Propalästinensische Demos an Unis Legitimer Protest oder "Tiefpunkt für die Wissenschaft"?
In den USA sorgen propalästinensische Proteste an Unis schon länger für Schlagzeilen - droht nun auch in Deutschland eine ähnliche Eskalation? In Politik und Wissenschaft wird darüber gestritten, was legitimer Protest ist und was nicht.
Auch an deutschen Universitäten häufen sich Protestaktionen propalästinensischer Gruppen, die dabei zum Teil auch versuchen, Räume oder Plätze auf dem Universitätsgelände zu besetzen. Entsprechende Aktionen gab es etwa in Berlin, Bremen und Leipzig.
Sowohl auf Ebene der Hochschulen als auch der Politik wird nun darüber diskutiert, ob solche Protestaktionen legitim sind. Zudem stellt sich die Frage, ob es sich dabei um eine Meinungsäußerung handelt oder um Antisemitismus.
"Wer Intoleranz predigt, darf nicht mit Toleranz rechnen"
Deutliche Kritik kam vom Hochschulverband. Universitäten seien Orte differenzierter geistiger Auseinandersetzungen, aber "keine Orte für gewaltsame und aus dem Ruder laufende Proteste", erklärte Verbandspräsident Lambert T. Koch. Er bezog dies auf Proteste an Berliner Universitäten. Etwa 150 Aktivisten hatten am Dienstag an der Freien Universität Berlin (FU) versucht, einen Hof zu besetzen und Zelte aufzubauen. Die Uni schaltete die Polizei ein und ließ das Gelände räumen.
Die Grenzen von legitimer Israel-Kritik zu Antisemitismus und Unterstützung der Terrororganisation Hamas würden immer wieder erschreckend schnell überschritten, so Verbandspräsident Koch weiter. "Wer Intoleranz predigt, darf nicht mit Toleranz rechnen."
"Recht auf friedlichen Protest"
Grundsätzliche Unterstützung kam hingegen von mehreren Lehrenden Berliner Hochschulen. "Unabhängig davon, ob wir mit den konkreten Forderungen des Protestcamps einverstanden sind, stellen wir uns vor unsere Studierenden und verteidigen ihr Recht auf friedlichen Protest, das auch die Besetzung von Uni-Gelände einschließt", schrieben zahlreiche Dozentinnen und Dozenten in einem offenen Brief.
In der Erklärung wird die "Dringlichkeit des Anliegens der Protestierenden" mit Israels Vorgehen im Gazastreifen und der humanitären Lage in dem Palästinensergebiet als "nachvollziehbar" begründet. Der Terror der Hamas gegen Israel wird hingegen nicht erwähnt. Die Dozentinnen und Dozenten fordern die Berliner Universitätsleitungen auf, "von Polizeieinsätzen gegen ihre eigenen Studierenden" abzusehen.
Die FU verteidigte ihr Vorgehen auf Nachfrage. Während der Proteste habe es antisemitische, diskriminierende Äußerungen gegeben und es sei zu Gewalt aufgerufen worden, erklärte ein Sprecher. "Dies können wir, auch im Blick auf die Sicherheit und den Schutz unserer Mitglieder, nicht akzeptieren." Kritische Stimmen von Mitgliedern der FU nehme man aber sehr ernst.
Das Protestcamp auf dem Theaterhof der Freien Universität Berlin wurde von der Polizei geräumt.
Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger kritisierte den Unterstützerbrief scharf. "Dieses Statement von Lehrenden an Berliner Universitäten macht fassungslos", sagte die FDP-Politikerin der Bild-Zeitung. Statt sich klar gegen Israel- und Judenhass zu stellen, würden Uni-Besetzer zu Opfern gemacht und Gewalt verharmlost.
"Dass es sich bei den Unterstützern um Lehrende handelt, ist eine neue Qualität. Gerade sie müssen auf dem Boden des Grundgesetzes stehen", sagte die Ministerin weiter. Stark-Watzinger hatte bereits vor einigen Tagen davor gewarnt, dass sie die Proteste ähnlich wie in den USA entwickeln und antisemitische Tendenzen stärker zu Tage treten könnten.
"Tiefpunkt für die deutsche Wissenschaft"
Ähnlich wie Stark-Watzinger äußerte sich auch Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner. Berliner Universitäten seien und blieben Orte des Wissens, des kritischen Diskurses und des offenen Austauschs. Für die "Verfasser dieses Pamphlets" habe er aber überhaupt kein Verständnis, so der CDU-Politiker.
Die CSU-Innenpolitikerin Andrea Lindholz bezeichnete den Brief der Berliner Dozenten als einen "Tiefpunkt für die deutsche Wissenschaft". Sie habe kein Verständnis dafür, "wenn Professoren und Dozenten einen Mob von Antisemiten und Israelhassern verteidigen", sagte die stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion der Bild-Zeitung.
Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, zeigte sich enttäuscht von den Unterzeichnern des Schreibens. Den Aktivisten gehe es "weniger um das Leid der Menschen in Gaza, sondern sie werden von ihrem Hass auf Israel und Juden angetrieben." Gerade von Hochschuldozenten hätte er erwartet, "dass dies zumindest klar benannt wird, wenn sich schon für diese Form des Protestes eingesetzt wird."
"Spielraum für freie Meinungsäußerung geht zurück"
Der Botschafter der Palästinensischen Autonomiebehörde in Deutschland, Laith Arafeh, wies Kritik an den propalästinensischen Protesten hingegen zurück. Der Spielraum für freie Meinungsäußerung und die akademische Freiheit mit Blick auf Israel und den Gaza-Krieg gehe immer weiter zurück, sagte Arafeh der Nachrichtenagentur dpa. "Wir verurteilen alle Formen von Fanatismus einschließlich Antisemitismus. Genauso verurteilen wir den systematischen Einsatz falscher Antisemitismus-Vorwürfe gegen alle Stimmen, die ein Ende des Krieges fordern."
Der Krieg im Gazastreifen war durch den Angriff der radikalislamischen Hamas auf Israel vom 7. Oktober ausgelöst worden. Dabei wurden nach israelischen Angaben etwa 1.200 Menschen getötet und rund 250 von den Terroristen als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Durch die anschließenden israelischen Angriffe im Gazastreifen wurden nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums, die sich nicht unabhängig überprüfen lassen, mehr als 34.800 Menschen getötet. Israel steht wegen der Härte der Kriegsführung zunehmend in der Kritik.