Marschflugkörper für Ukraine Was "Taurus" kann - und warum Berlin zögert
Die Ukraine bittet Deutschland um Marschflugkörper vom Typ "Taurus". Was ist das für ein Waffensystem, wie viele könnte die Bundeswehr abgeben - und warum zögert die Bundesregierung mit der Lieferung?
Was für ein Waffensystem ist der Marschflugkörper "Taurus"?
Der Marschflugkörper vom Typ "Taurus" ist rund fünf Meter lang und wiegt fast 1.400 Kilogramm. Er ist mit einem eigenen Triebwerk und mehreren Navigationssystemen ausgestattet, die einen autonomen Tiefflug durch gegnerisches Gebiet ermöglichen. Das bedeutet, die Marschflugkörper können im Krieg aus sicherer Entfernung von Kampfflugzeugen abgefeuert werden und Ziele in bis zu 500 Kilometern Entfernung treffen und zerstören.
Da die Marschflugkörper besonders tief fliegen und relativ klein sind, können sie von der gegnerischen Flugabwehr nur schwer getroffen werden. Die Bundeswehr hat das Waffensystem "Taurus" seit 2005. Es kann mit den Kampfflugzeugen "Tornado" und "Eurofighter" zum Einsatz gebracht werden. Hersteller ist eine Tochterfirma des Rüstungskonzerns MBDA.
Der Marschflugkörper "Taurus" ist das deutsch-schwedische Gegenstück zu den parallel entwickelten britisch-französischen Marschflugkörpern "Storm Shadow" und "Scalp".
Das "Taurus"-System ist mit dem Kampfflugzeug "Tornado" kompatibel. (Archivbild: 2010)
Hat die Ukraine bereits Marschflugkörper erhalten?
Großbritannien hat Mitte Mai als erstes Land angekündigt, die Ukraine mit eben diesen Marschflugkörpern vom Typ "Storm Shadow" zu beliefern. Frankreich zog im Juli nach und erklärte beim NATO-Gipfel eine ungenannte Zahl an gleichartigen Marschflugkörpern vom Typ "Scalp" abzugeben. Beide Versionen haben eine Reichweite von rund 250 Kilometern. Sie können offenbar umgerüstet und von den in der Ukraine bislang vorhandenen, nicht-westlichen Kampfjets abgefeuert werden.
Wenn Deutschland "Taurus"-Systeme an die Ukraine liefern würde, müsste auch dieses System technisch integriert werden. Und das könnte dauern, denn auch wenn die Ukraine westliche Kampfflugzeuge vom Typ F-16 bekommen sollte, kann der "Taurus" nicht ohne technische Anpassungen eingesetzt werden.
Mit den gelieferten "Storm Shadow" und "Scalp"-Marschflugkörpern sind für die Ukraine schon jetzt Ziele wie das Hauptquartier der russischen Marine in Sewastopol, Depots auf der Krim, Brücken, aber auch Ziele in grenznahen russischen Städten zu erreichen. London und Paris haben aber deutlich gemacht, dass die Ukraine die Waffen lediglich zur Verteidigung des eigenen Gebiets einsetzen soll. In den sozialen Medien gibt es unbestätigte Berichte, dass mithilfe von "Storm Shadows" bereits ein Instandsetzungsdepot für russische Militärfahrzeuge auf der Krim zerstört worden ist.
Warum zögert die Bundesregierung mit der "Taurus"-Lieferung?
Mehrere Verteidigungspolitiker im Bundestag gehen davon aus, dass aktuell noch 150 der 600 "Taurus"-Marschflugkörper der Luftwaffe einsatzbereit sind. Sie rechnen aber damit, dass die anderen 450 durch den Hersteller MBDA wieder für die Ukraine funktionsfähig gemacht werden können. Und nach den Lieferungen der beiden europäischen Atommächte Großbritannien und Frankreich könnte Deutschland im Geleitzug auch "Taurus" an die Ukraine liefern. Die Bundesregierung müsste sich also nur anschließen. Es wäre kein Alleingang, den Kanzler Olaf Scholz ja immer wieder betont vermeiden zu wollen.
Doch seit der ukrainischen Anfrage im Mai zögern Kanzler und Verteidigungsminister Boris Pistorius mit einer Zusage. Denn mit der größeren Reichweite des deutschen "Taurus"-Systems wäre es problemlos möglich, auch Ziele tief auf russischem Gebiet anzugreifen.
Vor diesem Szenario schreckt man aktuell offenbar weiter zurück. Zumal die Ukraine zuletzt ihre Drohnenangriffe ausgeweitet hat und auch zivile Ziele in Moskau attackiert wurden. Verteidigungsminister Pistorius sah mit Blick auf eine mögliche "Taurus"-Lieferung bislang "den Zeitpunkt für eine Entscheidung noch nicht gekommen".
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass die USA als größter militärischer Unterstützer der Ukraine bislang auch keine Waffen mit vergleichbarer Reichweite liefern. Bislang zögern die USA vor allem, der Ukraine die "Atacms"-Raketen zur Verfügung zu stellen. Denn auch mit diesen Raketen mit 300 Kilometern Reichweite wären Angriffe auf Ziele weit hinter der Grenze zu Russland möglich.
Die "New York Times" hatte zudem Mitte Juli berichtet, dass es bei US-Präsident Joe Biden die Sorge vor einer weiteren Eskalation des Krieges gibt. Ein Umdenken der USA hatte in der Vergangenheit häufig dazu geführt, dass sich auch die Bundesregierung an Waffenlieferungen beteiligt hat.
Welche Rolle spielt Deutschland bei Waffenlieferungen an Kiew?
Nach Angaben des Kiel Instituts für Weltwirtschaft (IfW) ist Deutschland mit weitem Abstand in absoluten Zahlen der zweitgrößte Geber von Militärhilfe an die Ukraine - nach den USA. Von Januar bis Ende Juli 2023 sind rund 5,4 Milliarden Euro freigegeben worden. Geliefert wurden unter anderem "Leopard"-Kampfpanzer, Schützenpanzer "Marder", Truppentransporter, "Gepard"-Flakpanzer sowie andere hochmoderne Luftverteidigungssysteme und Munition.