Parteitag der Linken Aufbruch oder Abbruch?
Für die Linke ist es der erste Parteitag nach dem Austritt der Parteiprominenten Sahra Wagenknecht. Und der erste, nachdem sie die Selbstauflösung der Linksfraktion beschlossen hat.
Der Linkspartei-Vorsitzende Martin Schirdewan hat im Interview mit dem ARD-Hauptstadtstudio die Notwendigkeit eines "Signals der Geschlossenheit" von diesem Parteitag betont: "Es ist jetzt entscheidend, dass die Partei ihre Herausforderungen vereint angeht."
Diese Herausforderungen sind riesig. In drei Bundesländern, die für die Linkspartei besonders wichtig sind, wird im nächsten Jahr gewählt: in Sachsen, Brandenburg und Thüringen. In letzterem stellt die Linkspartei mit Bodo Ramelow den Ministerpräsidenten. Dass das auch so bleibt, scheint nach aktuellen Umfragen allerdings eher unwahrscheinlich. In Sachsen und Brandenburg ist die Linkspartei von einstigen Ergebnissen meilenweit entfernt. Außerdem steht die Wahl zum Europaparlament an.
Hauptaufgabe: Glaubwürdigkeit zurückgewinnen
Schirdewan macht den langjährigen Dauerstreit, insbesondere mit Sahra Wagenknecht, für die seit längerem anhaltende Schwäche verantwortlich. Diese Konflikte seien "supernervig" gewesen und hätten dazu geführt, dass die Partei an Profil und Erkennbarkeit verloren habe. Jetzt gelte es, Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen und den Markenkern zu schärfen, der für Schirdewan in "sozialer Gerechtigkeit, Solidarität und Frieden" besteht.
Genau das war bisher das Problem, sagt die Politikwissenschaftlerin Sarah Wagner von der Universität Belfast. Sie befasst sich intensiv mit linken Parteien in Europa. Ihre Analyse: "'Die Linke' ist an ihrem schwächsten Punkt angelangt, weil sie keine Perspektive bieten kann. Sie kann keinen wirtschaftlich-linken Aspekt verkaufen, kann aber auch nicht mit Glaubwürdigkeit sagen, dass sie die progressiven Bürger vertreten kann." Progressive Bürger sind die, die Sahra Wagenknecht meint, wenn sie von den "Lifestyle-Linken" spricht - im Gegensatz zu den Linkskonservativen, die Wagenknecht selbst abholen will.
Gesicht der Erneuerung: Carola Rackete
Um den Markenkern zu schärfen, stellt sich die Linkspartei auch personell neu auf. Ein neues Gesicht ist bereits bekannt: Carola Rackete, Kapitänin und Aktivistin. Sie setzt sich seit Jahren lautstark für Seenotrettung ein, legte sich auch mit der italienischen Regierung an. Beim Parteitag in Augsburg kandidiert sie für die Liste zur Europawahl im kommenden Jahr.
Die Personalie Rackete ist Teil der Strategie, die Partei stärker an gesellschaftliche Gruppen und die Aktivistenszene anzubinden. Und sie verkörpert das, wofür die Linkspartei in Zukunft stehen will. Und so betont auch Rackete im Interview mit dem ARD-Hauptstadtstudio: "Ich denke, dass es fundamental wichtig ist, dass wir eine starke linke Partei in Deutschland haben, die sich zum Beispiel für die Menschenrechte einsetzt. Aber auch für einen Klimaschutz, bei dem die Verantwortlichen bezahlen müssen, das heißt: die Konzerne."
Klare Ansage ans Wagenknecht-Lager
Aus dem Wagenknecht-Lager hieß es, Rackete sei für die Linkspartei ein "Wählerschreck", treibe die Kernklientel, Arbeiterinnen und Arbeiter, weiter von der Partei weg. Das sieht Rackete nicht so: "Ich persönlich denke, dass es in Deutschland nicht nur deutsche, weiße Industriearbeiter gibt, wie man sich das so klassisch in der Industrie vorstellt. Sondern die Realität ist ja, dass viele Menschen, die schlecht bezahlte Jobs haben, einen migrantischen Hintergrund haben, im Servicebereich arbeiten, von gar keiner Gewerkschaft vertreten sind - und dass eine moderne linke Partei alle diese Menschen vertreten muss."
Das Bündnis um Wagenknecht ist wegen deren Haltung in der Migrationsfrage für Rackete eindeutig "kein linkes Projekt". Es wird also klar: Bei diesem Parteitag geht es um eine klare Abgrenzung zu Wagenknecht - eben um die Stärkung des Markenkerns, wie ihn Parteichef Schirdewan fordert.
Hat die neue Linke Chancen?
Politikwissenschaftlerin Wagner sieht durchaus Chancen, dass auch zwei konkurrierende linke Parteien nebeneinander bestehen können. Ein Beispiel dafür sei Griechenland: "In Griechenland gibt es zwei linksradikale Parteien: Syriza ist sehr progressiv und KKE ist eine sehr konservative linke Partei. Beide existieren gleichzeitig. Sie sind beide nicht gerade unerfolgreich, sprechen aber sehr unterschiedliche Wählergruppen an", so Wagner.
Es könnte der Linkspartei beim ersehnten Aufbruch helfen, sich klar von Wagenknecht und ihren Anhängern zu distanzieren, meint sie. Auf dem Parteitag in Augsburg können die Weichen dafür gestellt werden.