Gipfel in Washington Deutschland als Stabilitätsanker in der NATO?
Die NATO erlebt bewegte Zeiten - nicht nur wegen des Kriegs in der Ukraine. Die Bundesregierung will sich beim NATO-Gipfel als verlässlicher Partner präsentieren. Doch manche haben Zweifel an Deutschlands Rolle.
"Happy Birthday, NATO", ruft Peter Beyer kürzlich bei der Debatte zum anstehenden Gipfel in Washington in den Plenarsaal des Bundestags. Nach den Worten des CDU-Abgeordneten erinnert das Parlament an "75 Jahre des erfolgreichsten Verteidigungsbündnisses, das diese Welt je gesehen hat". Das könnte eigentlich ein Grund zum Feiern sein, aber angesichts der Weltlage will sich an diesem Tag im Reichstagsgebäude keine gelöste Stimmung einstellen.
Zu ernst ist die Lage in der Ukraine, die nach mehr als zwei Jahren des Verteidigungskriegs auszuzehren droht. Und zu groß ist die Bedrohung auch für die NATO - nach Einschätzung vieler in Berlin.
Für Außenministerin Annalena Baerbock etwa ist klar, dass der russische Machthaber nicht nur auf die Ukraine zielt: "Seine Bomben meinen auch uns." Die Grünen-Politikerin wird zusammen mit dem Kanzler und dem Verteidigungsminister am NATO-Gipfel teilnehmen. Dort müsse allen klar sein: "Putins Russland wird auf absehbare Zeit die größte Bedrohung für unsere Sicherheit und Freiheit in Europa bleiben."
Bundestag billigt milliardenschwere Rüstungsprojekte
Eine Argumentation, mit der die Ampelregierung die Politik der "Zeitenwende" begründet. Ein wesentlicher Bestandteil ist das 100-Milliarden-Programm für die Bundeswehr. Gerade erst hat der Haushaltsausschuss milliardenschweren Rüstungsprojekten zugestimmt, die zum Teil mit Geld aus dem Schuldentopf finanziert werden: neue Leopard-2-Kampfpanzer, moderne Luftverteidigungssysteme vom Typ Patriot und Artilleriemunition. Insgesamt gibt Deutschland in diesem Jahr voraussichtlich zwei Prozent seiner Wirtschaftsleistung für Verteidigung aus. So, wie es mit den NATO-Partnern vereinbart ist.
Und dabei soll es auch in den kommenden Jahren bleiben, wie Kanzler Olaf Scholz immer wieder verspricht. Allerdings steigt der Verteidigungsetat nächstes Jahr wohl nicht so stark, wie sich das Ressortchef Boris Pistorius gewünscht hat. Dem Vernehmen nach ging der SPD-Minister mit einer Forderung nach einem Plus von rund sechs Milliarden Euro in die Verhandlungen. Herausgekommen ist aber ein deutlich geringerer Zuwachs, wie sich am vergangenen Freitag zeigte, als die Spitzen der Ampel-Regierung ihre Grundsatzeinigung zum Haushalt für 2025 vorstellten.
Ringen um den Verteidigungsetat
Vorerst stehen noch etliche Milliarden aus dem Modernisierungsprogramm für die Bundeswehr zur Verfügung. Doch spätestens im Jahr 2028 dürften die Mittel abgeflossen sein. Deshalb schlägt die Ampelkoalition vor, den regulären Verteidigungshaushalt dann auf 80 Milliarden Euro anwachsen zu lassen. So soll das Zwei-Prozent-Ziel auch nach dem Auslaufen des schuldenfinanzierten "Sondervermögens" erreicht werden.
Kritiker wie der CDU-Abgeordnete Ingo Gädechens sprechen von einer "Wünsch-dir-was-Politik". Generell sieht die größte Oppositionsfraktion ein Manko darin, dass Scholz ohne Kabinettsbeschluss zum Haushalt nach Washington fliegt - wegen der offenen Fragen, die damit verbunden sind.
Unionsfraktionsvize Johann Wadephul spricht auch bei einer anderen NATO-Verpflichtung, die Deutschland eingegangen ist, von Fragezeichen. Die Bundeswehr will nach und nach eine Brigade in Litauen stationieren, zum Schutz der NATO-Ostgrenze. Mit fast 5.000 Soldatinnen und Soldaten. Doch die Planungen seien "unzureichend", sagt Wadephul im ARD-Interview.
Litauen-Brigade: Begleitendes Gesetz lässt auf sich warten
Für die Stationierung der Brigade im Baltikum sind neue Kasernen nötig, dazu Wohnungen und Kita-Plätze für die Familien der Soldatinnen und Soldaten. Außerdem ist von besonderen Zulagen für den Einsatz die Rede, aber vieles ist noch in der Schwebe. Klarheit soll ein begleitendes Gesetz bringen, das die Bundesregierung eigentlich bis zum Sommer in Grundzügen ausarbeiten wollte. Doch die Sache lässt auf sich warten, offenbar gibt es noch Abstimmungsbedarf unter den beteiligten Ministerien.
Aus Sicht von Marcus Faber, dem neuen Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses, ist noch genügend Zeit zur Klärung der offenen Fragen. Der FDP-Abgeordnete war vor Kurzem in Litauen, um sich über die Stationierungsvorbereitungen zu informieren und mit dem Vorkommando der Brigade zu sprechen.
"Dort sind derzeit 20 Angehörige der Bundeswehr vor Ort - und eben nicht 5.000." Dementsprechend seien die konkreten Planungen eher "etwas für die Zukunft", auch wenn man diese Aspekte durchaus schon jetzt berücksichtigen sollte, so Faber.
Grundsätzliche NATO-Kritik von Teilen der Opposition
Manchen geht das alles ohnehin zu weit: die Waffenlieferungen an Kiew und die Hilfe für NATO-Länder im Osten. Teile der Opposition sehen darin eine Gefahr. So warnt etwa der AfD-Politiker Alexander Gauland in der Bundestagsdebatte zum NATO-Gipfel davor, das Bündnis als "ideologische Speerspitze im Kampf gegen Russland" zu betrachten. Und die BSW-Politikerin Sevim Dağdelen wirft der NATO in der Debatte eine "Strategie der Eskalation" vor.
Christian Mölling von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik kommt zu einer anderen Einschätzung: Dem Sicherheitsexperten zufolge geht die Gefahr klar vom Putin-Regime aus. "Wir haben nicht mehr unendlich lange Zeit", sagt er der ARD. Wenn man die Warnungen ernst nehme, "dass wir vielleicht noch fünf Jahre haben, um uns auf einen nächsten russischen Krieg vorzubereiten, dann hat das Ganze im wahrsten Sinne des Wortes eine Deadline, bis wann wir fertig sein müssen."
Dass Deutschland in diesem Jahr voraussichtlich das Zwei-Prozent-Ziel erreicht, kann für Mölling nur ein Anfang sein. Angesichts der geopolitischen Herausforderungen sieht er darin eher eine Untergrenze. Die Frage, welche militärischen Fähigkeiten die Bündnismitglieder künftig haben sollten und welche finanziellen Mittel dafür nötig sind, wird beim Gipfel in Washington eine zentrale Rolle spielen.