CDU und SPD in Hessen Holpriger Machtwechsel
In Hessen hat sich die CDU für eine Koalition mit der SPD entschieden. Heute konstituiert sich der Landtag. Im Vergleich zum geräuschlosen Regieren von Schwarz-Grün wirkt beim Machtwechsel manches chaotisch.
Nach zehn Jahren Schwarz-Grün in Hessen will CDU-Ministerpräsident Boris Rhein mit seiner Wiederwahl im Wiesbadener Landtag ein "neues Kapitel" aufschlagen, wie er sagt. Mit ihm an der Spitze wird das Land erstmals von einer Koalition aus CDU und SPD regiert.
Für den konservativen Richtungswechsel, den Rhein erkennbar anstrebt, ist Stabilität in Zeiten schwerer Krisen das Leitmotiv. "Soziale Sicherheit und sanfte Erneuerung" lautet das zentrale Versprechen. Ob mehr Abschiebungen oder ein Gender-Verbot an Schulen, Unis und im Rundfunk: Der Vertrag trägt die Handschrift der CDU, die bei den Landtagswahlen im Oktober klar siegte.
Machtkampf um Ministerämter
Mit 34,6 Prozent wurde die Union mehr als doppelt so stark wie die SPD. Diese will als neuer Juniorpartner unter anderem die Wohnungsbauförderung, den Ausbau von Ganztagsschulen und die Integration von Migranten mit Bleiberecht forcieren.
Doch noch bevor sein neues Kabinett den Eid ablegen konnte, musste sich der Ministerpräsident fragen lassen, wie es um die Stabilität seiner Regierung bestellt sein wird. "Noch nicht mal im Amt, aber schon in der Krise", ätzten die Grünen als ausgebooteter Ex-Partner der CDU.
Während Union und Grüne nur eine Stimme mehr als die Opposition hatten, ist die neue schwarz-rote Mehrheit mit 75 von 133 Mandaten zwar komfortabel. Aber in der SPD, die 25 Jahre lang in der Opposition war, hat sich an der Verteilung der Ministerämter ein Machtkampf entzündet. Acht Ministerien erhält die CDU, drei die SPD.
Faesers Position ist geschwächt
Im Streit der SPD-Flügel hat sich das linke Lager um den Frankfurter Bundestagsabgeordneten Kahweh Mansoori durchgesetzt. Der 35-Jährige wird Vize-Ministerpräsident und leitet das Superministerium für Wirtschaft, Verkehr, Wohnen, Energie und ländlichen Raum.
Mansoori gilt als der neue starke Mann der SPD und ist aussichtsreicher Anwärter auf die Nachfolge von Nancy Faeser an der Spitze des Landesverbandes. Die Bundesinnenministerin, die zum konservativeren Flügel der Partei gezählt wird, gibt das Parteiamt im Frühjahr ab.
Nun zeigt sich, wie geschwächt Faesers Position in der Partei ist. Sie hatte als Spitzenkandidatin mit 15,1 Prozent das historisch schlechteste Landtagswahlergebnis der SPD erzielt.
Das Lager um Mansoori verhinderte, dass mit dem bisherigen Fraktionschef Günter Rudolph ein enger Vertraute Faesers ein Regierungsamt erhielt. Der 67-Jährige trat wegen Aussichtslosigkeit nicht einmal mehr bei der Wahl der Fraktionsspitze an.
Auch in Berlin wird das Bündnis beobachtet
Die Entwicklung trifft CDU-Ministerpräsident Rhein doppelt schwer. Mit den im SPD-Streit unterlegenen Faeser und Rudolph hat Rhein seine "christlich-soziale Koalition" maßgeblich ausgehandelt. Was neben grundsätzlichen politischen Übereinstimmungen zählte: Das Trio pflegte auch persönlich gute Beziehungen, nachdem sich ihre Parteien jahrzehntelang spinnefeind waren.
Außerdem hat Rhein mit der gegen die Ampel-Regierung und vor allem die Grünen gerichteten Botschaft "Kurs statt Chaos" die Wahl gewonnen. Nun wirkt nach dem geräuschlosen Regieren von Schwarz-Grün manches beim Machtwechsel chaotisch.
Dabei wird das neue Bündnis auch in Berlin genau beobachtet. Gerade in der Union hoffen nicht wenige, die CDU/SPD-Koalition in Wiesbaden könne ein Modell sein, falls die Ampel-Regierung scheitert oder spätestens nach der nächsten Bundestagswahl.
Keine Überraschung beim Kabinett
Auch personell fehlt es in Hessen nicht an Signalen dafür, dass die Ära vorbei sein soll, die Rheins Vorgänger Volker Bouffier gemeinsam mit dem Grünen Tarek Al-Wazir prägte. Aus der Amtszeit Bouffiers, der im Mai 2022 für Rhein Platz machte, sind nur noch zwei CDU-Kabinettsmitglieder dabei. Einer davon, der bisherige Kultusminister Alexander Lorz, wechselt ins Finanzressort.
"Das Team steht für einen Generationswechsel", sagt Rhein. Eine Überraschung wie bei seiner ersten Kabinettsbildung ist diesmal nicht dabei: Vor zwei Jahren hatte Rhein mit Roman Poseck den früheren Präsidenten des Hessischen Staatsgerichtshofs geholt. Der Mann, der als Justizminister parteiübergreifend überzeugte, übernimmt nun das für die CDU so wichtige Innenministerium.
Keine Frauenquote am Kabinettstisch
Dass im Titel des bisherigen Umweltministeriums der Begriff "Landwirtschaft" an die erste Stelle rückt, ist ebenfalls bezeichnend für den Wechsel. Dafür musste der "Klimaschutz" aus dem Namen weichen. Von dem bislang von den Grünen geführten Haus fühlten sich viele traditionell der CDU nahestehenden Bauern gegängelt. Nun hat mit dem bisherigen CDU-Bundestagsabgeordneten Ingmar Jung ein Winzersohn das Sagen.
Auch das ist ein Unterschied zur Vorgängerregierung: Anders als bei den Grünen greift bei CDU und SPD keine Frauenquote. Von insgesamt zwölf Plätzen am Kabinettstisch entfallen lediglich drei auf Frauen. Digitalministerin Kristina Sinemus und Familienministerin Diana Stolz (beide CDU) sowie Arbeits- und Integrationsministerin Heike Hofmann (SPD) sind von lauter Männern umgeben.