Sahra Wagenknecht
analyse

Neue Partei Wie sich Wagenknecht präsentiert

Stand: 23.10.2023 17:01 Uhr

Mediale Aufmerksamkeit und größtmöglicher Schaden für die alte Partei: Wagenknecht tritt aus der Linken aus, will aber in der Fraktion bleiben - bis Anfang 2024 ihre neue Partei gegründet ist. Dabei geht es auch ums Geld.

Eine Analyse von Uli Hauck, ARD-Hauptstadtstudio

So einen Medienauflauf sieht die Bundespressekonferenz normalerweise nur, wenn Bundeskanzler Olaf Scholz zu seiner jährlichen Sommerpressekonferenz einlädt. Sahra Wagenknecht zieht eben. Sie ist die einfache Bundestagsabgeordnete mit der größten medialen Reichweite, sitzt im Wochenrhythmus in Talkshows, gibt Interviews in Dauerschleife und kann ihre Positionen präsentieren.

Gleichzeitig appelliert Medienprofi Wagenknecht an die versammelte Hauptstadtpresse von links bis rechts ungefragt, sie solle die "Versuchung zur Falschdarstellung und zur Kampagne" unterdrücken. Sie fordert für sich faire Berichterstattung und unterstellt gleichzeitig der versammelten Presse, sie sei zumindest versucht, Dinge falsch darzustellen.

Wagenknecht warnt vor einer "dominanten Meinungsblase", die einer Demokratie unwürdig sei, vor Diskursverengung und Ausgrenzung. Kritischer Berichterstattung über sie und ihre neue Partei "Bündnis Sahra Wagenknecht" beugt sie mit solchen Aussagen vor.

"Bündnis Sahra Wagenknecht" soll im Januar zu einer Partei werden

Iris Sayram, ARD Berlin, tagesthemen, 23.10.2023 22:15 Uhr

Es geht ums Geld

Die im Fernsehen live übertragene Pressekonferenz nutzen Wagenknecht und ihre Mitstreiter gleich mehrfach, um zu Spenden für ihre künftige Partei aufzurufen. Auf Nachfrage sagt Wagenknecht, es sei selbstverständlich, sich mit eigenen finanziellen Mitteln zu engagieren. Konkreter wird sie allerdings nicht - auch was beispielsweise Geld aus ihrer Abgeordnetentätigkeit für die Linke angeht.

Denn seit Monaten zeichnet sich zwar ab, dass Wagenknecht ihre Parteigründung vorantreibt. Dennoch wollen sie und ihre Mitstreiter bis zur Parteineugründung in der Linksfraktion und im Bundestag bleiben. Wagenknecht und ihre Mitstreiter haben ihr Mandat der Linkspartei zu verdanken und betreiben gleichzeitig deren Spaltung. Dafür bekommen sie monatlich Abgeordnetendiäten in Höhe von rund 10.600 Euro und eine steuerfreie Aufwandsentschädigung von nochmal rund 4.700 Euro. Wagenknecht rechtfertigt dieses Vorgehen damit, dass viele nur wegen ihr die Linke gewählt hätten.

Gregor Gysi nennt dieses Verhalten einen "unmoralischen Diebstahl". Denn ohne die drei direkt gewählten Abgeordneten der Linken Gregor Gysi, Sören Pellmann und Gesine Lötzsch würden Wagenknecht und ihre Mitstreiter gar nicht im Bundestag sitzen.

Wenn Wagenknecht und ihre Mitstreiter das Parlament verlassen würden, könnten Linke-Abgeordnete von hinteren Listenplätzen nachrücken. Doch das ist nicht gewollt. Es scheint weiterhin um maximale mediale Aufmerksamkeit im Bundestag und den größtmöglichen Schaden für die alte Partei zu gehen. Ein erstaunliches Verhalten auch von Amira Mohamed Ali, die bis zuletzt noch Fraktionsvorsitzende der Linken ist. Denn es geht auch um die Jobs von rund einhundert Fraktionsmitarbeitern der Linken.

"Frau Wagenknecht könnte im Parteienspektrum eine Position besetzen, die es so noch nicht gibt", so Tina Hassel, ARD Berlin

tagesschau, 23.10.2023 20:00 Uhr

Faire Leistungsgesellschaft und starker Mittelstand

Inhaltlich präsentieren Wagenknecht und ihre Mitstreiter ein fünfseitiges Papier. Die Zwischenüberschriften könnten dabei wohl von den meisten Bundestagsparteien eins zu eins übernommen werden. Sie lauten: "Wirtschaftliche Vernunft", "Soziale Gerechtigkeit", "Frieden" und "Freiheit".

Wagenknecht spricht von der "schlechtesten Regierung in der Geschichte" und von einem "blinden, planlosen Ökoaktivismus". Gefolgt von der Behauptung im Text, es mache sich ein "autoritärer Politikstil breit, der den Bürgern vorschreiben will, wie sie zu leben, zu heizen, zu denken und zu sprechen haben". Eine Kritik, die sich wohl vor allem gegen die Grünen richten.

Höchstens am Rand scheint es Wagenknecht um die Ärmsten zu gehen. Ihr geht es um die vermeintlich "Fleißigen", die Unzufriedenen, die jeden Morgen aufstehen, um den "erfolgreichen, innovativen Mittelstand".

Überbordende Bürokratie, marode Infrastruktur, föderales Schulchaos - Wagenknecht zählt richtigerweise vieles auf, was in Deutschland schlecht läuft. Sie formuliert PR-Sätze, wie "Die deutsche Industrie ist das Rückgrat unseres Wohlstands" und "Wir brauchen mehr Zukunftstechnologien made in Germany, mehr hidden champions".

Europawahl und Landtagswahlen 2024

Russland und China werden von Wagenknecht zwar nicht explizit genannt. Aber damit die Wirtschaft brummt, dürfe es keine "neue Blockbildung" und "ausufernden Sanktionen" geben, heißt es im Gründungspapier - und die Versorgung mit Rohstoffen und preiswerter Energie müsse sichergestellt werden. Und dabei sagt Wagenknecht, sie sei weder "Putin-nah" noch "russland-freundlich". Allerdings beantwortet sie die Frage nicht, wo die billige Energie herkommen soll, ohne dass der Kreml-Herrscher dabei eine Rolle spielt. Wagenknecht spricht Defizite der Regierung an, liefert aber häufig nur holzschnittartige Lösungen.

Anfang 2024 will Wagenknecht mit ihren Getreuen die eigentliche Partei gründen und dann zur Europawahl im Juni antreten. Und wenn die Gründung von Landesverbänden klappt, dann auch gleich noch bei den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg. Doch dafür müssen Kandidaten gefunden und Listen aufgestellt werden.

Dabei müssen ihre Mitstreiter liefern. Denn Wagenknecht mag die Ikone der neuen Partei sein, als Organisationstalent hat sie bislang nicht von sich reden gemacht. Ihre Partei solle dann eine seriöse Adresse für all jene, "die aus Wut oder Verzweiflung rechts wählen". Man darf gespannt sein, ob das gelingt.

Bianca Schwarz, ARD Berlin, tagesschau, 23.10.2023 15:31 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 23. Oktober 2023 um 14:00 Uhr.