Keine kriminellen Vereinigungen Ermittlungen in Neonazi-Szene eingestellt
Strafverfolgungsbehörden in Norddeutschland haben vier große Verfahren gegen Rechtsextreme eingestellt. Sie haben keine Beweise für kriminelle Organisationen gefunden. Gegen einzelne Neonazis wird weiter ermittelt.
In Niedersachsen und Schleswig-Holstein haben Staatsanwaltschaften große Ermittlungskomplexe zur rechtsextremen Szene ohne Anklagen eingestellt. Die Verdachtsmomente gegen mehrere Gruppen hätten sich nicht bestätigt, heißt es von den Behörden auf Anfrage des ARD-Magazins Panorama.
Die Staatsanwaltschaft Lüneburg ermittelte seit 2021 gegen eine angebliche Wehrsportgruppe, die sich in Kreisen von Bundeswehrreservisten gegründet haben soll. Die 14 Beschuldigten standen in Verdacht, sich einer bewaffneten Gruppe angeschlossen beziehungsweise diese befehligt zu haben.
"Dieser Tatvorwurf hat sich nach dem Ergebnis der Ermittlungen nicht bestätigt", sagte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft Lüneburg auf Panorama-Anfrage. Gegen einige der Beschuldigten wird jedoch jeweils individuell weiter ermittelt, denn bei Durchsuchungen im September 2021 in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Berlin hatten sich bei ihnen Hinweise auf Verstöße gegen das Waffen- und das Sprengstoffgesetz ergeben.
Diese Verfahren werden von den örtlich zuständigen Staatsanwaltschaften verfolgt. Medien hatten darüber berichtet, dass die Gruppe angeblich sogar Anschläge auf Migranten geplant hätte.
Rund 250 Schusswaffen in Seevetal
Auch in einem weiteren Ermittlungskomplex hat sich der Anfangsverdacht der Staatsanwaltschaft Lüneburg nicht erhärtet: Die Ermittler hatten Hinweise auf ein rechtsextremes Netzwerk, in dem mit Waffen gehandelt worden sein sollten. Wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontroll-, Waffen- und Sprengstoffgesetz führte die Staatsanwaltschaft gegen 13 Beschuldigte Ermittlungen.
Im Jahr 2020 hatte es zahlreiche Durchsuchungsmaßnahmen gegeben. Im September 2020 war das Landeskriminalamt Niedersachsen dabei auch auf einen Waffensammler in Seevetal gestoßen und fand bei ihm rund 250 Schusswaffen. Wegen seiner mutmaßlichen rechtsextremen Ansichten stellten die Beamten die Waffen kurze Zeit später sicher.
Doch ein Verdacht für das Vorliegen einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung ergab sich letztlich nicht, wie die Staatsanwaltschaft Lüneburg auf Anfrage mitteilte. Gegen mehrere Verdächtige wird wegen Einzeltaten jedoch weiter ermittelt.
"Calenberger Bande" in der Region Hannover
Die Generalstaatsanwaltschaft Celle hat jüngst die Ermittlungen gegen acht Neonazis wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung eingestellt. Dabei ging es um die Neonazi-Gruppe "Calenberger Bande" in der Region Hannover. Die Rechtsextremen stammten teilweise aus den Reihen der im September 2012 verbotenen rechtsextremen Vereinigung "Besseres Hannover".
Gegen einzelne Mitglieder der "Calenberger Bande" laufen noch Verfahren wegen anderer Straftaten. Gegen einen Neonazi wurde inzwischen wegen Volksverhetzung, Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und Verunglimpfens des Andenkens Verstorbener Anklage erhoben. Auch Sachbeschädigungen konnten aufgeklärt werden.
Bei Durchsuchungen hatte die Polizei vor allem zahlreiche Computer und Datenträger sichergestellt. Anlass der laut Generalstaatsanwaltschaft "sehr umfangreichen" Ermittlungen wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung waren Flugblatt-Verteilaktionen und Farbschmierereien ab August 2019.
"Aryan Circle" in Bad Segeberg
Auch in Schleswig-Holstein haben Ermittler ein großes Verfahren gegen Neonazis ohne Anklage beendet. Die Staatsanwaltschaft Flensburg hatte seit Juli 2019 gegen 16 Rechtsextreme wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung ermittelt. Dabei gingen die Staatsschutz-Ermittler dem Verdacht nach, der "Aryan Circle Germany" (Arischer Kreis Deutschland) um den bekannten Neonazi Bernd T. aus Bad Segeberg könnte eine kriminelle Vereinigung sein, die zum Zwecke der Begehung von rechtsextrem motivierten Straftaten gegründet wurde.
Anfang 2020 hatten Polizeibeamte in Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Hessen und Brandenburg zwölf Durchsuchungsbeschlüsse vollstreckt. Nach Auswertung der sichergestellten Handys und anderer Datenträger gab es für die Bildung einer kriminellen Vereinigung keine Belege.
"Aryan Circle" keine Nachfolge von "Sturm 18"
Die Staatsanwaltschaft in Flensburg prüfte auch, ob die Neonazis mit ihrem "Aryan Circle" gegen das Vereinigungsverbot verstießen. Denn im Jahr 2015 war Bernd T.s Neonazi-Kameradschaft "Sturm 18" durch das Innenministerium in Hessen verboten und aufgelöst worden.
Doch auch für eine Fortführung der verbotenen Gruppe fanden die Ermittler keine Beweise. "Es fehlt an dem Nachweis der dafür erforderlichen aggressiv-kämpferischen Vorgehensweise und an konkreten individuellen Zielen der Gruppierung", sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Flensburg auf Anfrage.
Nach Panorama-Informationen hatte parallel zu den strafrechtlichen Ermittlungen das Kieler Innenministerium ein Vereinsverbot gegen den "Aryan Circle" geprüft. Auch diese Prüfung verlief negativ, sodass es bis heute zu keinem Verbot der Gruppierung kam. Eine Sprecherin des Innenministeriums wollte sich "zu aktuellen und auch zu abgeschlossenen Prüfungen von Vereinsverboten auf Landesebene" nicht äußern.
Allerdings betont die Staatsanwaltschaft Flensburg, dass die einzelnen Straftaten der Neonazis konsequent verfolgt werden. Der Neonazi Bernd T. wurde zwischenzeitlich zu einer Bewährungsstrafe wegen Bedrohung verurteilt. Zwei weitere "Aryan Circle"-Anhänger erhielten ebenfalls Bewährungsstrafen. Für ein viertes "Aryan Circle"-Mitglied lautete das Urteil wegen mehrerer Straftaten vier Jahre und neun Monate Haft.