Offshore-Windkraftanlagen auf der Nordsee.
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Klimaziele in Deutschland Auf Kurs auch dank Wirtschaftsflaute

Stand: 15.03.2024 15:04 Uhr

Guter Ausblick für Wirtschaftsminister Habeck: Das Klimaziel bis 2030 ist laut Prognosen zu schaffen. Doch es bleiben viele Unsicherheiten. Aktuell läuft es auch wegen der Rezession gut fürs Klima.

Von Martin Polansky, ARD-Hauptstadtstudio

Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck ist am Morgen erkennbar bemüht, vor der Presse positive Stimmung zu verbreiten. Etwas Ungewöhnliches und Gutes habe er zu verkünden, "nämlich den Erfolg des Klimaschutzes". Die Projektionszahlen würden erstmals zeigen, dass Deutschland beim Klimaschutz auf Kurs ist.

Per Video zugeschaltet an Habecks Seite ist der Chef des Umweltbundesamtes, Dirk Messner. Er hat tatsächlich bemerkenswerte Emissionsdaten zu verkünden, die Berechnungen für das vergangene Jahr und die Projektionsdaten bis 2030 lassen sich als hoffnungsvoll interpretieren. Zumindest auf den ersten Blick.

Dirk Messner, Präsident des Umweltbundesamtes, zur CO2-Entwicklung in Deutschland

tagesschau24, 15.03.2024 18:00 Uhr

Demnach wurden in Deutschland im vergangenen Jahr rund zehn Prozent weniger Treibhausgase ausgestoßen als 2022. Insbesondere in der Stromerzeugung (minus 20,1 Prozent) sowie in der Industrie (minus 7,7 Prozent) sind die Emissionen deutlich zurückgegangen.

Aber auch im Verkehr (minus 1,2 Prozent) und im Gebäudebereich (minus 7,5 Prozent) wurden weniger Treibhausgase ausgestoßen - wenngleich die beiden Sektoren die nach dem Klimaschutzgesetz gültigen Zielvorgaben wie schon in den Vorjahren überschreiten. Wenn man alle Sektoren zusammenrechnet, hat Deutschland im vergangenen Jahr aber die Klimaziele erreicht.

Die Menschen haben weniger geheizt

Allerdings lohnt der zweite Blick - und da sieht der vermeintliche Erfolg längst nicht so überzeugend aus. Denn das Jahr 2023 war geprägt von einer leichten Rezession und hohen Energiepreisen. Die damit verbundenen Effekte erklären einen großen Teil der Emissionsminderungen. Zum einen wurde deutlich weniger Strom verbraucht - die hohen Preise zwangen viele Betriebe und Haushalte zum Sparen.

Auch der verminderte Treibhausgasausstoß im Gebäudebereich lässt sich zu einem großen Teil damit erklären. Um Geld zu sparen, haben die Menschen schlicht weniger geheizt, was durch die relative milde Witterung zusätzlich erleichtert wurde.

In der Industrie haben die hohen Energiepreise in manchen Branchen zu deutlichen Produktionsrückgängen geführt. Der Chef des Umweltbundesamtes Messner spricht von "Flauten im energieintensiven Bereich".

Im Ausland erzeugter Strom wird nicht angerechnet

Im Stromsektor schlägt sich ein weiterer Effekt in den Emissionszahlen nieder: Deutschland war im vergangenen Jahr zum ersten Mal seit vielen Jahren Nettostromimporteur, hat also über das Jahr mehr Strom aus dem Ausland bezogen als in die Nachbarländer abgegeben. Die Abschaltung der letzten deutschen Atomkraftwerke im Frühjahr 2023 hat daran einen Anteil.

Der im Ausland erzeugte Strom wird auf die hiesigen Emissionszahlen aber nicht angerechnet. Das verbessert die deutsche Treibhausgasbilanz. Laut Bundesnetzagentur machte konventionell erzeugter Strom etwa aus Kohle-, Erdgas- und Atomkraftwerken bei den Importen in den ersten drei Quartalen des vergangenen Jahres rund 46 Prozent aus.

CO2-Bilanz 2023: Wirtschaftsminister Habeck sieht Deutschland auf Kurs

Jan Koch, WDR, tagesthemen, 15.03.2024 21:45 Uhr

Der Netzausbau kommt nur langsam voran

Angesichts der rezessionsbedingten Effekte verbunden mit den hohen Strompreisen räumt Habeck auf Nachfrage ein, dass die Daten für 2023 "Licht und Schatten" hätten. Positiv verbuchen kann der Klimaschutzminister, dass auch der Ausbau der Erneuerbaren Kraftwerke nach einigen schwachen Jahren zuletzt wieder vorangekommen ist.

Das gilt allerdings vor allem für Photovoltaik-Anlagen, während die Windkraftbranche im vergangenen Jahr nur einen eher mäßigen Zubau verzeichnen konnte. Auch der wichtige Netzausbau kommt nur langsam voran. Die unter dem Strich aber erkennbaren Fortschritte beim Umstieg auf Erneuerbare hatten ihren Anteil an der Treibhausgasminderung.

Insgesamt lässt sich die Bilanz 2023 aber nur dann als großer Erfolg verkaufen, wenn man die negativen Effekte der schlechten Wirtschaftslage billigend in Kauf nimmt.

Kann Deutschland die Ziele bis 2030 erreichen?

Habeck und Messner richteten aber auch den Blick nach vorne - bis zum Jahr 2030. Für die sogenannten Projektionsdaten hat das Umweltbundesamt nach eigenen Angaben ein unabhängiges Forschungskonsortium beauftragt, dass mit Modellierungen versucht, die Auswirkungen der aktuellen Klimaschutzpolitik auf die Treibhausgasemissionen abzuschätzen. Es handelt sich dabei ausdrücklich nicht um eine Prognose.

Habeck und Messner machten diese Modellierungen zu einem zweiten Schwerpunkt der heutigen Pressekonferenz. Die Kernaussage: Deutschland kann seine ambitionierten Ziele bis zum Jahr 2030 erreichen - und ist auf einem erfolgversprechenden Weg dahin. 2030 soll sich nach dem Willen der Bundesregierung der Treibhausgasausstoß im Vergleich zu 1990 um 65 Prozent verringert haben. Derzeit werden etwa 46 Prozent weniger Treibhausgase ausgestoßen als 1990.

Klimaschutzverträge auf den Weg gebracht

Bisher waren die Projektionen immer davon ausgegangen, dass bis 2030 zwar deutliche Fortschritte erzielt werden, bei den Treibhausgasen aber ein sogenannter kumulierter Überschuss anfällt - über die Jahre Deutschland also mehr CO2 ausstößt als im Klimaschutzgesetz vorgesehen. Die jetzt klar positivere Projektion begründen das Umweltbundesamt und das Wirtschaftsministerium mit der Annahme, dass bestimmte Maßnahmen mehr Wirkung entfalten als bislang mitgerechnet.

So geht die Modellierung von einem sehr zügigen Ausbau der Erneuerbaren aus, zudem werde die Industrie auch bei besseren Wachstumszahlen weniger Treibhausgase ausstoßen. Denn den nachhaltigen Umbau der energieintensiven Branchen zu fördern ist das erklärte Ziel der Bundesregierung.

Habeck hatte erst vergangene Woche milliardenschwere sogenannte Klimaschutzverträge dafür auf den Weg gebracht. Auch das umstrittene Gebäudeenergiegesetz soll seine Wirkung entfalten, der Heizungstausch für spürbar weniger CO2 sorgen. Und der Europäische Emissionshandel dürfte ab 2027 mit dem ETS 2 eine deutlich stärkere Wirkung entfalten, indem der Treibhausgasausstoß durch Autofahren und Heizen spürbar kostspieliger werden dürfte.

Sorgenkind Verkehrsbereich

Das Sorgenkind bliebe nach dieser Projektion aber der Verkehrsbereich, der am deutlichsten von den Zielen des aktuellen Klimaschutzgesetzes abweicht. Bis 2030 werde sich daran nichts Grundlegendes ändern, so die Annahme. Das dürfte erneut den Druck auf Verkehrsminister Volker Wissing von der FDP erhöhen, mehr für den Klimaschutz in diesem Sektor zu machen.

Allerdings geht die Projektion auch davon aus, dass die Mehremissionen im Verkehr und den Gebäuden durch eine besonders starke Emissionsminderung bei der Stromerzeugung und in der Industrie überkompensiert werden. Das galt auch schon in den vergangenen Jahren.

Die Bundesregierung hat sich im Grundsatz darauf verständigt, das Klimaschutzgesetz dahingehend zu reformieren, dass die Gesamtbilanz des Treibhausgasausstoßes zukünftig deutlich höher bewertet wird als die Erfolge oder Misserfolge in den einzelnen Sektoren. Die Fraktionen der drei Ampelparteien verhandeln gerade über die Details des neuen Klimaschutzgesetzes.

Habeck sieht Deutschland auf Kurs

Klar ist aber nach den heutigen Zahlen: Insbesondere die Zukunftsprojektionen sind mit vielen Unbekannten behaftet, zumal praktisch jedes Jahr Sondereffekte hinzukommen - in den vergangenen Jahren etwa die Pandemie, die Energiekrise und die schlechte Wirtschaftslage.

Ob alle ambitionierten Transformationsziele tatsächlich erreicht werden, lässt sich seriös kaum vorhersagen. Beispielsweise, ob der erhoffte Umbau der Industrie weg von fossilen Energien hin zu grünem Wasserstoff gelingt.

Wirtschaftsminister Habeck sieht Deutschland dennoch auf Kurs. Vielleicht nicht ganz überraschend. Immerhin ist er nun schon seit zwei Jahren im Amt - und der klimafreundliche Umbau des Landes ist sein erklärtes Kernanliegen. Habeck braucht jetzt Erfolge.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 15. März 2024 um 14:00 Uhr.