Regierungserklärung Scholz verteidigt Migrationspolitik
Die Migrationspolitik ist eines der umstrittensten Themen in der EU. Morgen soll darüber auf dem EU-Gipfel beraten werden. Kanzler Scholz kündigte in seiner Regierungserklärung an, Migranten ohne Bleiberecht konsequent abzuschieben.
Wie kann eine gemeinsame europäische Einwanderungspolitik gelingen? Vor dem außerordentlichen Treffen des Europäischen Rats hat sich Bundeskanzler Olaf Scholz zuversichtlich zu Fortschritten in den seit Jahren festgefahrenen Verhandlungen über eine gemeinsame EU-Migrations- und Asylpolitik gezeigt. Eine Reform des europäischen Asylsystems sei noch in der laufenden europäischen Legislaturperiode möglich, sagte Scholz in einer Regierungserklärung im Bundestag. Sie endet bereits 2024.
Scholz sagte, man brauche eine wirksamere Kontrolle der Außengrenzen, auch mithilfe der EU-Grenzschutzagentur Frontex. Es brauche bessere gemeinsame Grenzpatrouillen. Gleichzeitig betonte er, dass die EU-Staaten an der Außengrenze Unterstützung benötigten. Auch andere Länder müssten Asylsuchende aufnehmen. Es sei richtig gewesen, dass die EU und die Türkei ihre Zusammenarbeit fortgesetzt haben, betonte der Kanzler.
Sicherheitskontrollen bereits an den EU-Außengrenzen
Gleichzeitig signalisierte Scholz Zustimmung für den Vier-Punkte-Plan zur Bekämpfung von irregulärer Migration, den die EU-Kommission in der vergangenen Woche vorgelegt hatte. Die Vorschläge zielen auf eine bessere Sicherung der EU-Außengrenze, eine Erhöhung der Rückführungen, eine höhere Solidarität der EU-Mitgliedstaaten und eine stärkere Zusammenarbeit mit Drittstaaten. Eine Reform des europäischen Asylsystems wird seit Jahren von Staaten, die sich gegen eine gerechtere Verteilung Schutzsuchender wehren, blockiert.
Zudem befürworte der Kanzler die Pläne für die EU-Fingerabdruckdatenbank "Eurodac" sowie die Screening-Verordnung, die Identifizierungsmaßnahmen und Sicherheitskontrollen von Asylbewerbern schon an der Außengrenze möglich machen soll. Man brauche Klarheit, wer nach Europa komme und warum, sagte Scholz.
Scholz: Brauchen weitere Migrationsabkommen
Scholz stellte sich auch hinter Überlegungen, legale Zuwanderung an die Bereitschaft von Ländern zu knüpfen, abgelehnte Asylbewerber zurückzunehmen. Ein solches Migrationsabkommen sei mit Indien geschlossen worden und funktioniere erfolgreich. Weitere Abkommen würden folgen, sagte er mit Verweis auf den kürzlich dafür berufenen Sonderbevollmächtigten für Migration, Joachim Stamp. Parallel sollten solche Vorhaben auch in der EU vorangebracht werden. "So bringen wir Ordnung ins System und setzen die richtigen Anreize", betonte Scholz. "Wer hier kein Bleiberecht erhält, muss Deutschland wieder verlassen."
Gezielte Zuwanderung sei allerdings angesichts des Fachkräftemangels nötig. Er befürworte die Einrichtung eines weiteren Flüchtlingsgipfels durch Innenministerin Nancy Faeser. Deutschland sei bereits vorangekommen bei der Migrationspolitik - als Beispiel nannte der Kanzler die Aktivierung des temporären Schutzes für Ukrainerinnen und Ukrainer. 125.000 sozialversicherungspflichtige Ukrainerinnen und Ukrainer seien mittlerweile in Deutschland beschäftigt. Viele weitere Menschen hätten Teilzeitjobs gefunden. Ausdrücklich bedankte er sich bei den Ländern, Ehrenamtlichen und Vereine für die Anstrengungen bei der Aufnahme vor Ort. "Und wie schon im Vorjahr greift der Bund den Ländern und Gemeinden auch in diesem Jahr mit Milliarden unter die Arme, um die Ankommenden gut zu versorgen."
Merz: Flüchtlingsfrage muss zur Chefsache werden
Kritik kommt von der Opposition. Die Flüchtlingsfrage müsse zur Chefsache erklärt werden, forderte Friedrich Merz, Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion. Der Kanzler müsse jetzt zu einem Flüchtlingsgipfel unter seiner Führung mit konkreten Maßnahmen einladen, insbesondere um den Städten und Gemeinden wirksam zu helfen. "Die Aufnahmekapazitäten sind in vielen Landkreisen, Städten und Gemeinden erschöpft", sagte Merz in der Aussprache über die Regierungserklärung. Es dürfe nicht erneut einen Gipfel ohne jedes Ergebnis wie im vergangenen Herbst unter Leitung von Innenministerin Faeser geben. Zusätzlich zu den mehr als eine Million Flüchtlingen aus der Ukraine, die Deutschland schon aufgenommen habe, kämen seit dem vergangenen Herbst vermehrt Flüchtlinge und Asylbewerber aus Syrien, dem Irak, aus Afghanistan und weiteren Ländern des Mittleren und Nahen Ostens.
Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge forderte hingegen bessere Schutzstandards. "Kein Mensch flieht ohne Grund. Niemand verlässt leichtfertig sein vertrautes Umfeld. Das ist der Kern von Flucht und Migration." Es gehe um eine gemeinsame europäische Verantwortung bei der Aufnahme von Geflüchteten. Außerdem müsse die Bekämpfung von Fluchtursachen stärker in den Blick genommen werden. "Hierzu gehören Entwicklungszusammenarbeit und zivile Krisenprävention." Dies sei eine elementare Aufgabe. Eine entsprechende Finanzierung der Entwicklungszusammenarbeit und der humanitären Hilfe müsse wie im Koalitionsvertrag im Bundeshaushalt abgebildet werden.
Neue EU-Sanktionen gegen Russland angekündigt
Nicht nur bei der Aufnahme von Ukrainerinnen und Ukrainern sicherte Scholz Solidarität zu. Deutschland gehöre zu den finanziellen Hauptunterstützern der Ukraine. "Auch bei der Lieferung von Waffen und Munition liegen wir in Kontinentaleuropa weit vorne", betonte Scholz angesichts der Debatten etwa um Panzerlieferungen und Kritik aus Osteuropa. Das höchste Gut der westlichen Staaten sei der Zusammenhalt. Gleichzeitig warnte er vor einem öffentlichen Überbietungswettbewerb bei Militär-Lieferungen an die Ukraine. Dissonanzen und Spekulationen über mögliche Unterschiede der Interessen nutzten allein dem russischen Präsidenten und dessen Propaganda.
"Wir lassen nicht zu, dass sich ein Land mit Gewalt Teile eines anderen Landes einverleibt", sagte der Kanzler. "Deshalb unterstützen wir die Ukraine so lange wie nötig". Die bestehenden EU-Sanktionen gegen Russland würden zum Jahrestag des Angriffskrieges noch einmal verschärft. Die Bundesregierung werde die Umsicht und Nervenstärke beibehalten, die es brauche, um abzuwägen. Die NATO werde nicht zur Kriegspartei.
Merz: Große Teile der Zeitenwende nur auf dem Papier
Immer wieder war in den vergangen Monaten die abwartende Haltung der Bundesregierung von der Union kritisiert worden. Während der Aussprache erneuerte Merz seine Kritik. Scholz habe zwar nach dem russischen Angriff eine Zeitenwende ausgerufen. "Große Teile dieser Zeitenwende finden bisher in Deutschland weitgehend auf dem Papier statt", sagte der CDU-Vorsitzende. Deutschland habe zwar moderne Flugabwehrsysteme und Artillerie geliefert. Es habe aber bis zum Schluss gebremst und gezögert, bis vor zwei Wochen entschieden worden sei, der Ukraine auch moderne Schützen- und Kampfpanzer zu liefern.
Jetzt werde die Auslieferung einige Wochen und Monate dauern, mit der Ausbildung der ukrainischen Soldaten und der Instandsetzung der Panzer werde erst in diesen Tagen begonnen. Betriebe, die Fahrzeuge und Munition produzieren könnten, beklagten, dass sie keine Aufträge bekämen, dass Zahlungsziele nicht eingehalten würden. Damit bestehe keine Planungssicherheit, sagte Merz. "Herr Bundeskanzler, so kann man auch mit den Bündnisverpflichtungen nicht umgehen. Das geht nicht."
Die Staats- und Regierungschefs und -chefinnen der EU kommen am Donnerstag und Freitag zu einem außerordentlichen Rat zusammen. Neben der Migrationspolitik und dem Ukraine-Krieg stehen auch weitere mögliche Handelsabkommen auf der Tagesordnung.