Flüchtlingsunterkünfte in Dresden Was nach den Containern kommt
Bloß keine Turnhallen: Um Geflüchtete unterzubringen, nehmen Kommunen viel Geld in die Hand. Wohncontainer sollen Platz und sozialen Frieden schaffen - auch in Dresden. Doch die Stadt hat genug von kurzfristigen Lösungen.
Vom Sachsenplatz in Dresden sind es nur fünfzehn Fußminuten in die berühmte Altstadt, immer an der Elbe entlang. Bis zur Bombennacht 1945 stand hier eine Kaserne. Heute dient die Wiese als Parkplatz für ein Pflegeheim und eine Reihe Zehngeschosser. Neulich hing ein Aushang der Wohnungsbaugenossenschaft im Hausflur: Aus dem Parkplatz könnte eine Flüchtlingsunterkunft werden.
152 Plätze, vornehmlich für Alleinreisende, will die Stadt hier bis zum Sommer errichten - 36 Wohncontainer in Reihen von je zweimal vier. WC, Bad und Küche kommen extra hinzu. Kosten für zwei Jahre: geschätzt 6,7 Millionen Euro. Deutschlandweit werden solche Container-Unterkünfte derzeit geplant und gebaut, am Rand von Gewerbegebieten oder in Häfen, seltener in Wohngebieten wie am Sachsenplatz. Gleich neun Standorte hat die Stadt Dresden ausgewählt, um so über 800 Menschen Obhut zu bieten.
"Schon jetzt mehr als 2015"
"Es gibt de facto keinen Standort, der unkritisch ist", sagt der Baubeigeordnete Stephan Kühn. Seine Verwaltung habe vor einem halben Jahr begonnen, alle städtischen Flächen "abzugrasen". Groß sei die Auswahl nach umfangreicher Prüfung nicht gewesen. Es mangele an freien Flächen und an den neun Standorten werde zumindest in den nächsten zwei Jahren nichts anderes gebaut, sagt der Grünen-Politiker.
Eine erste, bereits beschlossene Container-Unterkunft soll im Frühling den Betrieb aufnehmen. Parallel versucht die Stadt weiter, Hotels anzumieten und neue Objekte zu erschließen. Schon jetzt wurden in einer Veranstaltungshalle und einem Gebäude des ehemaligen VEB Kombinat Robotron kurzfristig jeweils rund 300 Plätze geschaffen. Dafür konnte eine Notunterkunft in der Messe abgebaut werden. Einige Hundert Plätze sind in Hotels angemietet. Doch all das reicht nicht.
1600 Asylsuchende wurden Dresden 2022 vom Land zugewiesen. In diesem Jahr rechnet die Stadt mit 2200. Menschen aus der Ukraine sind da nicht eingerechnet. Schon jetzt verzeichne man mehr Zugänge "als in den Jahren 2015 bis ’17", sagt Kühn. Dabei fänden die meisten Einreisen erst im Herbst statt. Die Container seien daher die einzige Möglichkeit, rechtzeitig Kapazitäten zu schaffen - und keine Turnhallen belegen zu müssen. Auch Zeltunterkünfte seien keine Option.
Kosten von 47 Millionen Euro
Für die "mobilen Raumeinheiten", wie die Stadt die Container nennt, plant sie mit Kosten von 47 Millionen Euro, verteilt auf zwei Jahre. Elf Millionen Euro entfallen auf Miete, Planung und Errichtung der die Container, 19 Millionen Euro kostet der Wachschutz. Für einen Großteil des Geldes muss die Finanzierung noch gefunden werden. Laut Gesetz soll der Freistaat Sachsen später 90 Prozent davon übernehmen. Noch sind die Kosten pro Kopf gerechnet fast dreimal so hoch wie die Pauschale, die Sachsen derzeit auszahlt.
Laut der Sozialbeigeordneten Kristin Kaufmann sind temporäre Unterkünfte langfristig gesehen am teuersten, die Unterbringung in Wohnungen hingegen am billigsten. Nur habe man weder die Zeit noch die Wohnungen, so die Linken-Politikerin.
Eine einzige große Container-Unterkunft für Hunderte Menschen, wie sie derzeit etwa in Upahl in Mecklenburg-Vorpommern für hitzige Diskussionen sorgt, sei bewusst nicht geplant worden. Schon 2017 hatte Dresdens Stadtrat beschlossen, nur Unterkünfte bis maximal 65 Plätze einzurichten. Um Integration vor Ort zu gewährleisten, aber auch für "ein Mindestmaß an Privatsphäre, Schutz- und Rückzugsräumen" für die Bewohner, sagt Kaufmann. Dass nun einige Standorte wie der Sachsenplatz dennoch größer werden, sei der Gesamtlage geschuldet.
Kaufmann zeigt sich dennoch sicher, dass die Betreuung gelingen wird. "Wir sind keine Rookies", sagt sie. Jeder Geflüchtete werde in Dresden bedarfsgerecht und in seiner Muttersprache begleitet. "Unsere Migrationssozialarbeiter helfen, wenn es um Sprache geht, um Bildung oder einen Kita- oder Schulplatz." Sie würden zugleich Werte und Normen vermitteln und als Netzwerker für die Geflüchteten fungieren. Zumindest den Personalmangel, den andere Kommunen beklagen, gibt es laut Stadtverwaltung in Dresden nicht.
Dresdens Baubeigeordneter Kühn (2. v. l.) und Sozialbeigeordnete Kaufmann (Mitte) wollen, dass die Container in zwei Jahren wieder Geschichte sind.
"Wollen Fehler nicht wiederholen"
Doch die Container-Bauten sind Plan B für einen Plan A, der noch unvollendet ist: Kristin Kaufmann und Stephan Kühn wollen in Dresden dauerhafte Unterkünfte schaffen.
Schon nach 2015/16 hätte man solche Standby-Kapazitäten aufbauen müssen, sagt Kühn. Nur gab es damals weder Geld von Bund und Land, noch die Weitsicht, dass die Zuwanderung dauerhaft hoch bleiben würde. "Wir wollen diesen Fehler nicht wiederholen", sagt Kühn. Vier Gebäude in der Stadt sollen "durchsaniert" werden. Kostenpunkt in zwei Fällen: je sechs bis sieben Millionen Euro. "Bisher habe ich dafür null Euro im Haushalt", sagt Kühn.
Der Soziologe Özgür Özvatan begrüßt solche Überlegungen. Beim Umgang mit Fluchtmigration erlebe man bislang "viele Ad-hoc-Regelungsversuche, aber keine auf Dauer angelegte Programmatik", sagt der Forscher vom Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung. Selbst die Unterbringung in Containerbauten sei aus humanitärer Sicht schwierig, in der aktuellen Wohnungsknappheit erscheine sie "vielerorts aber als übergangsweise pragmatisch", sagt Özvatan.
Gegen Alternativen wie Notunterkünfte in Turnhallen spreche, dass diese oft als "lebensnahe Beispiele dafür gesehen werden, dass Neue kommen und Infrastruktur vereinnahmen". Das werde symbolisch aufgeladen und könne vor Ort "problemzentrierte Konkurrenzdynamiken" auslösen. In den vergangenen Jahren habe es einen dramatischen Anstieg von Angriffen auf Notunterkünfte gegeben, betont Özvatan. Hinzu kämen Bedrohungen für Kommunalpolitikerinnen und -politiker.
Ähnliche Überlegungen wie in Dresden hatte zuletzt auch der Landrat des Kreises Mittelsachsen, Dirk Neubauer, geäußert. Beide Kommunen hoffen auf Unterstützung von höherer Ebene. Beim sächsischen Innenministerium rennen sie damit keine offene Türen ein. Das Ministerium stellt gegenüber tagesschau.de keine zusätzlichen Hilfen in Aussicht. Im Gegenteil: Weil für Jahre mit niedrigeren Zuwanderungszahlen auch eine Nutzung für andere Zwecke zur Diskussion steht, müsse geprüft werden, inwieweit sich die Projekte im bestehenden "pauschalierten Abrechnungssystem wiederfinden" würden.
Eine Idee hat man dennoch, woher das Geld kommen könnte. Sachsen gehört zu den Bundesländern, die bislang kaum oder gar nicht von freien Liegenschaften des Bundes profitieren. Diese hat Bundesinnenministerin Nancy Faeser mehrfach den Kommunen und Ländern als Unterkünfte in Aussicht gestellt. Wenn es diese weiterhin nicht gebe, schreibt nun das sächsische Innenministerium, erwarte man "einen angemessenen Anteil an finanzieller Beteiligung des Bundes", sprich: mehr Geld, das dann, so schreibt es das Ministerium, für die Schaffung dauerhafter Kapazitäten verwendet werden könnte.
"Nicht eine Frage des Ob, sondern des Wie"
Aber das ist Zukunftsmusik. Und so beginnt Kristin Kaufmann in diesen Tagen eine Tour durch Dresden, um die Container-Pläne vorzustellen. Ende März soll es einen großen Bürgerdialog geben. Danach geht es in die Stadtbezirksräte. Im Mai soll der Stadtrat final beschließen. Selbst wenn die Container schon stehen, sollen erstmal Tage der offenen Türen stattfinden.
Dresdens CDU-Fraktion hält viele der neun Standorte für ungeeignet. Und sie geht noch weiter: Die derzeitige Asylpolitik müsse beendet werden. "Nein! Wir haben keine Kapazitäten!", heißt es in einem Positionspapier. Im Stadtrat stellt die Fraktion elf von 70 Abgeordneten.
Die rechtsextremen "Freien Sachsen" mobilisieren bereits gegen den angeblichen "Asylwahnsinn" - bislang mit mäßigem Erfolg. Für die Abstimmungen in den Stadtbezirken wird aktuell dennoch ein Sicherheitskonzept erarbeitet.
Kristin Kaufmann rechnet mit schwierigen Diskussionen. "Wir stoßen hier auf Ressentiments unserer Bürgerinnen und Bürger, die Ängste haben, die Zweifel haben, dass es uns gelingen kann", sagt sie. Seitdem auch Ukrainerinnen und Ukrainer fliehen, seien die Schulen voll. Doch die Frage sei nicht, ob man Geflüchtete unterbringe, sondern wie.
Kaufmann hofft auf Verständnis und Unterstützung und darauf, dass die Menschen die Alternativen abwägen. Das Damoklesschwert namens Turnhalle schwebe über jedem Standort, der nicht durchgesetzt wird. Und die würde dann für den Schul- oder Vereinssport oder wegfallen. "So knallhart muss man das an dieser Stelle sagen", sagt Kaufmann.