Bundesweite Razzia Rechtsextreme "Artgemeinschaft" verboten
Das Bundesinnenministerium hat den rassistisch-völkischen Verein "Artgemeinschaft" aufgelöst. Derzeit durchsucht die Polizei laut Informationen von WDR und NDR bundesweit Wohnungen. Den Verein gibt es seit 1951.
Seit den frühen Morgenstunden durchsucht die Polizei nach Informationen von WDR und NDR in zwölf Bundesländern bei 39 Mitgliedern des rassistisch-völkischen Vereins "Artgemeinschaft" die Wohnungen. Dabei beschlagnahmen die Beamten das Vereinsvermögen und sichern Beweise. Laut Bundesinnenministerium richtet sich die rechtsextreme Gruppe "gegen den Gedanken der Völkerverständigung" und "gegen die verfassungsmäßige Ordnung". Ministerin Nancy Faeser (SPD) hat die Vereinigung zudem verboten.
Die Behörden gehen bei der "Artgemeinschaft" von bundesweit 150 Mitgliedern und zahlreichen Kindern und Jugendlichen aus. Etwa 40 Mitglieder werden dem harten Kern zugerechnet. Zu der Organisation sollen vor allem Ehepaare und zahlreiche Jugendliche und Kinder gehören. Die Vereinigung unterhält acht regionale "Gefährtenschaften" und "Freundeskreise". Ihre Kinder werden nach angeblich heidnischen Bräuchen und germanischen Traditionen erzogen. Es handelt sich um ein bundesweit aktives Netzwerk von selbsternannten völkischen Siedlern.
In Bayern soll die Polizei etwa die Wohnhäuser der "Artgemeinschaft"-Vorsitzenden Sabrina S. und der Schatzmeisterin des Vereins durchsuchen. Außerdem soll bei Mitgliedern in Baden-Württemberg, Brandenburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen durchsucht werden. Neben Wohnungen sollen laut Informationen von WDR und NDR auch Grundstücke und Autos im Visier der Ermittler sein.
Vergangene Woche wurden "Hammerskins" verboten
Mit ihrem Zehn-Punkte-Plan hatte Innenministerin Faeser im vergangenen Jahr angekündigt, verstärkt gegen Rechtsextremismus vorgehen zu wollen, unter anderem auch die Finanzierungen der Szene in den Fokus zu nehmen. Erst in der vergangenen Woche hatte sie die Neonazigruppe "Hammerskins" verboten. Bei führenden Kadern der Organisation gab es unter anderem Hausdurchsuchungen.
Dabei haben Beamte mehrere Waffen, Bargeld, CDs mit rechtsextremer Musik und zahlreiche Datenträger beschlagnahmt. Auch eine Harley-Davidson konfiszierte die Polizei als Vereinsvermögen - auf dem Motorrad prangte ein Aufkleber der "Hammerskins".
Faeser wird Anfang Oktober als Spitzenkandidatin der SPD bei der hessischen Landtagswahl antreten.
Bekannte Neonazis als Mitglieder
Die "Artgemeinschaft" tritt als eine "Glaubensgemeinschaft" auf, die sich scheinbar vor allem dem Brauchtum und der Traditionspflege verschreibt. Die Organisation trägt den Beinamen "Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung" und bezeichnet sich selbst als "größte heidnische Gemeinschaft Deutschlands".
Tatsächlich organisieren sich in dem Verein seit Jahrzehnten bekannte Rechtsextremisten. Auf einer Mitgliederliste tauchte etwa der Neonazi Stephan Ernst auf, der Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke. Auch der NSU-Unterstützer André E. findet sich auf einer Teilnehmerliste eines Treffens der "Artgemeinschaft" zur Sonnenwendfeier.
"Kampf ist Teil des Lebens" heißt es in dem "Artbekenntnis" der Gruppe, in dem die Leitsätze festgeschrieben sind. Der "Kampf" sei "naturnotwendig für alles Werden, Sein und Vergehen", steht dort. Und weiter: "Jeder einzelne von uns wie unsere gesamte Art stehen in diesem Ringen." Anstelle des Begriffs "Rasse" tritt bei der "Artgemeinschaft" der Begriff der "Art".
Der Verein gilt mit seiner rassistischen Weltsicht und den regelmäßigen Treffen als wichtige Kaderschmiede der rechten Szene. Zu den Mitgliedern, den sogenannten Gefährten, zählen auch Anhänger radikal-völkischer Gruppen aus Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Sachsen, die als "völkische Siedler" bekannt sind.
Rassistische Weltanschauung
Gegründet worden war die "Artgemeinschaft" 1951 von Wilhelm Kusserow, der bereits in der Weimarer Republik die "Nordische Glaubensgemeinschaft" ins Leben gerufen hatte. Antisemitische und rassistische Ansichten prägen das Weltbild der "Artgemeinschaft" bis heute. Von 1989 bis zu seinem Tod im Jahr 2009 führte der Hamburger Neonazi Jürgen Rieger die "Artgemeinschaft".
Der Rechtsanwalt Rieger war wichtiger Funktionär in der Szene zwischen militanten "Kameradschaften" und der NPD. Er galt als fanatischer Anhänger der Rasselehren der Nationalsozialisten. Die "Artgemeinschaft" bezeichnete Rieger als "Kampfverband". "Das Sittengesetz in uns gebietet Tapferkeit und Mut in jeder Lage, Kühnheit und Wehrhaftigkeit bis zur Todesverachtung gegen jeden Feind von Familie, Sippe, Land, Volk, germanischer Art und germanischem Glauben", heißt es im "Sittengesetz" des Vereins.
Unterorganisation "Familienwerk" ebenfalls aufgelöst
Ebenfalls verboten hat das Innenministerium den an die "Artgemeinschaft" angeschlossenen Verein "Familienwerk". Beide Vereine sind offiziell im Vereinsregister eingetragen. Laut Satzung des "Familienwerks" soll dieser Verein "die Interessen der Jugendlichen und ihrer Familien unter besonderer Berücksichtigung der kinderreichen Familien" wahren.
Vom Verbot ist auch die Vereinszeitschrift "Nordische Zeitung" betroffen. Als Logo dient der "Artgemeinschaft" die sogenannte Irminsul, ein Symbol der germanischen Mythologie. Ebenfalls als Symbol der Gruppierung fungiert ein Adler, der einen christlichen Fisch greift. Dieses Zeichen ist sogar markenrechtlich auf die "Artgemeinschaft" eingetragen.
Wegen der Ablehnung des Christentums verwendet die "Artgemeinschaft" nicht die üblichen Jahreszahlen, also "nach Christus". Stattdessen schreibt die germanisch-heidnische Gruppe heute das Jahr 3823 "nach Stonehenge".
Treffen in Thüringen
Regelmäßig organisierte die "Artgemeinschaft" größere Treffen, sogenannte Gemeinschaftstage, in einem abgelegenen Ausflugshotel in Ilfeld in Nordthüringen. Zu diesen abgeschotteten Veranstaltungen kamen bis zu 300 Personen. Zumeist reisten die Teilnehmer mit Kindern an.
Neben den bundesweiten "Gemeinschaftstagen" veranstalteten auch die regionalen Ableger Zusammenkünfte, wie etwa die "Gefährtenschaft Kurpfalz". Auch diese werden meist unter konspirativen Bedingungen organisiert, die Einladungen gehen nur an Mitglieder und Personen aus der Szene. Im vergangenen Jahr hatte die Linke in Thüringen ein Verbot der "Artgemeinschaft" gefordert.