Verteidigungsminister Pistorius "Die Brigade Litauen soll jederzeit einsatzbereit sein"
In den kommenden Jahren sollen 4.000 Kräfte der Bundeswehr in Litauen stationiert werden. Dafür will Verteidigungsminister Pistorius gute Rahmenbedingungen schaffen, sagt er im Interview mit tagesschau.de.
tagesschau.de: Sie haben den Aufbau einer deutschen Brigade in Litauen mit "rund 4.000" Mann angekündigt. Werden wir also zum Zeitpunkt X 4.000 deutsche Soldatinnen und Soldaten in Litauen sehen?
Boris Pistorius: Es werden rund 4.000 sein. Vielleicht werden es am Ende sogar eher mehr als weniger sein. Denn neben den Soldatinnen und Soldaten des Heeres brauchen wir zum Beispiel auch Logistikkräfte, IT-Spezialisten und Sanitätspersonal vor Ort.
Um die Dimension klar zu machen: Die Brigade soll nicht nur außerhalb Deutschlands stationiert sein. Sie soll jederzeit einsatzbereit sein. Die Ostflanke im Sinne der NATO zu schützen, bedeutet: Unsere Soldatinnen und Soldaten werden trainieren, um potentielle Gegner abzuschrecken. Im Falle eines Angriffs werden sie NATO-Gebiet verteidigen.
Mit der Brigade Litauen marschieren wir in Absprache mit unseren Verbündeten voran, gehen auch für uns neue Wege. Sie ist das Leuchtturm-Projekt der Zeitenwende, das nicht nur nach außen wirkt, sondern auch in die Truppe hinein. Jede und jeder spürt: Es tut sich was bei der Bundeswehr. Wir erleben die Zeitenwende nicht nur passiv mit, sondern wir gestalten mit. Deutschland zeigt damit echte und sehr konkrete Führung in Europa und in der NATO.
Kommandeur bis spätestens 2025
tagesschau.de: Wie sieht Ihr Zeitplan aus?
Pistorius: Unser Ziel wollen wir in mehreren Schritten erreichen. Bereits in der ersten Jahreshälfte 2024 wollen wir ein Vorkommando in Litauen haben, in der zweiten Jahreshälfte 2024 einen sogenannten Aufstellungsstab. Das heißt, wir werden bis Ende nächsten Jahres mit einer niedrigen dreistelligen Anzahl an Soldatinnen und Soldaten vor Ort sein. Schnellstmöglich - spätestens 2025 - soll die Brigade einen Kommandeur bekommen.
Unsere Partner in Litauen werden die nötige Infrastruktur nicht von heute auf morgen aufbauen und zur Verfügung stellen können. Auch das wird in mehreren Stufen geschehen. Daher werden wir die Brigade in den nächsten Jahren schrittweise nach Litauen verlegen.
Wann die Brigade vollständig und voll einsatzbereit vor Ort sein wird, hängt nicht zuletzt von den Fortschritten ab, die unsere litauischen Freunde beim Aufbau der Infrastruktur machen. Bis Ende des Jahres werden wir gemeinsam einen Fahrplan erstellen.
"Viele positive Rückmeldungen"
tagesschau.de: Wie wird die Brigade zusammengestellt sein?
Pistorius: Wir wollen eine Brigade vor Ort haben, die militärisch optimal aufgestellt ist. Sie muss die NATO-Anforderungen erfüllen und sich in die NATO-Verteidigungspläne für die Ostflanke fügen, in das sogenannte "NATO Force Model".
Dafür ist eine Kampfbrigade schwerer Kräfte des Heeres mitsamt Unterstützungskräften geeignet. Eine Brigade, die neu zusammengestellt wird, und zwar aus verschiedenen, bereits bestehenden Brigade-Elementen, die wir derzeit in Deutschland haben. Anders ausgedrückt: Wir werden keine Brigade, die in Deutschland stationiert ist, eins zu eins nach Litauen verlegen. Das hätte zu große Auswirkungen auf das Stationierungskonzept der Bundeswehr.
tagesschau.de: Kriegen wir 4.000 geeignete Freiwillige innerhalb der Bundeswehr für diese Aufgabe zusammen? Einer Umfrage zufolge war nur jeder oder jede Fünfte bereit, sich über Jahre an Litauen zu binden.
Pistorius: "Nur"? Falls die Zahl aus der Umfrage, die Sie zitieren, stimmen sollte, muss ich den Interessenten sogar sagen: Habt Geduld. Nicht jeder Fünfte oder jede Fünfte wird gleich in der Anfangsphase die Möglichkeit bekommen, für drei Jahre nach Litauen verlegt zu werden.
In der Tat bekommen wir sehr viele positive Rückmeldungen aus der Truppe, was mich sehr freut. Litauen hat einen exzellenten Ruf bei den Soldatinnen und Soldaten. Übrigens auch deswegen, weil das Zusammenspiel zum Beispiel bei der von uns geführten multinational aufgestellten "Battle Group" dort bereits hervorragend klappt. Das hilft uns. Denn das Prinzip Freiwilligkeit wird Vorrang haben.
Standorte nahe Vilnius und Kaunas im Blick
tagesschau.de: Können Sie ausschließen, dass Deutschland für die Aufgabe nicht Partnernationen braucht?
Pistorius: Um es deutlich zu sagen: Wir wollen Partner mit einbinden. Seit Jahren haben wir enge Verflechtungen mit den Landstreitkräften anderer Länder. Das sind vertrauensvolle Kooperationen, von denen alle Seiten profitieren: Wir trainieren gemeinsam, wir nutzen Liegenschaften gemeinsam, wir beschaffen Waffensysteme gemeinsam.
Für die Brigade Litauen heißt das: Wir wollen unsere in Litauen bereits stationierte Battle Group der "Enhanced Forward Presence" anpassen und in die Brigade Litauen integrieren. Auf die erfolgreichen und wechselseitig hoch geschätzten Kooperationen wollen wir keinesfalls verzichten. Aus diesem Grund sind wir derzeit insbesondere mit unseren Partnern in den Niederlanden und in Norwegen im Gespräch über eine mögliche Beteiligung an der Brigade Litauen.
tagesschau.de: Eine Ihrer Bedingungen war eine bestehende Infrastruktur für das deutsche Kontingent. Was muss Ihrer Meinung vor Ort da sein? Kasernen? Mietwohnungen? Straßen? Oder gehören zur Infrastruktur auch Schulen, Kindergärten und Supermärkte?
Pistorius: Wir sind auf einem guten Weg. Bis Ende des Jahres erstellen wir gemeinsam mit unseren Partnern in Litauen den Fahrplan. Dann wird klar sein, welche Einrichtungen bis wann gebaut sein werden, damit unsere Bundeswehrangehörigen in Litauen arbeiten und, wenn gewünscht, mit ihren Familien dort leben können. Wir haben bereits jetzt Standorte in der Nähe der großen Städte Vilnius und Kaunas im Blick.
In der Tat geht es aber nicht nur um militärische Infrastruktur wie Kasernen und Truppenübungsplätze, sondern auch um zivile Infrastruktur wie Kitas und Schulen, aber auch um Freizeitmöglichkeiten. All dies muss durch unsere litauischen Partner zur Verfügung gestellt werden. Wir wollen die Rahmenbedingungen für die Bundeswehrangehörigen attraktiv gestalten.
Unser Eindruck ist, dass Litauen gerade viel Geld und überhaupt alle Hebel in Bewegung setzt, damit möglichst vieles realisiert wird. Die Wahrnehmung der Bedrohung durch Russland ist in Litauen deutlich spürbar. Wir sehen durch unsere intensivierte Zusammenarbeit eine regelrechte Aufbruchstimmung in Litauen. Das wird sich auch auf unsere Soldatinnen und Soldaten übertragen.
Dabei wollen wir ihre persönliche Lebenssituation berücksichtigen. Es wird diejenigen geben, die pendeln, und andere, die sich für drei Jahre in Litauen niederlassen wollen. Beides muss attraktiv sein. Wir sorgen dafür, dass die Rahmenbedingungen stimmen.
"Fester Bestandteil der NATO-Verteidigungspläne"
tagesschau.de: Wie wollen Sie eine vernünftige Ausrüstung der Brigade garantieren? Glauben Sie, dass das gleichzeitig mit den Anforderungen an eine NATO-Division 2025 überhaupt zu stemmen ist?
Pistorius: Wir rüsten die gesamte Truppe mit dem Sondervermögen von 100 Milliarden Euro besser aus. Im ersten Halbjahr dieses Jahres haben wir dem Parlament bereits mehr Großvorhaben zur Billigung vorgelegt als dies im gesamten vergangenen Jahr geschehen ist. Bis Ende des Jahres werden wir zwei Drittel des Sondervermögens vertraglich gebunden haben. Von den Anschaffungen, die wir damit auf den Weg bringen, profitiert die Brigade Litauen genauso wie alle anderen Einheiten der verschiedenen Teilstreitkräfte.
Die Brigade Litauen ist fester Bestandteil der NATO-Verteidigungspläne. Das heißt konkret: Sie wird ein fester Bestandteil der Division 2025 sein, sie kommt also nicht on top dazu. Der Unterschied zu den beiden anderen Brigaden der Division 2025 besteht darin, dass sie fest in Litauen stationiert sein wird. Die beiden anderen Brigaden der Division 2025 bleiben in Deutschland, können aber im Falle eines Angriffs auf NATO-Gebiet innerhalb bestimmter Fristen an die Ostflanke verlegt werden.
tagesschau.de: Kann das beides problemlos aus dem Einzelplan 14, also aus dem regulären Verteidigungshaushalt finanziert werden?
Pistorius: Wir haben uns gegenüber der NATO verpflichtet, unseren Teil zum Schutz der Ostflanke beizutragen. Übrigens auch aus einer historischen Verantwortung heraus. Schließlich haben andere NATO-Partner viele Jahrzehnte lang die Ostflanke geschützt, als sie mitten durch Deutschland verlief. Daher: Ja. Die Kosten für die Division 2025 werden aus dem Einzelplan 14 finanziert, also auch die Ausgaben für die Brigade Litauen.
Das Gespräch führte Stephan Stuchlik, ARD-Hauptstadtstudio.