Robert Habeck mit Patrick Graichen

Popularität im Sinkflug Das Dilemma der Grünen

Stand: 07.05.2023 17:19 Uhr

Die Beliebtheitswerte der Grünen befinden sich im Sinkflug - nicht erst seit der Graichen-Affäre. Laut einer Expertin überfordert die Partei mit ihrem Reformwillen die Wähler. Aus Grünen-Sicht gibt es aber nicht wirklich eine Alternative.

Von Moritz Rödle, ARD-Hauptstadtstudio

Freitagmittag im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. Minister Robert Habeck will Pläne zum Solarausbau vorstellen. Aber auch hier muss er sich für die Fehler seines Staatssekretärs Patrick Graichen rechtfertigen. Die Affäre wirkt sich auch auf die persönlichen Zustimmungswerte von Habeck aus.

Schlechte Umfragewerte für die Grünen vor der Bremen-Wahl

Claudia Buckenmaier, ARD Berlin, tagesschau, 07.05.2023 17:45 Uhr

Seit Februar hat er im ARD-DeutschlandTrend deutlich an Rückhalt verloren. Seine persönlichen Werte stünden überhaupt nicht zur Debatte sagt Habeck auf der Pressekonferenz im Ministerium. Das sei nicht das, worauf er gucke.

Habeck zieht Werte nach unten - aber nicht allein

Doch schadet Habecks Absturz den Grünen? Ja, sagt die Politikwissenschaftlerin Sabine Kropp im Interview mit dem ARD-Hauptstadtstudio. Wenn das personelle Zugpferd einer Partei an Zustimmung verliere, wirke sich das auch auf die Gesamteinschätzung der Wählerinnen und Wähler für die Partei aus.

Die Grünen haben seit vergangenem Sommer rund ein Drittel an Zustimmung verloren. Im August 2022 waren sie im ARD-Deutschlandtrend noch bei 23 Prozent. Inzwischen sind es nur noch 16 Prozent. Doch nicht der komplette Verlust ist mit der Affäre Graichen und Habecks schlechten Werten zu erklären. Der Sinkflug der Ökopartei begann schon im vergangenen Jahr, vor Bekanntwerden der Vorwürfe gegen Graichen.

Veränderungsmüdigkeit macht sich breit

Samstagabend in Leipzig. Die Grünen feiern 30-jähriges Bestehen in Ostdeutschland - ein Termin fürs grüne Herz. Auch gekommen ist die ehemalige Bundestagsabgeordnete Monika Lazar. Auf die Probleme der Grünen angesprochen sagt sie, der grüne Kern sei eben gut sichtbar. Wahrscheinlich für manche zu viel. Es werde ja gerade viel gemacht, sie glaube es sei eher so, "dass die Leute sagen, nicht zu schnell und nicht zu viel."

Muten die Grünen der Bevölkerung zu viel zu? Ilka Heinze ist Wirtschaftspsychologin an der Hochschule Fresenius in Berlin. Sie beschäftigt sich unter anderem mit Veränderungsprozessen und dem sogenannten Change-Management. Die Wirkungsweise könne man von Change-Prozessen in Unternehmen auf Veränderungsprozesse in Gesellschaften übertragen.

Die Menschen in Deutschland seien gerade veränderungsmüde. "Weil sie in den letzten Jahren durch zu viele Veränderungen einfach ausgelaugt wurden und einfach erschöpft sind und keine weiteren Veränderungen mehr ertragen können".

Ukraine-Krieg, Corona, Klimawandel - eine Jahrhundertkrise folgte der nächsten. Das macht es den Grünen offenbar schwer, breite gesellschaftliche Mehrheiten für ihre Projekte zu bekommen. Das Gegenteil ist der Fall. Eine Erkenntnis aus dem aktuellen ARD-Deutschlandtrend ist besonders brisant für die Grünen: die Frage nach dem möglichen Wählerpotenzial. Wählerinnen und Wähler werden dafür gefragt, welche Parteien sie sich grundsätzlich vorstellen könnten zu wählen.

Von Beliebtheit der Volksparteien wieder weit entfernt

Die Volksparteien CDU/CSU und SPD kommen dabei auf Werte von jeweils mehr als 50 Prozent - Regionen, in die die Grünen auch schon vorgestoßen sind. Doch im aktuellen ARD-DeutschlandTrend sind sie abgestürzt. Mit einem Minus von 13 Prozentpunkten kommen sie gerade noch auf ein Wählerpotenzial von 37 Prozent - auf einem Niveau mit der FDP. Das ist keine Region, in der sich Volksparteien bewegen.

Das Ziel Kanzleramt rückt so vermutlich erstmal wieder in weite Ferne. Politikwissenschaftlerin Kropp sagt: Die Grünen müssten versuchen auch die Bedürfnisse der breiten Mittelschicht mit abzudecken, "also in ihrer Kommunikation zum Beispiel zugespitzte Positionen ein Stück weit zurücknehmen." Die Partei ist in einem Dilemma gefangen. Die Grünen haben den Anspruch, die Klimakrise zu bekämpfen, und das erlaubt wohl keine Verschnaufpause. Viele Wählerinnen und Wähler sehnen sich aber offenbar eher nach einer Zeit zum Durchschnaufen.   

Anmerkung der Redaktion: Der Teaser des Textes wurde nachträglich angepasst, um den Kern der Aussage klarer herauszustellen.

 

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 07. Mai 2023 um 17:00 Uhr.