Nullrunde beim Bürgergeld Eine Debatte, die die SPD nicht gewinnen kann
Das Bürgergeld soll im kommenden Jahr nicht erhöht werden. Ursprünglich sollte es bei der SPD die Wunden heilen, die die Hartz-Reformen geschlagen hatten. Doch das Thema schadet der Partei.
Der Regen knistert auf dem Schirm von Thomas Wasilewski. Das Wetter ist trist, heute Morgen in Mönchengladbach. Die Laune des Bürgergeldempfängers auch. Heute hat er erfahren: Es wird eine Nullrunde geben, das Bürgergeld wird Anfang des kommenden Jahres nicht erhöht. Wasilewski ist krank, kann wegen seines Herzens nicht mehr regulär voll arbeiten und ist auf Hilfe vom Staat angewiesen.
Dass der Regelsatz nicht steigen wird, hat ihn enttäuscht: "Die Strompreise werden steigen", sagt er. Dann werde er noch mehr Probleme haben, den Strom zu bezahlen. Denn diese Rechnung muss Wasilewski aus dem Regelsatz begleichen. Auch das Deutschlandticket werde wohl teurer, vielleicht werde er das dann nicht mehr bezahlen können.
Beim Einkaufen werde er noch weniger in den Einkaufswagen legen können und sich noch mehr einschränken müssen: "Das heißt, dass man am 23. Tag im Monat pleite ist und nicht weiß, wie man zum Ende des Monats kommt. Das ist das Problem", sagt Wasilewski. "Es war schon in diesem Jahr schwer. Im nächsten Jahr wird es noch schwerer."
Das Thema schadet der SPD
Die Sozialverbände stimmen in die Kritik mit ein. Damit kommt die SPD von zwei Seiten unter Feuer: Die einen fordern, das Bürgergeld müsse steigen. Und auf der anderen Seite brennt eine Debatte, ob das Bürgergeld zu hoch bemessen ist und sich arbeiten noch lohnt. Es ist eine Debatte, bei der die SPD nicht gewinnen kann.
Dabei hatten die Sozialdemokraten beim Bürgergeld viel vor. Es sollte den sozialen Zusammenhalt stärken und denen helfen, die in Not geraten. Es sollte die Wunden heilen, welche die Hartz-Reformen geschlagen hatten, auch in der SPD selbst. Und es sollte den Wählerinnen und Wählern zeigen, dass bei der Partei das Herz weiterhin links schlägt.
Nach etwas mehr als 600 Tagen Bürgergeld lautet das Zwischenfazit: Der Plan schlägt fehl, das Thema schadet der SPD. Nun fragen sich viele Arbeiter, ob die Arbeiterpartei eigentlich noch für sie da ist.
Nach komplizierter Formel berechnet
Und die CDU gießt gerne Öl ins Feuer: "Der Abstand zwischen denen, die verdienen und arbeiten, zu denen, die Bürgergeld empfangen und arbeiten könnten, dieser Abstand ist leider viel zu gering geworden", sagt der stellvertretende Unions-Fraktionsvorsitzende Mathias Middelberg.
Das Bürgergeld sei in den vergangenen zwei Jahren in "zwei riesigen Schritten" um insgesamt mehr als 20 Prozent angehoben worden. "Das ist ein Problem", kritisiert Middelberg. "So viel Lohnerhöhung hat kein anderer Arbeitnehmer in Deutschland bekommen."
Die Diskussion verfolgt die SPD. Das Problem: Die Frage, wie viel Bürgergeld-Empfänger bekommen sollten, beantworten viele aus dem Bauch heraus. Tatsächlich wird das Bürgergeld aber nach einer komplizierten Formel angepasst, die sowohl allgemeine Lohnsteigerungen wie auch die Inflation berücksichtigt. Bei der Berechnung werden teils ein Jahr alte Daten verwendet. Deswegen ist ein zusätzlicher Schritt eingebaut, mit dem die Inflation in der Zwischenzeit und der nahen Zukunft kompensiert werden soll.
Heil wehrt sich gegen Vorwurf der Willkür
Liest man den 16-seitigen Entwurf für die nächste Anpassung des Bürgergelds bis zum Schluss, stellt man fest: Bei dieser komplizierten Rechnung kommt das Arbeits- und Sozialministerium für 2025 auf ein Bürgergeld von 539 Euro für einen Ein-Personen-Haushalt.
Bei der Erhöhung im vergangenen Jahr wurde also anscheinend die Inflation stärker kompensiert, als sie es am Ende war. Da es beim Bürgergeld aber einen Bestandsschutz gibt und eine Kürzung im Gesetz nicht vorgesehen ist, kommt es nun zu einer Nullrunde und bleibt bei den 563 Euro, die vergangenes Jahr festgelegt wurden.
"Wenn die Preise hoch sind, muss das Existenzminimum durch eine Erhöhung gesichert werden, wenn die Preise runtergehen, dann geht es auch mal in Richtung Nullrunde", sagt Arbeitsminister Hubertus Heil. Der SPD-Politiker wehrt sich gegen den Vorwurf der Willkür: "Da wird nicht jedes Jahr gewürfelt, wie sich die Regelsätze erhöhen, sondern es gibt Anforderungen der Verfassung und es gibt einen Anpassungsmechanismus, den der deutsche Bundestag beschlossen hat."
Die Debatte setzt auf Neid und Gefühl
Tatsächlich führt die Regierung bei der Anpassung des Bürgergelds nur Gesetze aus. Aber die politische Diskussion ist natürlich eine andere und setzt auf Neid und Gefühl. Dagegen hat die SPD bisher keine Botschaft gefunden. Die Höhe ist seit jeher umstritten - auch bei Wissenschaftlern.
Sozialwissenschaftler Stefan Sell von der Hochschule Koblenz sieht einen Geburtsfehler beim Bürgergeld. Schon bei der Stichprobe, mit der das Bürgergeld ursprünglich berechnet wurde, gebe es einen Schwachpunkt, sagt er. Die sei zu niedrig gewesen.
"Und an dieser Unwucht ändern ja auch die Erhöhungen nichts", so Sell. "Sie ziehen diesen Fehler mit nach oben." Mit den Erhöhungen selbst werde schlicht ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts umgesetzt. Der Gesetzgeber müsse auf die Inflation zeitnah reagieren und anpassen: "Diese Erhöhungen sind nicht etwas, was man hier generös irgendwie aus dem Hut gezaubert hat, um Bürgergeld-Empfängern etwas Gutes zu tun."
Die Diskussion über das Bürgergeld wird die SPD wohl weiter verfolgen - und das wenige Wochen vor der wichtigen Landtagswahl in Brandenburg, wo die Partei weiter den Ministerpräsidenten stellen will.
Bürgergeld-Empfänger Thomas Wasilewski hat den Glauben an die SPD verloren und will die Nullrunde beim Bürgergeld nicht akzeptieren. Bereits jetzt klagt er vor Gericht für ein höheres Bürgergeld.