Kampf gegen Coronavirus Warum die Impfpflicht so kontrovers ist
Die allgemeine Corona-Impfpflicht soll kommen - früher oder später. Oder doch nicht? Was steckt hinter dem politischen Streit - und welche praktischen Probleme sind ungelöst? Ein Überblick.
Warum soll es überhaupt eine allgemeine Corona-Impfpflicht geben?
Eine berechtigte Frage, schließlich hatte die Politik sie anfangs noch ausgeschlossen. Man setzte auf Freiwilligkeit bei der Corona-Impfung und war zudem davon ausgegangen, dass eine Impfquote von 70 bis 80 Prozent ausreichend ist, um die Pandemie einzudämmen. Inzwischen gehen Fachleute jedoch davon aus, dass es eine Impfquote von mehr als 90 Prozent braucht. Derzeit liegt die Quote in Deutschland bei knapp 72 Prozent - das ist auch im europäischen Vergleich eher niedrig. Eine breite Mehrheit der Menschen in Deutschland ist vollständig geimpft - und befürwortet laut ARD-DeutschlandTrend von Anfang Dezember auch eine Impfpflicht.
Das Pandemiegeschehen wird aktuell jedoch von der Minderheit der Ungeimpften bestimmt. Zwar bieten auch die derzeitigen Impfstoffe keinen hundertprozentigen Schutz vor einer Infektion (schon gar nicht mit der Omikron-Variante), doch stecken sich Ungeimpfte leichter und häufiger an, verbreiten das Virus und haben eher schwere Krankheitsverläufe, was wiederum das Gesundheitssystem belastet. Mit der jüngsten Ausweitung der 2G-Plus-Regel versucht die Politik auch, den Druck auf Ungeimpfte weiter zu erhöhen und der Impfkampagne einen "Boost" zu geben. Das Ziel einer 80-prozentigen Impfquote bis Anfang Januar musste Bundeskanzler Olaf Scholz dennoch auf Ende des Monats verschieben.
Warum ist die Impfpflicht problematisch?
Aus mehreren Gründen - gesellschaftlich, ethisch, rechtlich und auch politisch. Kritiker argumentieren, dass eine Impfpflicht die gesellschaftlichen Gräben vertiefen würde. Die Gegner der Corona-Maßnahmen wären durch noch mehr Druck argumentativ womöglich gar nicht mehr zu erreichen. So warnte etwa STIKO-Chef Thomas Mertens vor einer "noch stärkeren Polarisierung".
Eine allgemeine Impfpflicht ist auf jeden Fall ein erheblicher Eingriff in die persönlichen Freiheitsrechte des Einzelnen. Der Deutsche Ethikrat hält dies jedoch für gerechtfertigt, wenn so die Gesellschaft vor den gravierenden Folgen künftiger Pandemiewellen geschützt sei.
Auch rechtlich dürfte eine Pflicht zur Impfung gegen das Coronavirus - und damit der Eingriff in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit - wohl zulässig sein. Stand heute. Weil die milderen Mittel, um die Pandemie zu bekämpfen, gerade immer weniger werden. Und weil die Impfpflicht im Vergleich zu einem harten Lockdown mit Einschränkungen für ganz viele Menschen durchaus ein milderes Mittel sein kann. Gerichtlich ist die Frage aber nicht abschließend geklärt. Hier geht es vor allem um die Bewertung der Verhältnismäßigkeit.
Eine einrichtungsbezogene Impfpflicht hat der Bundestag bereits beschlossen. Sie gilt ab März.
Auch politisch ist die Sache heikel. Schließlich hatte die Politik eine Impfpflicht lange ausgeschlossen, die Kehrtwende kratzt am Vertrauen. Da hilft es auch wenig, dass die Verantwortlichen von einer veränderten Lage durch die neuen Virus-Varianten sprechen oder eingestehen, dass man anders als erwartet nur mit Freiwilligkeit nicht weiterkomme.
Wenn in der Politik nun viele für die Impfpflicht sind - warum der Streit?
Bundeskanzler Scholz ist dafür, die 16 Länderchefs und -chefinnen, die Union als größte Opposition - und dennoch wird um die Impfpflicht heftig gestritten. Dabei geht es jedoch auch viel um das Prozedere. Einen konkreten Zeitplan der Ampel-Regierung für das parlamentarische Verfahren gab es zwar nie, aber auch der wackelt. Das liegt an Fristen, Sitzungswochen und Karneval. Es könnte also noch dauern mit der Impfpflicht. Womöglich besteht in der Politik auch die leise Hoffnung, dass sich das kontroverse Thema doch noch von selbst erledigt. Zum Ärger der Opposition will die Ampel keinen eigenen Gesetzentwurf vorlegen, sondern überlässt dies dem Bundestag. Die Abgeordneten sollen Anträge ausarbeiten und ohne Fraktionszwang nach ihrem Gewissen abstimmen.
Bislang liegt jedoch erst ein Antrag vor - von FDP-Parlamentariern um Wolfgang Kubicki gegen eine allgemeine Impfpflicht. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) arbeitet nach eigenen Angaben "als Abgeordneter" an einem Vorschlag für eine allgemeine Impfpflicht für Über-18-Jährige.
Eine Initiative um den FDP-Abgeordneten Andrew Ullmann plant einem Bericht der "Welt" zufolge einen Antrag, der eine gestaffelte Impfpflicht vorsieht - angefangen mit einer verpflichtenden Impfaufklärung für alle bis zu einer Impfpflicht beispielsweise für Menschen ab 50 Jahren.
Im Bundestag soll es nun zunächst eine "Orientierungsdebatte" im Januar geben. Die SPD strebt den Abschluss eines Gesetzgebungsprozesses "im ersten Quartal" an, also bis Ende März.
Welche Fragen sind bislang offen?
Viele, das Thema ist komplex. Was bringt eine Impfpflicht, wenn der Schutz vor einer Infektion bei neuen Virus-Varianten immer weiter abnimmt oder auch immer kürzer anhält? Wenn etwa alle drei Monate "geboostert" werden muss - besteht dann auch alle drei Monate die Pflicht zur Impfung? "Man kann den Leuten nicht ernsthaft eine Impfpflicht auferlegen und dann feststellen, dass die Wirkung des Impfstoffes immer nur ein paar Monate hält", sagte der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen. Virusvarianten mutierten schneller als die praktischen Impfangebote voranschritten, wandte auch der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, ein. Es sei unmöglich, das alles in einer gesetzlichen Impfpflicht gerichtsfest zu regeln.
Eine wichtige ganz praktische Frage ist auch: Wie soll sie kontrolliert und bei Missachtung sanktioniert werden? Soll es ein nationales Impfregister mit Daten zu allen Geimpften geben - die Union spricht sich dafür aus, andere Fraktionen sind wegen des hohen zeitlichen und bürokratischen Aufwands eher dagegen. Auch stellen sich hier datenschutzrechtliche Fragen. Sollen die Einwohnermeldeämter Terminvorschläge für Impfungen verschicken? Reichen stichprobenartige Kontrollen, wie etwa die 3G-Pflicht im öffentlichen Nahverkehr? Soll es Bußgelder geben? Und soll die Impfpflicht zeitlich begrenzt werden oder unbefristet gelten?
Ausblick
Gegen die Omikron-Welle wirkt eine Impfpflicht sicherlich nicht mehr, vielmehr sei sie "perspektivisch eine Vorsorge für den kommenden Herbst und Winter", heißt es bei SPD und Grünen. Dennoch könnte das parlamentarische Verfahren nun doch noch mal an Tempo gewinnen: Vertreter von Koalition und Opposition sind offenbar auch zur Sondersitzungen und damit dem Verzicht auf die Karnevalspause bereit.
Wie machen es andere Länder?
Deutschland ist nicht das einzige Land, das eine allgemeine Impfpflicht plant. In Österreich - auch dort wurde die Impfpflicht lange ausgeschlossen - soll sie im Frühjahr starten. Alle drei Monate soll dann der Impfstatus in einem Impfregister abgeglichen werden. Impfverweigerern droht eine Strafe von bis zu mehreren Tausend Euro. Allerdings ist das Gesetz noch nicht in Kraft getreten, die Begutachtung endet heute, wann es zu einer Abstimmung kommt, ist noch unklar. Der ursprüngliche Zeitplan (Februar/März) könnte sich aus technischen Gründen noch verzögern - und die Zweifel werden größer, ob die Impfpflicht auch mit dem geringeren Impfschutz bei Omikron noch rechtlich zulässig ist.
Italien hat vor wenigen Tagen eine Impfpflicht für Menschen ab 50 eingeführt. Wer sich nicht impfen lässt, muss ein Bußgeld von 100 Euro bezahlen. Eine berufsbezogene Impfpflicht gibt es dort schon seit vergangenem Jahr. So werden zum Beispiel Mediziner oder Beschäftigte aus Altenheimen, die sich nicht impfen lassen wollen, suspendiert.
Griechenland setzt hingegen auf eine Impfpflicht für Ü-60-Jährige, eine Impfpflicht für Mitarbeiter bestimmter Berufe gibt es unter anderem in Frankreich und Großbritannien.