ARD-DeutschlandTrend extra Wie rechts denkt Deutschland?
Bundesweit scheint die AfD derzeit im Aufwind. Dabei haben laut DeutschlandTrend extra ausgeprägt rechte oder rechtsextreme Einstellungen seit 2016 nicht zugenommen. Der Grund für die Stärke der AfD liegt woanders.
Ausgeprägt rechte und rechtsextreme Einstellungen sind in der Bundesrepublik seit 2016 nicht stärker oder weniger stark verbreitet. Die Bindekraft der AfD in diesem Milieu hat sich deutlich verstärkt und die Anhängerschaft fühlt sich durch rechtsextreme Strömungen wenig abgeschreckt.
Die Befragung macht deutlich, dass sich die deutsche Gesellschaft im Zustand großer Sorge befindet. 81 Prozent blicken derzeit mit Beunruhigung in die Zukunft, nur 14 Prozent mit Zuversicht. Vergleichbare Werte wurden bisher nur zwischen 2003 und 2005 in einer Phase hoher Arbeitslosigkeit gemessen. Das sind Ergebnisse eines DeutschlandTrend extra, den Infratest dimap im Auftrag des WDR durchgeführt hat und der sich vertieft mit den Einstellungen und Überzeugungen der AfD-Wählerschaft beschäftigt.
Keine Veränderungen seit 2016
Rechtsextreme und ausgeprägt rechte Überzeugungen haben sich in dieser Stimmungslage nicht verstärkt, sondern liegen - im Rahmen der statistischen Abweichung - exakt auf dem Niveau von 2016. Zur Messung der persönlichen politischen Einstellung wurden den Befragten sechs wissenschaftlich anerkannte Standardfragen gestellt, etwa zur Haltung gegenüber einer Diktatur oder dem Nationalsozialismus oder zur Ausländerfeindlichkeit. Fragen und Auswertung sind gegenüber 2016 identisch.
Nach dieser Studie sind acht Prozent der Befragten als rechtsextrem einzuordnen (2016 neun Prozent), weitere 14 Prozent als ausgeprägt rechts (2016 13 Prozent). Die vollständige Ablehnung aller vorgelegten Aussagen liegt mit 55 Prozent (+3) etwas höher als 2016.
Hohe Bindekraft der AfD
Während sich das rechte politische Milieu in der Größe nicht verändert hat, wird es von der AfD hingegen deutlich stärker gebunden als bisher. In der Anhängerschaft der Partei lassen sich 27 Prozent als rechtsextrem einordnen, weitere 25 Prozent als ausgeprägt rechts. Das ist zum einen eine deutliche Steigerung gegenüber 2016 (damals 20 rechtsextrem/24 Prozent ausgeprägt rechts).
Vor allem aber hat sich diese Anhängerschaft nach Zahlen der Sonntagsfrage in dieser Zeit bundesweit von zwölf auf 22 Prozent erhöht. Die Bindekraft der AfD in diesem Milieu hat sich etwas mehr als verdoppelt, sie versammelt in ihrer Wählerschaft mittlerweile einen großen Teil der Menschen mit rechtem Weltbild.
Diese Gruppe hat von den politischen Zielen der AfD eine völlig andere Wahrnehmung als die Bevölkerungsmehrheit. Fast drei Viertel der Befragten halten die AfD für eine rechtsextreme Partei - aber nur 18 Prozent ihrer Wählerschaft teilen diese Einschätzung. Offenbar spielt diese Einordnung durch verschiedene Verfassungsschutzbehörden auch keine wesentliche Rolle für die Wahlentscheidung. 80 Prozent der Anhängerinnen und Anhänger der AfD erklären, es sei ihnen "egal, dass die AfD in Teilen als rechtsextrem gilt, solange sie die richtigen Themen anspricht".
AfD schöpft Wählerpotenzial weitgehend aus
Die AfD ist derzeit die einzige Partei, die ihr Wählerpotenzial sehr weitgehend ausschöpft. 24 Prozent der Deutschen können sich gegenwärtig grundsätzlich vorstellen, in Zukunft auch die AfD zu wählen, 22 Prozent derer, die sich in der Sonntagsfrage für eine Partei entscheiden, erklären aktuell die Absicht, AfD zu wählen.
Zum Vergleich: Das größte Potenzial hat die CDU/CSU mit 52 Prozent der Wahlbevölkerung, nur 28 Prozent wollen sie aber aktuell wählen. Mehr als die Hälfte der AfD-Anhängerschaft (55 Prozent) kann sich vorstellen, künftig auch eine andere der Bundestagsparteien zu wählen, im Westen ist der Anteil etwas höher, im Osten niedriger. Dort ist die Bindung zur AfD fester.
Einmal mehr zeigt die Untersuchung die Strukturunterschiede in der ost- und westdeutschen Öffentlichkeit auf. Nicht nur das Wahlverhalten unterscheidet sich, die AfD ist in mehreren ostdeutschen Bundesländern derzeit nach Umfragen die stärkste Kraft. Entsprechend sind rechte Einstellungen stärker verbreitet als im Westen. So kann man hier zwölf Prozent der Befragten als rechtsextrem einstufen (im Westen sieben) und weitere 20 Prozent als ausgeprägt rechts (im Westen 13).
Unzufriedenheit mit Asylpolitik
Das entscheidende Motiv der AfD-Wählerinnen und Wähler ist Sorge und Unzufriedenheit mit zentralen gesellschaftlichen Entwicklungen, vor allem der gestiegenen Zuwanderung von Flüchtlingen und Asylbewerbern. Hier überwiegt auch eine kritische Grundhaltung in der Gesamtbevölkerung, in der AfD-Anhängerschaft ist sie aber als zentrales politisches Motiv besonders ausgeprägt.
So halten insgesamt 67 Prozent der Befragten gegenwärtig die Aufnahme der Zuwanderer für "eher nicht" oder "auf keinen Fall verkraftbar", unter den AfD-Wählern sind es 95 Prozent. Jenseits der aktuellen Lage teilen 48 Prozent der Befragten die Sorge, dass "zu viele Fremde nach Deutschland kommen", bei den Anhängern der AfD sind es 85 Prozent.
Gefühl der Bevormundung
Ein weiteres starkes Motiv liegt im Gefühl, bevormundet zu werden. Zwei Drittel aller Befragten (67 Prozent) haben die Wahrnehmung, "bei bestimmten Themen" werde "man heute ausgegrenzt, wenn man seine Meinung sagt", in der AfD-Anhängerschaft sind es 96 Prozent. Ähnlich verhält es sich mit der Befürchtung, dass die Kriminalität "künftig stark zunimmt". 65 Prozent aller Befragten haben diese Sorge, aber 96 Prozent derer, die AfD wählen wollen.
Die Befragung zeigt: Grund für die Stärke der AfD in aktuellen Umfragen ist nicht wie häufig vermutet die Ausbreitung rechts geprägter oder rechtsextremer Einstellungen. Vielmehr macht die Analyse zwei Entwicklungen deutlich: Zum einen bindet die AfD in stark gewachsenem Umfang die schon früher vorhandenen rechten Milieus. Aber: Knapp die Hälfte der AfD-Wählerschaft ist diesen Milieus nicht zuzuordnen. Dieser Teil bleibt offen für andere politische Angebote.
Noch entscheidender ist aber, dass die AfD erfolgreich Themen adressiert, die deutliche Mehrheiten der Bevölkerung besorgen und beschäftigen - und für die viele Menschen offenbar bei anderen Parteien zu wenig Verständnis finden.