Polizisten führen den mutmaßlichen Attentäter von Solingen ab.
analyse

Messerangriff in Solingen Ein Anschlag im Namen des IS?

Stand: 26.08.2024 16:24 Uhr

Der sogenannte Islamische Staat hat ein Video verbreitet, das den Attentäter von Solingen zeigen soll. Steht damit fest, dass der Anschlag im Namen des IS verübt wurde? Und was bedeutet das?

Eine Analyse von Michael Götschenberg, ARD-Hauptstadtstudio

Issa al H. war ein unbeschriebenes Blatt für die deutschen Sicherheitsbehörden. Für den sogenannten Islamischen Staat angeblich nicht. Die Terrororganisation reklamiert den Anschlag in Solingen für sich, der 26-jährige Syrer sei ein Soldat des "Islamischen Staats" gewesen, hieß es in einer ersten Bekennerbotschaft, die der IS am Samstagabend verbreitete.

Dass diese Botschaft tatsächlich von der Terrormiliz stammt, gilt als unstrittig. In der Vergangenheit hat der IS sich desselben Verbreitungswegs bedient, wenn die Organisation Anschläge für sich reklamiert hat. Allerdings war diese erste Botschaft vor allem eine Behauptung - es fehlten die Beweise. Der Name des Attentäters wurde nicht genannt, es fehlte exklusives Täterwissen, auch ein Bekennervideo war nicht dabei.

Derartige Videos, die Attentäter mit ihrem Smartphone aufnehmen, mitunter die Tat ankündigen und einen Treueschwur auf den IS leisten, wurden in der Vergangenheit immer wieder vom IS verbreitet. Beispielsweise auch von Anis Amri, der den Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz verübte.

IS veröffentlicht Video

Gestern am späten Abend meldete sich der IS erneut zu Wort. Dieses Mal mit einem Foto, auf dem ein Mann zu sehen ist, der jedoch komplett vermummt ist. Es könnte Issa al H. sein - oder auch nicht. Der IS kündigte an, dass es auch Videoaufnahmen gebe und verbreitete wenig später einen Clip in der Länge von gut anderthalb Minuten, in dem der vermummte Mann mit einer Machete zu sehen ist, in Verbindung mit zwei weiteren kurzen Clips, in denen das Gesicht durch Verpixelung unkenntlich gemacht wurde.

In dem Video kündigt die Person Racheakte an und schwört dem IS die Treue. Ist das wirklich Issa al H.? Sicher ist es nicht. Doch es wäre erstaunlich, wenn der IS nun auch noch mit einem Fake-Video versuchen würde, den Anschlag von Solingen für sich zu reklamieren.

Die ermittelnde Bundesanwaltschaft zeigte sich gestern am Nachmittag bereits überzeugt, dass Issa al H. die Ideologie des IS teile und "sich der Vereinigung zu einem derzeit nicht genau bestimmbaren Zeitpunkt vor dem 23. August" angeschlossen habe. Dass die Ermittler zu diesem Zeitpunkt schon so überzeugt davon waren, könnte daran liegen, dass es offenbar auch nachrichtendienstliche Hinweise aus dem Ausland auf eine Verbindung von Issa al H. zum IS gibt.

Anzeichen für Radikalisierung?

Vor der Tat war Issa al H. jedoch weder der Polizei noch dem Verfassungsschutz als islamistischer Extremist bekannt. Er war auch nicht durch Straftaten in Erscheinung getreten. Er hatte sich lediglich einer Abschiebung nach Bulgarien entzogen, bei der es aber nicht um die Abschiebung eines Straftäters oder Terrorverdächtigen ging.

Unterdessen gehen die Ermittlungen weiter: ein DNA-Abgleich zwischen Issa Al H. und der DNA an der Tatwaffe ist nach ARD-Informationen positiv ausgefallen. Wann aber hat er sich radikalisiert? Gab es Anzeichen dafür und hätten sie bemerkt werden können?

Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es dazu keine Informationen. Lediglich ein Gespräch mit einem 15-jährigen Kirgisen, der am Samstagmorgen festgenommen worden war: Er soll mit jemandem gesprochen haben, der einen Angriff mit einem Messer angekündigt habe. Der Polizei sagte er davon nichts. Die Ermittler werden nun intensiv nach Personen suchen, die Auskunft darüber geben können, ob es Anzeichen für eine Radikalisierung des Täters von Solingen gab.

Wie war der Täter mit dem IS in Kontakt?

Aufschluss gibt in diesen Fällen auch die Auswertung der Kommunikation im Vorfeld der Tat. Nach Informationen des ARD-Hauptstadtstudios hat die Polizei mittlerweile ein Smartphone und ein Tablet gefunden, allerdings völlig durchnässt in einem Gulli. Ob es die Geräte sind, mit denen der mutmaßliche Täter kommuniziert hat, ist noch unklar. 

Eine Auswertung der Geräte könnte Aufschluss darüber geben, ob und wie Issa al H. mit dem IS in Kontakt stand, beispielsweise mit einem Operator. Derartige Operatoren haben die Aufgabe, Personen, die grundsätzlich bereit sind, Anschläge zu verüben, in diesem Entschluss zu bestärken und bei der Anschlagsplanung zu begleiten.

Auch Anis Amri hatte einen Operator an seiner Seite, mit dem er über einen Messengerdienst in Verbindung stand. Auch nachdem der IS militärisch besiegt und von der Landkarte verschwunden war, sollen derartige Operator in den vergangenen Jahren im Einsatz gewesen sein. Bisher gibt es jedoch keine Hinweise darauf, dass dies auch bei Issa al H. der Fall gewesen sein könnte. Welcher Art seine Verbindung zum IS war, bleibt bisher unklar.

Bezug zur Situation in Gaza

In seiner ersten Bekennerbotschaft nahm der IS ausdrücklich Bezug zur Situation in Gaza. Seit einigen Monaten schon haben islamistische Terrororganisationen das Thema für sich entdeckt: Mit Verweis auf das Leid der "muslimischen Geschwister" in Gaza, in Verbindung mit den schrecklichen Bildern, die der Krieg produziert, versucht auch der IS, seine Anhänger zu mobilisieren. Das Ziel: Anschläge zu verüben, möglichst in der westlichen Welt.

Konkret wurde auch zu Anschlägen rund um die Fußball-Europameisterschaft und die Olympischen Spiele aufgerufen. Doch auch ein Anschlag wie jetzt in Solingen ist durchaus im Sinne der Terrormiliz: Den Terroristen geht es darum, Angst und Schrecken zu verbreiten, dass es nicht nur bei symbolträchtigen Großereignissen, sondern jederzeit und überall zu einem Anschlag kommen könnte, und so maximale Verunsicherung zu streuen. Mit der Realität hat das jedoch nichts zu tun.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Inforadio am 26. August 2024 um 08:21 Uhr.