Tomahawk-Raketen (Archivbild: 2016)

US-Raketenstationierung in Deutschland Eine Abschreckung, die aufschreckt

Stand: 11.07.2024 17:20 Uhr

Die geplante Stationierung von US-Marschflugkörpern in Deutschland sorgt für Irritationen. Die Grünen haben Fragen an den Kanzler. Scharfe Kritik kommt von der Linken und dem BSW. Der Verteidigungsminister sieht eine "Fähigkeitslücke".

Die USA wollen die militärische Abschreckung in Europa verstärken. Deutschland soll dabei eine wichtige Rolle einnehmen. Erstmals seit dem Kalten Krieg sollen wieder US-Waffensysteme hierzulande stationiert werden, die bis nach Russland reichen.

Von 2026 an sollen Marschflugkörper vom Typ "Tomahawk" mit deutlich mehr als 2.000 Kilometern Reichweite, Flugabwehrraketen vom Typ SM-6 und neu entwickelte Überschallwaffen für einen besseren Schutz der NATO-Verbündeten in Europa sorgen. 

Grüne fordern Erklärung von Scholz

Diese Nachricht vom NATO-Gipfel in Washington sorgt in Berlin für Irritationen und auch Kritik. Zumindest Klärungsbedarf haben die mitregierenden Grünen. Deren sicherheitspolitische Sprecherin, Sara Nanni, forderte Bundeskanzler Olaf Scholz zu einer Erklärung über die Hintergründe und die finanziellen Aspekte der geplanten Stationierung auf: Dass sich Scholz dazu zunächst nicht geäußert habe, "obwohl es eine klare Einordnung dringend bräuchte, irritiert", sagte sie der Rheinischen Post.

Die fehlende Klarheit "kann sogar Ängste verstärken und lässt Raum für Desinformation und Verhetzung", kritisierte Nanni. "Der Kanzler sollte sich rasch dazu erklären." Scholz habe bisher nur "spärlich die tatsächliche Bedrohungslage der NATO thematisiert".

Auch die finanziellen Konsequenzen müssten geklärt werden, sagte die Grünen-Politikerin mit Blick auf die Haushaltseinigung der Koalitionsspitzen, bei der die Höhe des Wehretats deutlich hinter den Erwartungen zurückgeblieben war. Die Stationierungsvereinbarung von Deutschland und den USA steht nach Ansicht Nannis "im Kontrast zur aktuellen Haushaltseinigung und zur vergleichsweise zurückhaltenden Kommunikation über den Ernst der Lage durch Olaf Scholz selbst". Die Stationierung selbst kritisierte sie nicht.

Linke warnt vor Rüstungswettlauf

Scharfe Kritik kam von Teilen der Opposition. Die Linke warnte angesichts der geplanten Stationierung von US-Marschflugkörpern in Deutschland vor einem neuen Rüstungswettlauf. "Ich finde diese Entscheidung höchst problematisch, weil die Aufrüstungsspirale unter der Überschrift Abschreckung weitergedreht wird", sagte der verteidigungspolitische Sprecher der Linken im Bundestag, Dietmar Bartsch, der Rheinischen Post.

Ähnlich äußerte sich BSW-Chefin Sahra Wagenknecht. "Die Stationierung zusätzlicher Angriffsraketen auf deutschem Boden verbessert unsere Sicherheit nicht, sondern erhöht im Gegenteil die Gefahr, dass Deutschland selbst zum Kriegsschauplatz wird, mit furchtbaren Folgen für alle hier lebenden Menschen", sagte sie dem Magazin Spiegel. Dieser Wahnsinn müsse endlich gestoppt werden.

SPD und Union begrüßen Pläne

Klare Zustimmung zu der deutsch-amerikanischen Vereinbarung kommt aus der Kanzlerpartei SPD und der oppositionellen Union: "Dies ist ein notwendiger Schritt zur Abschreckung Russlands", sagte SPD-Politiker Nils Schmid. Angesichts der Modernisierung des russischen Atomwaffenarsenals und der aggressiven Politik Russlands sei dieser Schritt richtig und begrüßenswert.

Die Stationierung von "Tomahawk"-Marschflugkörpern diene der Sicherheit Deutschlands, sagte auch der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Jürgen Hardt, der Nachrichtenagentur Reuters. "Nachdem Russland mit seinem Einmarsch in die Ukraine die europäische Friedensordnung zerstört hat, ist die Gefahr bei uns real."

Pistorius sieht "Auftrag" für Deutschland

Von einem "Auftrag" für Deutschland sprach Verteidigungsminister Boris Pistorius. Da die Marschflugkörper "nur auf Rotationsbasis nach Deutschland kommen" sei damit "ganz klar die Erwartung der USA verbunden, dass wir selber investieren in die Entwicklung und Beschaffung von derartigen Abstandswaffen", sagte der SPD-Politiker im Deutschlandfunk. "Das ist der Auftrag, der sich daraus auch ableitet, und diese temporäre Stationierung ab nächstes Jahr wird uns genau die Zeit dafür geben, die wir dafür brauchen", erklärte Pistorius weiter.

Seiner Meinung nach handelt sich um eine "durchaus ernstzunehmende Fähigkeitslücke in Europa." Es sei auch "ein Bestandteil unserer Nationalen Sicherheitsstrategie, dass wir diesen Bedarf dort ausgemacht haben". 

Wo in Deutschland sollen die Waffen stationiert werden?

Wo genau die weitreichenden US-Waffen in Deutschland stationiert werden sollen, blieb bislang offen. Sie sollen zunächst zeitweise in Deutschland stationiert werden, später permanent, hieß es in einer gemeinsamen Erklärung. Die Waffensysteme hätten eine "deutlich weitere Reichweite als gegenwärtige landgestützte Systeme in Europa".

Marschflugkörper (Cruise Missiles) wie zum Beispiel auch das deutsche Waffensystem "Taurus" sind in der Lage, im Tiefflug weit in gegnerisches Gebiet einzudringen und wichtige Ziele zu zerstören. Dazu können Kommandostellen, Bunker und Radaranlagen gehören. Dabei wird der "Tomahawk" von Schiffen oder U-Booten eingesetzt, während der "Taurus" von Flugzeugen aus gestartet wird.

Die USA hatten Waffen mit solch großer Reichweite zuletzt in den 1990er-Jahren in Deutschland stationiert.

Uli Hauck, ARD Berlin, tagesschau, 11.07.2024 14:38 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Inforadio am 11. Juli 2024 um 06:22 Uhr.