Kindergrundsicherung im Kabinett Der lange Weg zur Einigung
Der Weg zur Einigung bei der Kindergrundsicherung war steinig. Heute soll der Gesetzentwurf im Kabinett beschlossen werden. Was steht drin und wer hat sich am Ende eigentlich durchgesetzt?
Sie ist das wichtigste sozialpolitische Vorhaben der Ampel-Regierung und das Prestigeprojekt der Bundesfamilienministerin: die Kindergrundsicherung. Sie soll Kinderarmut bekämpfen, doch wurde in den vergangenen Monaten zum Zankapfel zwischen Familienministerin Lisa Paus (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP).
Nach monatelangem Streit ist die Kindergrundsicherung jetzt im Kabinett. Die letzten strittigen Punkte sind beseitigt: So wird der Kindergeldübertrag abgeschafft und Asylsuchende sind ganz von der Kindergrundsicherung ausgenommen. Das bestätigte Paus im Interview mit dem ARD-Hauptstadtstudio.
Kindergrundsicherung mit zentraler Plattform
Mit der Kindergrundsicherung soll das Existenzminimum von Kindern gedeckt werden. Dafür werden bisherige Hilfen wie Kindergeld, Kinderzuschlag, Bürgergeld für Kinder sowie Teile des Bildungs- und Teilhabepakets zu einer Leistung zusammengefasst. Für alle Kinder wird es einen Garantiebetrag geben, der das heutige Kindergeld ablöst. Zudem erhalten ärmere Familien einen einkommensabhängigen Kinderzusatzbetrag.
Ob ein Anspruch darauf besteht, wird künftig mit dem "Kindergrundsicherungscheck" vom zuständigen Familienservice (ehemalige Familienkasse) aktiv ermittelt. Über ein digitales Portal können Eltern dann den Antrag stellen.
Mehr oder weniger Bürokratie?
Der Zugang zu Hilfen soll einfacher werden, so das Ziel. Denn viele Berechtigte nehmen ihre Ansprüche wegen der komplexen bürokratischen Hürden bislang nicht wahr.
Ob sich daran etwas ändert, bezweifelt beispielsweise der deutsche Landkreistag, der vor mehr Bürokratie warnt. Dem widerspricht Paus, es komme lediglich zu Verlagerungen.
Leistungsverbesserungen für einzelne Gruppen
Ein weiterer strittiger Punkt waren die Leistungsverbesserungen. Geeinigt hat sich die Ampel auf die Neuberechnung des Existenzminimums durch das Statistische Bundesamt. Das führt laut Gesetzentwurf, der dem ARD-Hauptstadtstudio vorliegt, zu einzelnen Erhöhungen.
Beispielsweise erhält ein fünfjähriges Kind, das bisher Bürgergeld bezieht, monatlich mindestens 28 Euro Monat mehr. Ein 14-Jähriger, der bislang Kinderzuschlag bekommt, soll monatlich rund 60 Euro mehr erhalten. Außerdem sollen Alleinerziehende profitieren, indem Unterhaltszahlungen für Kinder künftig nur noch zu 45 Prozent statt wie zuvor voll angerechnet werden.
Dass es jedoch keine generellen Leistungserhöhungen gibt, dafür hat sich Finanzminister Lindner eingesetzt. Für den FDP-Politiker war es wichtig, "keine falschen Anreize" zu schaffen. Deswegen werden laut Gesetzentwurf diejenigen am Ende mehr Geld haben, die arbeiten.
Erste Auszahlungen ab 2025
Die Kindergrundsicherung soll erstmals am 1. Januar 2025 ausgezahlt werden. An diesem Starttermin hält das Familienministerium fest - trotz Vorbehalten der Bundesagentur für Arbeit, die den Termin wegen der IT-Umstellung mit einem Jahr Vorbereitung als "unrealistisch" bezeichnete.
Knackpunkt Finanzierung
Zum Start im Jahr 2025 sind in einem ersten Schritt rund 2,4 Milliarden Euro an Kosten für die Kindergrundsicherung vorgesehen. Monatelang aber kursierten verschiedenste Zahlen von zwei bis sieben Milliarden Euro: Paus musste sich den Vorwurf gefallen lassen, dass sie mit ihren Zahlen eher verwirre.
Der Knackpunkt Finanzierung wurde zur Bewährungsprobe für die Ampelkoalition: Im Streit hatte sich zunächst Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) eingeschaltet und forderte die Familienministerin auf, einen Entwurf mit konkreten Zahlenmodellen vorzulegen.
Paus wertete das als klares Zeichen für die Kindergrundsicherung. Nach der Sommerpause gipfelte der Streit in einer Gesetzesblockade: Die Familienministerin blockierte das vom Finanzminister vorbereitete Wachstumschancengesetz, das die Wirtschaft ankurbeln sollte. Für ihr "Ja" forderte Paus mehr Geld für die Kindergrundsicherung.
Kompromiss: 2,4 Milliarden Euro für den Start
Es folgten nächtliche Treffen mit dem Kanzler und den Ministern. Pressekonferenzen wurden kurzzeitig angekündigt, dann wieder abgesagt. Vor der Kabinettsklausur in Meseberg gab es schließlich eine gemeinsame Pressekonferenz von Lindner, Paus und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD): Geeinte Eckpunkte wurden vorgestellt - mit 2,4 Milliarden Euro für die Kindergrundsicherung als Kompromiss zeigten sich die Minister zufrieden.
Nach einem geräuschvollen Schlussakt stand Paus jedoch wie die Verhandlungsverliererin da. Die Familienministerin betont, bis 2028 werde mit 6,3 Milliarden Euro (80 Prozent Inanspruchnahme) im Jahr geplant - so steht es auch im Kabinettsentwurf. Je mehr Berechtigte ihren Anspruch einlösen, desto höher werden die Kosten in den Folgejahren.
Was sich hinter dem Zahlen-Chaos verbirgt
Hinter all den verschieden veranschlagten Kosten verbarg sich nach Informationen von tagesschau.de auch taktisches Rechnen, um überhaupt zu einer Einigung zu kommen. Lindner brauchte eine möglichst niedrige Zahl für die Schlagzeilen, das war auch dem Kanzler klar - also setzte man für das erste Jahr der Auszahlung nur 47 Prozent Inanspruchnahme an.
Die Zahl war bewusst niedrig angesetzt - so konnte Lindner sein Gesicht Richtung FDP-Klientel wahren. Denn dort erzeugt die Anmutung vom Ausbau des Sozialstaats eher allergische Reaktionen.
Doch wer hat beim Rechnen nun eigentlich Recht - der Finanzminister oder die Familienministerin? Spricht man Lindner auf die Differenz zwischen den 2,4 Milliarden für 2025 und den für 2028 ausgerechneten 6,3 Milliarden an, sieht er darin nun auch keinen Widerspruch mehr.
"Das ist deshalb kein Widerspruch, weil es zwar auf der einen Seite keine Leistungsausweitung gibt, jedoch wird die Inanspruchnahme dieser Leistungen verbessert", so Lindner im ARD-Sommerinterview. "Und allein über die höhere Quote der Inanspruchnahme wird das potenziell teurer."
Paus hingegen spricht von Leistungsverbesserungen für einzelne Gruppen wie Alleinerziehende. Die trägt Lindner nun mit, ohne sie öffentlich hervorzuheben. Am Ende ist die Kindergrundsicherung ein Kompromiss vieler Beteiligter mit unterschiedlichen Interessen - und kann als Grundstein im Kampf gegen Kinderarmut angesehen werden, auf den aufgebaut werden kann.