Kampf gegen Rechtsextremismus Was bringen die Verbote rechtsextremer Vereine?
In Deutschland sind rund 80 rechtsextreme Vereine verboten. Kritiker sagen: Vereinsverbote bringen nichts, weil die Mitglieder sich in kürzester Zeit neu organisieren. Ist es reine Symbolpolitik?
Der Mann, der auf Bundesebene für Vereinsverbote federführend zuständig ist, heißt Christian Klos. Er arbeitet seit 1998 im Bundesinnenministerium, momentan leitet er die Abteilung "Öffentliche Sicherheit" und ist somit unter anderem zuständig für Terrorismusbekämpfung, Spionageabwehr oder eben die Verbote rechtsextremer Vereine.
Letzteres immer und immer wieder, räumt er im Gespräch schnell ein. Die Menschen würden ja nicht ihre Gesinnung verlieren durch ein Vereinsverbot, deswegen gebe es bei diesem Thema schon "einen gewissen Sisyphos-Effekt".
Für ihn ist klar: "Ein Verbotsverfahren ist nicht das Mittel der Wahl, um die rechtsextreme Szene in ihrem Bestand zu gefährden." Wenn selbst er das sagt: Was bringen die Verbote überhaupt?
Juristisch ist die Sache klar
In Deutschland gilt nach dem Grundgesetz Vereinigungsfreiheit - alle Menschen haben das Recht, sich in Vereinen zu organisieren. Drei Grundsätze sind dabei unumstößlich: die freiheitlich-demokratische Grundordnung, die Einhaltung der Strafgesetze und der Gedanke der Völkerverständigung. Wenn ein Verein gegen eines der drei Grundprinzipien verstößt, kann ein Verbotsverfahren eingeleitet werden.
Die Aufgabe der jeweiligen Verbotsbehörde, also entweder des Bundesinnenministeriums auf Bundesebene oder der Innenministerien der Länder bei ausschließlich regional agierenden Vereinen, ist es dann, sehr sorgfältig Beweise zusammenzutragen und juristisch einwandfrei zu argumentieren. Denn im Rechtsstaat Deutschland können die Vereine gegen ein Verbot vorgehen.
Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig ist in erster und letzter Instanz für Klagen gegen Vereinsverbote zuständig, die das Bundesinnenministerium erlassen hat. Bei dem Verbot von einer oberen Landesbehörde entscheidet das jeweilige Oberverwaltungsgericht.
"Es gibt nichts Schlimmeres als ein Verbot, das aufgehoben wird. Das ist für uns die Maxime schlechthin. Es wäre komplett kontraproduktiv, wenn man in der extremistischen Szene einen Märtyrer schaffen würde", meint Klos. Unterstützt werden die Behörden dabei vom Verfassungsschutz. Er beobachtet die verschiedenen extremistischen Szenen und liefert den Innenministerien Informationen zu.
"Hammerskins" und "Artgemeinschaft"
Zuletzt verboten wurden die rechtsextremen Vereine "Hammerskins Deutschland" und "Artgemeinschaft". Im September 2023 gab Bundesinnenministerin Nancy Faeser innerhalb von nur wenigen Tagen die beiden Verbote bekannt. Beide begründete sie unter anderem damit, dass die Vereine rechtsextremistisches und antisemitisches Gedankengut verbreiten sowie die freiheitlich-demokratische Grundordnung in besonderem Maße gefährden.
Insgesamt zwölf Mitglieder der "Hammerskins" gehen juristisch gegen das Vereinsverbot vor. Wann das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig über die Klagen verhandelt, ist noch offen.
Klos sieht dem aber betont entspannt entgegen: "Wir sind sehr zuversichtlich, dass wir bei den 'Hammerskins' hinreichend Belege gefunden haben." Zumindest beim Bundesinnenministerium sei es im Laufe der vielen Jahre noch zu keiner Aufhebung gekommen, sagt er. Für Klos liegt das am eigenen Qualitätsanspruch, sehr gründlich zu prüfen und exakt auszuwählen: "Das sind dann Vereine, bei denen wir sicher sind: Die sollten nicht mehr als Vereine existieren."
"Symbolpolitik ist nicht per se falsch"
Christoph Kopke forscht seit Jahren zu rechtsextremen Vereinen, er ist Professor für Politikwissenschaften und Zeitgeschichte an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin. Natürlich seien Verbote Symbolpolitik, sagt er - aber er findet wenig Schlimmes daran. "Symbolpolitik ist nicht per se falsch, weil es wichtig ist, dass Politikerinnen und Politiker bestimmte Dinge erklären und ein Staat Zeichen setzt, sie kann deswegen eine positive Wirkung haben", argumentiert Kopke.
Das Vereinsverbot müsse man als nur einen Teil des Konzepts "Wehrhafte Demokratie" begreifen. Es hat auch andere Elemente: die Verfassungstreue der Beamten, die Möglichkeit eines Parteiverbots, die Existenz des Verfassungsschutzes, der als Nachrichtendienst im Inland die Verfassungstreue im Blick behält. Und die Verbote hätten auch direkt spürbare Effekte.
Wann ist ein Verbot erfolgreich?
Für Klos gibt es in Sachen Erfolg entscheidende Kriterien. Zum einen gehe es um die Zerstörung der Finanzstrukturen. Es koste die Akteure viel Zeit, wieder Geld einzusammeln. Außerdem werden mit dem Verein auch dessen Symbole verboten. Wappen, Wimpel, Flaggen, Kleidung, ganze Insignien sind von dem Verbot betroffen. Wer diese dennoch trägt, macht sich strafbar. Und zu guter Letzt sorgen Vereinsverbote für eine gewisse Verunsicherung in der Szene - zumindest bei manchen, schiebt Klos nach.
Der Politikwissenschaftler Kopke sagt, es sei schwer, objektiv zu beurteilen, ob ein Vereinsverbot erfolgreich war. Noch davor müsse man die Frage stellen, was "Erfolg" denn eigentlich bedeute. Oft sei die Antwort eng verknüpft mit dem, was der betroffene Verein tut.
Als Erfolg könne man zum Beispiel definieren, wenn nach einem Verbot "gewisse Straftaten, die man dieser Struktur zurechnet, weniger werden". Dass die Szenen gezwungen sind, sich neu zu organisieren, bindet Ressourcen, die sonst in andere Aktivitäten geflossen wären.
Allerdings beobachtet Kopke auch Lerneffekte in der Szene: "Politische Bewegungen lernen im Umgang: Wie reagiert der Gegner, wie reagiert das politische System auf mich? Eine Folge der Vereinsverbote ist eben auch ein Lernen, dass sie weniger angreifbar sind."
Als Beispiel für ein effektives Verbot nennt er das der "Hilfsgemeinschaft für nationale politische Gefangenen und ihre Angehörigen" (HNG) im Jahr 2011. Die HNG unterstützte Rechtsradikale im Gefängnis, vermittelte Anwälte und betreute Angeklagte bei Prozessen. "Dieses Verbot wäre ein Beispiel für Nachhaltigkeit insofern, dass es die extreme Rechte bis heute nicht geschafft hat, eine vergleichsweise stabile und aktive Gefangenenhilfsorganisation zu etablieren", meint Kopke.
Zuspitzung gesellschaftlicher Debatten
Den Kampf gegen den Rechtsextremismus können Behörden nicht allein schaffen. Er ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Aus Sicht des Politikwissenschaftlers Kopke wurde die extreme Rechte in Deutschland keinesfalls umfassend sanktioniert, im Gegenteil. Man müsse klar sagen, dass entgegen der eigenen Propaganda "die extreme Rechte keine Struktur ist, die in Deutschland politisch verfolgt wird".
Ihm bereitet die Zuspitzung gesellschaftlicher Debatten Sorgen. Mit Blick auf FDP und CDU/CSU kritisiert er scharf, dass die beiden Parteien zunehmend rechtsextremen Parolen nachgeben würden "in der - wie die Politikwissenschaft deutlich feststellt - irrigen Annahme, man könne die Wähler extremer Parteien dadurch zurückholen, dass man die extremen Parolen übernimmt".
Für Klos sind gute Ausstiegsangebote für Neonazis entscheidend: "Es ist wichtig, die Menschen auch abzuholen in einer Radikalisierung, und das muss möglichst niedrigschwellig erfolgen." Er setzt zum Beispiel auf die Kontaktaufnahme von Freunden oder Familienmitgliedern und hofft, dass mit ihrer Hilfe "ein Einstieg aus dem Ausstieg vielleicht gelingen kann."
Natürlich hätten Vereinsverbote eine Wirkung, aber "es würde die Erwartungshaltung überdehnen, wenn dadurch auch die Extremisten selbst geläutert würden", sagt Klos. Und deswegen fängt er in seinem Job eben immer und immer wieder von vorne an.