Wagenknechts Wirtschaftspolitik Für jeden was dabei
Eine "Wirtschaftspolitik mit Vernunft" - dafür will sich die bisherige Linken-Politikerin Wagenknecht mit ihrem neuen Bündnis einsetzen. Ökonomen halten die bisher bekannten Vorschläge aber nicht für stimmig.
Auf den ersten Blick wirkt es überraschend: Das erste von vier Themen, das Sahra Wagenknecht in ihrem fünfseitigen Manifest präsentiert, behandelt die Wirtschaftspolitik.
Noch bevor die eher erwartbare Kritik an den Russland-Sanktionen auftaucht, geht es um Probleme der Infrastruktur in Deutschland: "Marode Straßen und Brücken, Funklöcher und langsames Internet, überforderte Verwaltungen und unnütze Vorschriften machen gerade kleinen und mittelgroßen Unternehmen das Leben schwer." Eine Beschreibung, die wahrscheinlich viele unterschreiben würden - über Parteigrenzen hinweg.
Bedeutung der Industrie - klingt ganz nach Habeck
Das ist auch der erste Eindruck, den der Düsseldorfer Ökonom Jens Südekum von dem Papier hat: "Wenn man das so liest, werden viele an vielen Stellen nicken." So auch, wenn Wagenknecht die Bedeutung von Innovationen hervorhebt: "Wir brauchen wieder mehr Zukunftstechnologien made in Germany." Und wenn sie die besondere Bedeutung der industriellen Wertschöpfung für den Standort Deutschland betont, dann klingt das ganz ähnlich wie bei der Vorstellung der Industriestrategie durch Wirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen.
Wagenknecht knüpft sogar ein bisschen an Ludwig Erhard an, den Vater der Sozialen Marktwirtschaft: So plädiert sie für fairen Wettbewerb und warnt vor der Marktmacht großer Konzerne. Mancher liberale FDP-Wähler könnte da mitgehen, wird sich womöglich aber fragen, ob das die gleiche Wagenknecht ist, die noch vor wenigen Jahren vehement den Kapitalismus bekämpft hat. Eins der Bücher der überzeugten Kommunistin hieß "Freiheit statt Kapitalismus" - mit der These, der Kapitalismus zerstöre die Fundamente der Demokratie. Eine These, der Ludwig Erhard sicher nicht zugestimmt hätte.
Wie passt das alles zusammen?
Marcel Fratzscher, der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), beklagt denn vor allem die fehlende Kohärenz bei Wagenknechts Plänen: "Sie will auf der einen Seite eine ordo-liberale Wirtschaftspolitik, wo der Markt dominiert und Kreativität und Innovation schafft. Auf der anderen Seite will sie eine starke Sozialpolitik." Wagenknecht sage aber nicht, wie das zusammenpasst, so Fratzscher. Stimmig sei das jedenfalls nicht.
So argumentiert Wagenknecht im Kapitel "Soziale Gerechtigkeit" klassisch links mit Themen, die - wenig erstaunlich - zu ihrem bisherigen Umfeld aus der Linken passen, aber auch bei vielen Sozialdemokraten und Grünen Zustimmung finden dürften. So fordert sie einen höheren Mindestlohn und einen "zuverlässigen Sozialstaat". Geringverdiener sollten entlastet werden und Reiche ihren "angemessenen Anteil an der Finanzierung des Gemeinwesens" beitragen.
Nicht zu leicht angreifbar machen
Konkreter wird sie nicht, was sich auch bei der Pressekonferenz zur Vorstellung der neuen Formation zeigt: Ja, hohe Vermögen sollten zusätzlich belastet werden, zum Beispiel bei der Erbschaftsteuer. Aber nein - das betreffe natürlich nicht das private Eigenheim, selbst wenn das in München oder Stuttgart stehe und mehr als eine Million Euro wert sei. Nur nicht zu leicht angreifbar machen - das scheint die Devise von Wagenknecht in wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen zu sein. Schließlich will sie "alle ansprechen, die sich eine andere Politik wünschen".
Auch ihr Mitstreiter, der ehemalige Unternehmer und heutige Investor Ralph Suikat, der die Initiative "Tax me now" mitgegründet hat, in der sich Millionäre für eine höhere Besteuerung einsetzen, bleibt vage: Es gehe nicht darum, den Mittelstand zusätzlich zu belasten; vielmehr wolle man "über entsprechende Freibeträge dafür sorgen, dass wir dort auch zu fairen Wettbewerbsbedingungen kommen". Suikat soll sich als Schatzmeister um die Finanzierung der neuen Partei kümmern.
Vieles bleibt an der Oberfläche
Überschriften allein reichten aber nicht, sagt der Ökonom Südekum: "Wenn man Ziele formuliert, muss man auch sagen, wie man diese Ziele erreichen möchte." Und Politiker müssten ehrlich sein, auch Zielkonflikte zu benennen: "Es ist eben nicht so einfach, einerseits eine hochproduktive mittelständische Wirtschaft zu wollen und gleichzeitig ein Maximum an sozialer Absicherung." Hier bleibe Wagenknecht, wahrscheinlich aus taktischen Gründen, an der Oberfläche und verzichte auf ein "operationalisierbares Programm", so Südekum.
Tatsächlich wirkt Wagenknecht dort am stärksten, wo sie sagt, wogegen sie ist: gegen Wirtschaftssanktionen gegen Russland, die ihrer Meinung nach den Import von billigem Pipelinegas verhindern, gegen "übergriffige Digitalmonopolisten", gegen einen "blinden Aktivismus" in Klima-Fragen. Ein stimmiges Konzept für das, was sie stattdessen anders machen will, stellt ihr bisher bekanntes Programm aber nicht dar.