Regierungserklärung von Scholz Warum der Kanzler Klartext spricht
Nach Mützenichs Äußerung über ein "Einfrieren" des Ukraine-Konflikts wurde der Scholz-Auftritt im Bundestag zum Spagat. Doch vielleicht hat der SPD-Fraktionschef dem Kanzler sogar einen Gefallen getan.
Wie positioniert man sich als Kanzler zwischen einem friedensbewegten SPD-Fraktionschef und einem Verteidigungsminister, der sich vom eigenen Fraktionschef in der Ukraine-Politik gerade entschieden distanziert hat? Bei früheren Regierungserklärungen war die Scholz-Partei eher nicht das Problem für ihn. Da musste er oftmals Dispute seiner Koalition zwischen FDP und Grünen behandeln.
Nun ist das anders: Seit Tagen kreist die politische Debatte um ein einziges Wort des SPD-Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich. Er hatte in der vergangenen Woche am Rednerpult des Bundestags zur Ukraine-Politik folgende Frage gestellt: Ob es nicht an der Zeit sei, nicht nur darüber zu reden, wie man einen Krieg führt, "sondern auch darüber nachzudenken, wie man einen Krieg einfrieren und später auch beenden kann".
"Einfrieren" - dieser Begriff brachte den zur SPD gehörenden Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius am Montag bei einer Auslandsreise dazu, ziemlich deutlich zu antworten: "Es würde am Ende nur Putin helfen". Einen Diktatfrieden dürfe es nicht geben und "keinen Frieden, der dazu führt - oder einen Waffenstillstand oder ein Einfrieren - bei dem Putin am Ende gestärkt herausgeht und den Konflikt fortsetzt, wann immer es ihm beliebt", sagte Pistorius. Die Ukraine müsse weiter "ohne Wenn und Aber" unterstützt werden.
Damit war immerhin die Passage in Olaf Scholz‘ Regierungserklärung schon fast geschrieben. Scholz machte ebenso deutlich, dass Deutschland innerhalb Europas der größte Unterstützer der Ukraine ist, gerade bei der Verteidigungsfähigkeit des Landes. Und zwar so lange, wie sie das brauche. Für diese eigentlich nicht neue Klarstellung erntete er sogar Dank von Oppositionsführer und Unions-Fraktionschef Friedrich Merz.
Scholz antwortete mit einem Dreiklang: Mehr und dauerhafte Unterstützung für die Ukraine - nun auch mit internationaler Munitionsbeschaffung, keine NATO-Beteiligung und kein "Diktatfrieden". Der Kanzler schaffte es in seiner halbstündigen Rede, die neuralgischen Debattenpunkte der vergangenen Tage einfach gar nicht zu erwähnen: weder das Waffensystem "Taurus" und noch das Mützenich‘sche "Einfrieren".
Damit kam er darum herum, den bei den SPD-Abgeordneten überaus beliebten Fraktionschef zu beschädigen. Zudem wird Scholz die Debatte der vergangenen Tage nicht unbedingt gestört haben. Denn gerade bei der deutschen Ukraine-Politik stellen nach seinem Geschmack schon lange zu viele im politischen Berlin die Frage, warum nicht mehr geliefert werde, aber zu selten die Frage, ob es nicht einen Kurs der Besonnenheit brauche.
Scholz wirkte bei früheren Diskursen der Ampelkoalition über das richtige Maß oder auch richtige Waffensystem zur Unterstützung der Ukraine immer wieder zunächst als der Zaudernde, später dann der von FDP und grünen Verteidigungspolitikern Getriebene, zum Beispiel, als er sich etwa bei der Lieferung des Kampfpanzers "Leopard 2" doch spät dafür entschied.
Insofern hat Mützenich ihm vielleicht sogar einen Gefallen getan, weil Scholz sich heute als Macher und Klartext-Sprecher präsentieren und klarstellen konnte, dass nicht nur Deutschland, sondern auch Europa Tempo mache bei der Unterstützung des angegriffenen Landes.
Immer wieder inhaltliche Differenzen bei der Ukraine-Politik
Letztlich zeigt sich an den wiederkehrenden Debatten zur Ukraine-Politik das inhaltliche Spannungsfeld in der Ampelkoalition zur Unterstützung der Ukraine. Es existiert seit Beginn des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges seitens Russlands.
Da gibt es gerade auch bei den kleineren Koalitionspartnern den Wunsch nach mehr und schnellerer Unterstützung, als es Mützenich und seinem Umfeld in der SPD angeraten schien. Zuletzt sprach sich etwa Agnieszka Brugger von den Grünen für eine Lieferung des Waffensystems "Taurus" aus, obwohl sich Scholz hier klar und deutlich dagegen positioniert hatte.
"Debatte lässt sich nicht mit Basta beenden"
"Der beste Garant für unsere Sicherheit ist eine Niederlage Putins, auch deshalb unterstützen wir die Ukraine", sagte Brugger im Bundestag vergangene Woche. Auch Zögern und Zaudern könne zur Eskalation beitragen. Deshalb lasse sich die "Taurus"-Debatte "nicht mit einem Basta beenden". Mützenichs Positionierung dürfte auch als Antwort darauf verstanden werden.
Immerhin habe der SPD-Fraktionschef es damit geschafft, das öffentliche Interesse von Scholz und der ihn nervenden "Taurus"-Debatte wegzulenken - sagt jemand aus seinem Umfeld. Ob das nun Absicht war oder ein Nebeneffekt, bleibt offen.