Marschflugkörper mit großer Reichweite Bundesregierung prüft offenbar "Taurus"-Lieferung
Die Bundesregierung hat ihre ablehnende Haltung in Bezug auf eine Lieferung von "Taurus"-Marschflugkörpern an die Ukraine offenbar aufgegeben. Voraussetzung sei, dass die Zielprogrammierung des "Taurus" eingeschränkt werde.
Die Bundesregierung prüft Medienberichten zufolge, wie Deutschland die Ukraine in den kommenden Monaten mit Marschflugkörpern vom Typ "Taurus" aus Beständen der Bundeswehr versorgen kann. Nach "Spiegel"-Informationen laufen darüber Gespräche zwischen dem Verteidigungsministerium und der Rüstungsindustrie.
Dabei habe das Haus von Minister Boris Pistorius den "Taurus"-Hersteller gebeten, die Zielprogrammierung des Luft-Boden-Marschflugkörpers zu begrenzen. Eine solche Einschränkung des Systems sei durchaus möglich, berichtet der "Spiegel" unter Berufung auf Industriekreise. Sie werde aber einige Wochen in Anspruch nehmen.
Scholz will Einsatz auf russischem Territorium ausschließen
Bundeskanzler Olaf Scholz wolle durch eine technische Modifikation ausschließen, dass die Ukraine mit den weitreichenden Waffensystemen Angriffe auf russischem Territorium ausführen könne. Scholz wolle die "Taurus"-Lieferung erst genehmigen, wenn er von der Einschränkung überzeugt ist, heißt es weiter. Grundsätzliche Zweifel an der Idee hege er aber nicht mehr.
Das Nachrichtenportal "t-online" hatte zuvor unter Berufung auf SPD-Kreise berichtet, die Regierung wolle "in Kürze" die Lieferung der Marschflugkörper verkünden.
Noch vor einer Woche hatte Verteidigungsminister Pistorius eine unmittelbare Lieferung ausgeschlossen, sie aber nicht kategorisch abgelehnt. "Der Zeitpunkt für eine Entscheidung ist für uns noch nicht gekommen", hatte er gesagt. Die Bedenken gegen die Lieferung lägen auf der Hand. "Wir sind nicht die einzigen, die nicht liefern. Auch unsere amerikanischen Verbündeten liefern diese Marschflugkörper nicht. Unsere haben eine besondere Reichweite."
Erste Anfrage der Ukraine im Mai
Der "Taurus" ist mit einem eigenen Triebwerk und mehreren Navigationssystemen ausgestattet, die einen autonomen Tiefflug durch gegnerisches Gebiet ermöglichen. Das bedeutet, die Marschflugkörper können im Krieg von Kampfflugzeugen abgefeuert werden und Ziele in bis zu 500 Kilometern Entfernung treffen und zerstören. Bereits im Mai hatte die Regierung in Kiew die Bundesregierung um "Taurus"-Lieferungen gebeten, was damals ausgeschlossen worden war.
Doch seit einigen Tagen nimmt die Debatte innerhalb der Ampel-Regierung über eine mögliche Lieferung Fahrt auf. Mit dem Haushaltspolitiker Andreas Schwarz hatte sich am vergangenen Sonntag erstmals ein SPD-Politiker für eine Lieferung ausgesprochen.
Schwarz geht davon aus, dass sich die Ukraine an die Zusage hält, westliche Waffensysteme nicht für Angriffe auf russisches Gebiet einzusetzen. "Auch mit den bereits gelieferten Artilleriesystemen 'Mars' und 'Himars' könnten die Ukrainer russisches Gebiet erreichen, was bisher ja vermieden wurde", sagte er dem "Spiegel". Ähnlich äußerte sich die Grünen-Verteidigungspolitikerin Agnieszka Brugger.
"An der Zeit, grünes Licht zu geben"
Auch die FDP-Verteidigungsexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann sprach sich für die Lieferung der Marschflugkörper an die Ukraine aus. "Wir haben genug 'Taurus'. Ein guter Teil ist sofort einsatzbereit. Die Ukraine braucht sie dringend. Und es wäre an der Zeit, grünes Licht zu geben", sagte die Vorsitzende des Bundestags-Verteidigungsausschusses am Donnerstag bei Phoenix.
Ich glaube, das Problem sitzt erneut im Kanzleramt, wo man versucht, das Thema nicht hochploppen zu lassen. Ich finde es sehr ärgerlich, dass wir wieder eine Diskussion führen, die mich sehr an die Diskussion erinnert, Panzer zu liefern.
Union fordert von Scholz Klarheit über Lieferung
Klarheit über eine "Taurus"-Lieferung wurde auch von Seiten der Union gefordert. In dieser Frage dürfe es kein "weiteres Ampel-Theater" geben, sagte Fraktionsvize Johann Wadephul (CDU) der Nachrichtenagentur dpa. "Für uns ist wichtig, dass eine Entscheidung zur Lieferung von Taurus-Flugkörpern gut abgewogen werden muss. Es muss klar sein, dass es keine Mitwirkung deutscher Soldaten geben darf und die Nachlieferung für die Luftwaffe gleichzeitig mit der Abgabe eingeleitet werden muss."
Der CSU-Verteidigungsexperte Florian Hahn erinnerte, ähnlich wie die FDP-Politikerin Strack-Zimmermann, an die Debatten in der Koalition um Panzerlieferungen an die Ukraine. Weder Scholz noch Verteidigungsminister Boris Pistorius (beide SPD) hätten aus Fehlern gelernt. "Wenn Deutschland sich schon nicht bei der Lieferung von Kampfjets beteiligen kann, sollten wir zumindest bei der Bewaffnung der ukrainischen Luftwaffe eine Führungsrolle einnehmen. Die folgerichtige Entscheidung ist die Lieferung der 'Taurus'-Systeme an die Ukraine", sagte Hahn der dpa. "Dazu braucht man aber Willen und Entscheidungsfreudigkeit. Beides ist bis heute bei der Bundesregierung nicht zu erkennen."
Eine "Taurus"-Lieferung würde der Ukraine entscheidend helfen, sich gegen die russische Aggression zu verteidigen, sagte der CDU-Außenpolitiker Jürgen Hardt. "Wenn die Ampel einen ukrainischen Sieg möchte, sollte sie die Lieferung unverzüglich veranlassen." Er forderte aber auch: "Angriffe auf völkerrechtlich anerkanntes russisches Staatsgebiet sind dabei auszuschließen."