Kritik an Haltung zu Ukraine Die SPD setzt auf Frieden - doch auf welchen?
Die SPD stellt das Wort "Frieden" vermehrt in den Mittelpunkt. Sie positioniert sich als Gegner derjenigen, die ausnahmslos Waffenlieferungen an die Ukraine fordern. Kritiker befürchten, dass die Partei den Ernst der Lage verkennt.
Es dürfte ein bewusster Schritt der Strategen im Willy-Brandt-Haus gewesen sein: "Frieden sichern. SPD wählen." Das steht unter einem Foto von Bundeskanzler Olaf Scholz und Europa-Spitzenkandidatin Barley.
Die Wahlkampagne der SPD setzt zuallererst auf das Wort Frieden. Im aktuellen Wahlwerbespot, in dem Barley und Scholz vor zwei Schachbrettern sitzen, nennt Barley Frieden noch vor Sicherheit, Gerechtigkeit und Zusammenhalt. Die SPD will sich als Friedenspartei inszenieren - doch viele fragen sich: Was genau bedeutet das?
Friedens- und Entspannungspolitik steckt tief drin in der DNA der Partei. Die SPD-Legende Willy Brandt vertrat Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre eine Entspannungspolitik gegenüber der Sowjetunion und ihren Verbündeten, die dem damaligen Bundeskanzler den Friedensnobelpreis einbrachte.
Zurück zur Jugend?
Auch der heutige Bundeskanzler Scholz ist in seinen jungen Jahren ein Verfechter von Abrüstung gewesen. Als stellvertretender Bundesvorsitzender der Jusos reiste Scholz in den 1980er Jahren viele Male in die DDR. 1987 trat er bei einer Veranstaltung der SED-nahen Freien Deutschen Jugend (FDJ) auf und forderte: "Frieden kann heute und in dieser Welt nicht mehr militärisch hergestellt werden. Sicherheit und Frieden sind nur politisch herstellbar." Damals ging es um einen atomwaffenfreien Korridor in Europa.
Mit der aktuellen Friedenskampagne kehrt Scholz auch ein Stück weit zurück zu seiner politischen Jugend - auch wenn er gleichzeitig einen sicherheitspolitischen Kurswechsel vollzogen hat und Deutschland unter seiner Kanzlerschaft zu einem der wichtigsten militärischen Unterstützer der Ukraine in Europa geworden ist.
Wie viel hat die SPD dazu gelernt?
Die SPD und Russland: Die Freundschaft von Altkanzler Gerhard Schröder zu Kremlchef Wladimir Putin, die Nord Stream-Pipelines, um billiges russisches Gas nach Europa zu bringen - es waren meist SPD-Politiker, die Russland an Europa binden wollten und damit Deutschland von Russland abhängig gemacht haben. Auch nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim 2014 veränderte die SPD kaum ihre Haltung zum international immer aggressiver auftretenden Russland.
Als 2015 die Warnungen vor einer Abhängigkeit von Russland laut wurden, sowohl in Deutschland als auch in anderen europäischen Staaten, hielt die SPD an dem Projekt fest. Sigmar Gabriel, damals Wirtschaftsminister und SPD-Chef, setzte das Projekt durch - begleitet vom offensichtlich falschen Hinweis von CDU-Bundeskanzlerin Angela Merkel, es sei ein rein privatwirtschaftliches Projekt. Erst nach dem Beginn der russischen Ukraine-Invasion räumte Gabriel Fehler ein.
Noch immer gilt die SPD im Vergleich zu den meisten anderen deutschen Parteien als zögerlicher in Bezug auf die militärische Ukraine-Hilfe - und erntet dafür Kritik, auch aus den eigenen Reihen. Der SPD-Außenpolitiker Michael Roth, starker Verfechter der Ukraine-Unterstützung, kandidiert nicht mehr für den Bundestag, auch weil er sich zunehmend von der SPD entfremdet habe.
Treffen mit Historikern
Fünf Professoren, selbst SPD-Mitglieder, kritisierten Scholz' Kommunikation und zögerliche Haltung bei der Unterstützung der Ukraine wie auch die Fehler der Vergangenheit in einem offenen Brief. "Teile der Partei denken ja anscheinend, es sei da mit einem Parteitagsbeschluss alles getan, dass da nicht alles gut war, was man in der Russlandpolitik gemacht hat," sagte einer der Unterzeichner Jan C. Behrends im RBB-Radio. "Wir glauben, dass man die gesamte Russlandpolitik der Bundesregierung aufarbeiten sollte." Heute sind die Unterzeichner des Briefes ins Willy-Brandt-Haus geladen.
Prominente SPD-Politiker wehren sich indes gegen jene, die sich für mehr Waffenlieferungen in die Ukraine aussprechen. Olaf Scholz sagte im Zusammenhang mit der Taurus-Debatte: "Ich wundere mich, dass es einige gar nicht bewegt, ob es gewissermaßen zu einer Kriegsbeteiligung kommen kann durch das, was wir tun."
Fraktionschef Rolf Mützenich forderte im Bundestag eine Diskussion über das "Einfrieren" des Konflikts. Und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, als Außenminister gemeinsam mit Bundeskanzlerin Merkel an den Minsk-Vereinbarungen zum Einfrieren des Krieges in der Ostukraine 2015 beteiligt, kritisiert den "wachsenden Ehrgeiz" der "Militärexperten, der Kaliber-Experten".
Welcher Frieden ist gemeint?
Ein Ende des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine dürfte sich so ziemlich jeder herbeisehnen, auch um eine weitere Eskalation zwischen Russland und der NATO zu verhindern. Doch die Friedensrhetorik der SPD birgt das Risiko, dass darunter ein Diktatfrieden verstanden werden könnte - also ein Frieden unter Russlands Bedingungen.
Ein solcher würde Kremlherrscher Putin für seinen Angriffskrieg belohnen und könnte ihn und andere Diktatoren zu weiteren militärischen Schritten ermuntern. Auf der anderen Seite sagen selbst ausgewiesene Hardliner in der deutschen Debatte: Jeder Krieg, auch dieser, wird irgendwann mit Verhandlungen enden, um einen Frieden herbeizuführen.
Scholz' SPD dürfte mit ihrer neuen Friedensrhetorik vor der Europawahl verbreitete Sorgen in der Bevölkerung aufgreifen. Fast zwei Drittel sorgen sich laut ARD-Deutschlandtrend vom März dieses Jahres vor mehr russischer Einflussnahme in Europa, russischen Angriffen auf andere Staaten in Europa oder dass Deutschland in den Krieg hineingezogen werden könnte. Etwa ebenso viele sind gegen eine Lieferung der "Taurus"-Marschflugkörper an die Ukraine.
Und in einer Forsa-Umfrage findet eine knappe relative Mehrheit, die Ukraine solle auch dann verhandeln, wenn Russland noch Teile ihres Staatsgebiets besetzt hält. Da erscheint es nur logisch, wenn die SPD diese Stimmungen in der Bevölkerung nicht nur den extremeren Kräften um AfD, BSW und Linke überlassen will.