Faeser plant Sondertreffen Wie können Politiker geschützt werden?
Bund und Länder wollen am Dienstag über den Umgang mit zunehmender Gewalt gegen Politiker beraten. Innenministerin Faeser hatte auf die Sonderkonferenz gedrängt. Für den Abend sind in Berlin und Dresden Demos geplant.
Nach dem brutalen Angriff auf einen SPD-Politiker in Dresden sollen die Innenminister von Bund und Ländern schon über Schutzmaßnahmen beraten. Den Vorschlag einer solchen Sonderkonferenz brachte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) auf. Der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Michael Stübgen (CDU), bestätigte nun in der "Rheinischen Post", dass das informelle Treffen am Dienstag stattfinden soll.
Angriffe auf Amts- und Mandatsträger seien in den vergangenen Jahren immer weiter gestiegen, mahnte der er. "Diese wachsende Verrohung der Gesellschaft zeigt sich leider auch immer dann, wenn Polizisten, Rettungskräfte oder Feuerwehrleute im Einsatz angegriffen werden." Die Polizei alleine könne die Demokratie vor ihren Feinden nicht beschützen. Es brauche einen breiten gesellschaftlichen Schulterschluss.
Faeser hatte bereits am Samstag eine schnelle Einberufung einer Konferenz für dringlich erklärt. "Der Rechtsstaat muss und wird hierauf mit einem harten Vorgehen und weiteren Schutzmaßnahmen für die demokratischen Kräfte in unserem Land reagieren", sagte sie. Bei dem Angriff handle es sich um "eine neue Dimension antidemokratischer Gewalt".
SPD-Kandidat zusammengeschlagen
Der sächsische SPD-Spitzenkandidat für die Europawahl, Matthias Ecke, war am Freitagabend beim Aufhängen von Wahlplakaten in Dresden zusammengeschlagen worden. Der 41-jährige Europaabgeordnete liegt seitdem im Krankenhaus und musste operiert werden. Kurz zuvor hatte laut Polizei mutmaßlich dieselbe Gruppe in der Nähe bereits einen Wahlkampfhelfer der Grünen angegriffen und verletzt.
Einer der jungen Männer meldete sich inzwischen bei der Polizei. Der 17-Jährige gab an, dass er Ecke niedergeschlagen habe, wie das sächsische Landeskriminalamt (LKA) mitteilte. Er war demnach zuvor nicht polizeilich in Erscheinung getreten. Zu den weiteren bisher unbekannten Tatverdächtigen würde weiter ermittelt, hieß es.
Zeugen zufolge seien die vier jungen Männer zwischen 17 und 20 Jahren dunkel gekleidet gewesen, hatte ein Polizeisprecher zuvor gesagt. Ein Zeuge habe sie dem rechten Spektrum zugeordnet. Die Ermittlungen würden zeigen, ob das stimme. Nach Angaben des sächsischen Innenministeriums ermittelt nun das Landeskriminalamt.
Politiker äußern sich entsetzt
Der Angriff löste bundesweit Empörung aus. "Dieser Ausbruch von Gewalt ist eine Warnung", erklärte etwa Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Samstag. Er appellierte an alle, die politische Auseinandersetzung friedlich und mit Respekt zu führen, und forderte die Anhänger der liberalen Demokratie auf, gegen Angriffe parteiübergreifend zusammenzustehen.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagte, die Demokratie werde von so etwas bedroht, "und deshalb ist achselzuckendes Hinnehmen niemals eine Option". Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) erklärte: "Sie sind der widerliche und unentschuldbare Ausfluss einer Verrohung von Sprache, Debatte und der Enthemmung in den sogenannten sozialen Medien." Finanzminister Christian Lindner (FDP) mahnte, "die Enthemmung der politischen Auseinandersetzung betrifft uns alle". Jeder könne der nächste sein. "Deshalb sind wir auch alle gefordert, uns der Eskalation entgegenzustellen".
Angriffe nehmen zu
Die Vorfälle von Dresden reihen sich ein in eine bundesweite Folge von Angriffen auf Parteimitglieder vor den Kommunal- und Europawahlen am 9. Juni. Erst am Donnerstagabend waren in Essen nach einer Grünen-Veranstaltung der Bundestagsabgeordnete Kai Gehring und sein Parteikollege Rolf Fliß nach eigenen Angaben attackiert und Fliß dabei geschlagen worden.
Die grüne Bundestagsvizepräsidentin Katrin-Göring-Eckardt war vor einer Woche in Ostbrandenburg nach einer Veranstaltung aggressiv bedrängt und an der Abfahrt gehindert worden. Im niedersächsischen Nordhorn wurde am Samstagmorgen ein Landtagsabgeordneter der AfD nach Polizeiangaben an einem Infostand geschlagen.
In Dresden kam es am Samstag Polizeiangaben zufolge zu weiteren Vorfällen in Zusammenhang mit dem Wahlkampf. Dabei habe es sich um Sachbeschädigung gehandelt. In der Äußeren Neustadt wurde ein Infostand der AfD stark beschädigt, der Betreiber blieb aber unverletzt, wie der MDR berichtete. Die Polizei konnte drei Tatverdächtige festnehmen. Im Stadtteil Striesen, in dem sich auch der Angriff auf SPD-Spitzenkandidat Ecke ereignete, habe eine Gruppe von etwa 20 Jugendlichen Wahlplakate verschiedener Parteien beschädigt. Auch in Leipzig wurden mehr als 50 Wahlplakate heruntergerissen und teils völlig zerstört.
Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) mutmaßte gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, man müsse davon ausgehen, dass es sich um geplante Taten handle, "die nicht spontan, sondern gezielt durchgeführt werden. Dies ist eine neue Eskalationsstufe, die das erklärte Ziel der Einschüchterung hat". Man müsse auch mit Nachahmungstaten rechnen.
Laut einer Antwort der Bundesregierung auf eine AfD-Anfrage waren Politikerinnen und Politiker der Grünen besonders betroffen: 1.219 Fälle wurden laut vorläufigen Zahlen im Jahr 2023 erfasst. Das ist ein deutlicher Anstieg, 2022 waren es noch 575 Delikte. Auch AfD-Politikerinnen und Politiker wurden häufig tätlich angegriffen. 478 Fälle erfasst die vorläufige Statistik. Am dritthäufigsten traf es die SPD mit 420 Delikten. Für alle Parteien zusammen wurden von 2019 bis 2023 nach Regierungsangaben 10.537 Straftaten gemeldet.
Demonstrationen in Dresden und Berlin geplant
Für den Sonntagabend riefen zwei Bündnisse zu Demonstrationen unter dem Motto "Gewalt hat keinen Platz in unserer Demokratie!" in Berlin und Dresden auf. In Berlin soll ab 18 Uhr vor dem Brandenburger Tor protestiert werden, in Dresden ab 17 Uhr am Pohlandplatz, wie es in den Instagram-Posts des Internetportals "Zusammen gegen Rechts" und des Bündnisses "Wir sind die Brandmauer Dresden" heißt. Die Bündnisse hatten bereits im Februar zu Demonstrationen gegen rechts aufgerufen.
In dem Demonstrationsaufruf heißt es, man wolle gemeinsam als demokratische Zivilgesellschaft Haltung zeigen. "Niemand sollte um seine Sicherheit fürchten müssen, weil man sich politisch engagiert oder in einer Partei aktiv ist", hieß es. "Diese Demokratie lassen wir uns nicht durch Gewalt zerstören."