Koalitionsbildung in Hessen Die Zeichen stehen auf christlich-sozial
Zehn Jahre haben sie in Hessen zusammen regiert: CDU und Grüne. Das soll es nun gewesen sein. Ministerpräsident Rhein kündigte Koalitionsverhandlungen mit der SPD an. Was hat dazu geführt?
Von Ute Wellstein, hr
Es war ein bisschen wie bei einer zivilisiert ablaufenden Scheidung: Man dankt dem Ex-Partner für die schönen zurückliegenden Jahre, blickt auf die wunderbaren gemeinsamen Kinder und erklärt dann, warum man sich trotzdem jemand anderes sucht. So geschehen heute im hessischen Landtag: Boris Rhein dankt den Grünen für die "zehn guten Jahre" und die vertrauensvolle Zusammenarbeit, lobt, dass man "enorm viel" gemeinsam erreicht habe und wendet sich dann der SPD, seiner neuen Koalitionsliebe zu.
Die CDU habe nichts gegen die Grünen, aber mit der SPD gebe es doch viel mehr Gemeinsamkeiten. Nach sieben Minuten aber klingt an, was ihn eigentlich an den Grünen so gestört hat: die vielen Verbote, die Bevormundung. "Wir setzen auf Anreize statt Verbote, die Leute wollen nicht bevormundet werden."
Leichter regieren mit der SPD?
In der CDU hat man aus dem Wahlergebnis herausgelesen, dass vor allem das abgewählt wurde, was sie für grünen Life- und Politik-Style hält: Heizungsgesetz, Genderpolitik, Autofeindlichkeit und der Unwille, die Migration zu begrenzen. Sich weiter an die Grünen zu binden, hieße, in Mithaftung genommen zu werden. Doch die CDU will in Hessen nicht länger von den Bauern beschimpft werden, weil der Naturschutz die Landwirtschaft beeinträchtigt. Sie will im Bundesrat für eine Ausweitung der sicheren Herkunftsstaaten stimmen können, ohne dass die Grünen sie daran hindern. Sie will mehr Videoüberwachung öffentlicher Plätze, ohne über jede einzelne Kamera ermüdende Diskussionen mit dem Koalitionspartner führen zu müssen. Das wird so offen natürlich nicht in der Pressekonferenz gesagt, stattdessen werden die vielen Gemeinsamkeiten mit der SPD hervorgehoben.
Gerade in Nordhessen gelten die Sozialdemokraten als bodenständig und konservativ. Sie sind stark in den Kommunen verankert, stellen viele Bürgermeister und Landräte, können sich für Straßenbau, Förderung des ländlichen Raums und aktive Wirtschaftspolitik begeistern. Eine Koalition mit ihnen ist aus Sicht der CDU ein Signal an die Mitte der Gesellschaft. Welche Handschrift dabei die dominierende sein soll, macht Boris Rhein deutlich. Die CDU sei mit 34,6 Prozent mehr als doppelt so stark wie die SPD mit 15,1 Prozent. Die Wählerinnen und Wähler erwarten eine "klar CDU-geführte Landesregierung".
Punktgewinn für Faeser?
Für die SPD lohnt es sich trotzdem, sich als kleinere Partnerin auf eine solche Koalition einzulassen. Die SPD-Chefin Nancy Faeser begründet das damit, "in der kommenden Wahlperiode sozialdemokratische Positionen in praktische Politik für Hessen zu übersetzen". Dabei führt sie Themen wie Ausbildung und Arbeit, Bildung, Wohnen und Verkehr an. Doch für sie dürfte vor allem wichtig sein, dass sie die SPD nach einem Vierteljahrhundert in der Opposition zurück in die Regierung führen kann. Ein Punktgewinn, nachdem sie als Spitzenkandidatin bei der Landtagswahl das schlechteste Ergebnis erzielte, dass die SPD in Hessen jemals hatte.
Grüne kalt erwischt?
Die Grünen schließlich reagierten bitter auf die bevorstehende Scheidung, sie hatten sie offenbar nicht kommen sehen oder die Vorzeichen nicht wahrhaben wollen. "Schwarz-grün hat Hessen in den vergangenen zehn Jahren erfolgreich, verlässlich und vertrauensvoll regiert. Dieser Kurs kam an, es gab bei der Landtagswahl keine Wechselstimmung…. Welche Not die CDU in die Arme der SPD getrieben hat, ist für uns nicht erkennbar."
Die Worte Rheins, er habe den Grünen auch persönlich viel zu verdanken, müssen in ihren Ohren wie Hohn klingen. Schließlich waren es die Grünen, die aus Koalitionsräson mitten in der Legislaturperiode den Wechsel von Ministerpräsident Bouffier zu seinem Nachfolger erst möglich gemacht haben. Der von ihnen ins Amt Gewählte verstößt sie nun bei erster Gelegenheit.
So hat die hessische Regierungsbildung viel von einem "Scheidungsdrama": Der junge Held sucht sich eine neue Partnerin. Die, froh, noch jemanden abzukriegen, lässt sich auf einen Ehevertrag zu seinen Bedingungen ein. Und die Verlassene versteht nicht, wie ihr geschieht und schwört Rache: "Den künftigen Koalitionären rufen wir schon jetzt zu: Opposition können wir auch."
Rhein setzt auf eigene Zeichen
All das nimmt Ministerpräsident Boris Rhein in Kauf, weil er nebenbei auch noch andere Zeichen setzen kann. Er setzt sich von seinem Vorgänger Volker Bouffier ab, der als Architekt schwarz-grüner Zusammenarbeit gilt. Und er will zeigen, dass es auch ohne die Grünen attraktive Regierungen geben kann. In Berlin wird man den hessischen Flirt von CDU und SPD mit Interesse beobachten – und genau hinschauen, ob aus der jungen Liebe eine stabile Beziehung wird.