfällig ist"

Unter den Abgeordneten im Bundestag gibt es kaum kritische Töne. In der Koalition wie in der Opposition wird Pistorius eine starke Führungsausstrahlung bescheinigt. Einer, dem man etwas zutraut, und der professionell auftrete. Immer wieder wird auf seine lange Erfahrung als Innenminister verwiesen.

"Pistorius scheint der richtige Mann im richtigen Augenblick zu sein," beschreibt die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann ihren Eindruck vom Neuen im Kabinett. Bereits als Landespolitiker sei er ihr dadurch aufgefallen, dass er eine klare Sprache pflege. Das sei ihrer Art der Kommunikation nicht unähnlich.

Der Verteidigungsminister stehe allerdings vor einer ungeheuren Aufgabe. "Das Ministerium ist ein Apparat, der per se schwerfällig ist. Pistorius darf nicht naiv sein. Nicht alle wollen, dass er Erfolg hat. Er muss sich durchsetzen. Dabei muss er partnerschaftlich vorgehen, aber zugleich klare Ansagen machen." Die FDP-Politikerin hofft, dass Pistorius vom Kanzler und seiner SPD, anders als seine Vorgängerin, den nötigen Raum bekomme, um diese Aufgaben anzugehen.

Was wird sich im Ministerium ändern?

Auch Sara Nanni, sicherheitspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, schätzt Pistorius. Er könne kommunizieren. "Wir werden in der Koalition immer mal wieder unterschiedlicher Auffassung sein, wie bei der Haushaltsdebatte oder bei der Diskussion über die Wehrpflicht, aber Pistorius hat ein Interesse an inhaltlicher Auseinandersetzung. "Er hört zu und fragt auch nach." Sie sei sehr gespannt auf seine Vorschläge, wie er das Ministerium reformieren wolle, wie er auch gegen Widerstände im Haus die Strukturen verändern wolle.

Wie Strack-Zimmermann sieht auch Nanni darin eine der großen Herausforderungen für den Minister. "Dabei rechne ich nicht mit schnellen Zauberlösungen, aber ich hoffe auf Impulse, dass er die Probleme angeht."

Streit um Haushalt

Ingo Gädechens, CDU-Haushaltsexperte in Verteidigungsfragen, räumt unverblümt ein, "nach Verteidigungsministerin Lambrecht konnte es nur besser werden." Er erlebe den Niedersachsen aufmerksam und routiniert; der pflege einen guten, verbindlichen Ton. Doch jetzt gehe es in die Haushaltsverhandlungen. Pistorius brauche mehr Geld für die Bundeswehr. Das habe er ja bereits gesagt. Wird er sich gegen den Finanzminister durchsetzen können?

Dann müsse er klären, wie die erforderliche Munition bezahlt werde, und die Gespräche mit der Wehrtechnik müssten fortgesetzt werden. Allerdings bietet er dem Neuen an, dass die größte Oppositionspartei bei schnellerer Beschaffung mitmachen würde, auch falls es sich dabei um unkonventionelle Wege handle.

Günstige Startbedingungen

Pistorius hat bei seinem geschmeidigen Amtsbeginn sicherlich geholfen, dass der Streit um die Lieferung von "Leopard"-2-Kampfpanzern bereits in den ersten Tagen nach seiner Vereidigung beiseite geräumt worden ist. Seine Loyalität zum Kanzler wurde so nicht auf die Probe gestellt. Zwar muss er bei seinem ersten Treffen mit vielen ausländischen Verteidigungsministern in Ramstein am 21. Januar, allen voran US-Verteidigungsminister Lloyd Austin, noch das Nein von Olaf Scholz vertreten, aber schon wenige Tage später fiel die Entscheidung, die Kampfpanzer doch zu liefern. Das verschafft Pistorius Luft.

Im Moment kann er relativ frei aufspielen. Und das gelingt ihm so, dass bei der Münchener Sicherheitskonferenz manch ein ausländischer Politiker hinter vorgehaltener Hand gefragt haben soll: "Wo habt Ihr denn den ausgegraben?" Es sind viele positive Worte, die die Anfangszeiten von Pistorius begleiten. Doch das Amt bringt es mit, dass sich das auch sehr schnell ändern kann.