Geflüchteten-Aufnahme in Kommunen "Wir spüren, dass die Stimmung gekippt ist"
Zu viele Geflüchtete, um sie angemessen zu betreuen: Die nordrhein-westfälische Gemeinde Odenthal schlägt Alarm. Der Bürgermeister fordert, Menschen ohne Bleibeperspektive konsequent abzuschieben.
Ein Verschlag aus Brettern, dahinter ein abgetrennter Raum, sechs Quadratmeter groß, ohne Fenster. Hier lebt eine vierköpfige Familie aus der Ukraine - Mutter, Vater und zwei Kinder. Dass sie Menschen so unterbringen muss, schmerzt Claudia Kruse, seit acht Jahren Integrationsbeauftragte der kleinen Gemeinde Odenthal im Bergischen Land, unweit von Köln. Aber sie sieht keinen anderen Ausweg.
Im Wochentakt würden ihr von der Bezirksregierung neue Menschen zugewiesen. Dann muss Claudia Kruse gemeinsam mit ihren Kollegen, wie sie es sarkastisch nennt, "Betten-Tetris" spielen. "Manchmal müssen vier bis sechs Leute umziehen, wenn eine Mutter mit einem Kleinkind kommt. Es ist ein logistisches Meisterwerk, das die Kommunen vollbringen müssen", sagt Kruse.
"Logistisches Meisterwerk" - Integrationsbeauftrage Kruse kritisiert die Zustände.
"Die Menschen irgendwie unterbringen"
565 Geflüchtete leben derzeit in der 15.000-Einwohner-Gemeinde Odenthal. Es sind etwa 50 mehr als im Herbst 2023 und etwa drei Mal so viele wie 2015. Sie haben Anspruch auf Integrationsleistungen, Sprachkurse, Kita- und Schulplätze, jedenfalls in der Theorie. In der Praxis sei man nur noch damit beschäftigt, die Menschen "irgendwie unterzubringen", sagt Kruse - auch in dafür eigentlich nicht geeigneten Gebäuden.
Kruse macht das wütend. "Weil das nichts mehr mit Würde zu tun hat, wenn eine Familie mit zwei Kindern im Dunkeln leben muss, ohne Fenster. Und wo ist meine Würde, wenn ich jedes Mal über meine persönlichen Werte hinweggehen muss, um Leute unterzubringen?"
Bürgermeister Lennerts berichtet von massiver Gegenwehr gegen neue Unterkünfte.
Ein Viertel mit abgelehntem Asylantrag
Aus Sicht von Odenthals parteilosem Bürgermeister Robert Lennerts ist die deutsche Flüchtlingspolitik gescheitert. 2015 hat er das Amt übernommen, hat den ersten großen Zuzug von Geflüchteten organisiert, Strukturen aufgebaut, Menschen dezentral untergebracht, um sie schneller zu integrieren. Das sei heute nicht mehr möglich. Auch deshalb will Lennerts im kommenden Jahr nicht noch einmal für das Amt des Bürgermeisters kandidieren.
Ihn ärgert vor allem, dass der Kommune viele Menschen zugewiesen werden, deren Asylantrag abgelehnt wurde und die somit keine Bleibeperspektive in Deutschland haben. Das betreffe in Odenthal ein Viertel der aufgenommenen Menschen. Gleichzeitig könne er die Zahl der Abschiebungen während seiner Amtszeit an einer Hand abzählen. Das komme auch bei der Bevölkerung an und sorge zunehmend für Unmut. "Wir spüren, dass die Stimmung gekippt ist. Und das macht es für uns schwer, neue Liegenschaften einzurichten, um Menschen unterzubringen. Wenn wir Immobilien kaufen wollen, bekommen wir massive Gegenwehr, auch über die Sozialen Medien", sagt Lennerts.
Asylgesetz regelt Zuweisungen an Kommunen
Warum werden der Kommune Odenthal Menschen zugewiesen, deren Asylantrag abgelehnt wurde? Das nordrhein-westfälische Integrationsministerium erklärt das mit Paragraph 47 aus dem Asylgesetz. Wer bis zu 18 Monate in einer Landeseinrichtung gewohnt hat, wird danach einer Kommune zugewiesen. Das gelte auch für zu diesem Zeitpunkt bereits "vollziehbar ausreisepflichtige Personen".
Eine Ausnahme bestehe für Asylsuchende, die aus sicheren Herkunftsstaaten stammen. Die müssten bis zur Ausreise in einer Landeseinrichtung bleiben. Eine weitere Ausnahme gilt für Minderjährige und ihre Familien: Sie werden nach maximal sechs Monaten einer Kommune zugewiesen, unabhängig von Stand und Ausgang des Asylverfahrens und dem Herkunftsstaat.
"Reinlassen, durchlassen"
Die Odenthaler Integrationsbeauftragte Claudia Kruse stellt das vor Probleme: "Wir möchten uns um alle Menschen kümmern, aber wir haben begrenzte Ressourcen. Klammern wir die ohne Bleibeperspektive dann aus?" Nach Kruses Verständnis ist ein Asylantrag ein hohes Gut, bei dem es um Schutz gehe. Stattdessen sehe sie seitens der Politik nur noch ein "Reinlassen, Durchlassen."
Sie wünscht sich ein genaueres Hinschauen. "Das sollte man tun, auch für die Menschen, die sich in Deutschland wirklich etablieren möchten. Denn die haben aktuell nicht die Chance dazu", sagt Kruse. Auf die angekündigten verstärkten Grenzkontrollen dagegen setzt sie wenig Hoffnung. Zu oft sei sie von der Politik schon enttäuscht worden.