Interessenvertretung Wie groß ist der Einfluss der Bauern auf die Politik?
Während viele Landwirte der Politik vorwerfen, sie entscheide über ihre Köpfe hinweg, sehen Wissenschaftler großen Einfluss von Bauernvertretern auf politische Entscheidungen. Widerspruch oder System?
Es klingt auf den ersten Blick wie ein Widerspruch. Viele Landwirte fühlen sich seit Jahren nicht ausreichend gehört. Gleichzeitig sagen Experten, wie der Agrarpolitologe Peter H. Feindt, der Bauernverband und die Bauernschaft insgesamt haben einen großen Einfluss auf die Politik. Wie passt das zusammen?
Feindt forscht an der Humboldt-Universität in Berlin zur Agrar- und Ernährungspolitik und hat sich in mehreren Studien angeschaut, wie Reformen zum Tier- oder Umweltschutz politisch angegangen wurden - was für Ziele und Ideen am Anfang standen und was am Ende herauskam.
Immer, wenn der Bauernverband ein Vorhaben unterstützt hat, ist es nach Einschätzung von Feindt vorangegangen - und wenn der Bauernverband skeptisch gewesen ist, dann nicht. "Das politische Ergebnis ist oft sehr nah dran an der Position, die der Bauernverband vorher bezogen hat." Sprich, die Bauernschaft konnte ihre Interessen in diesen Reformprozessen gut durchsetzen, so Feindts Studien.
Als Beispiel nennt Peter Feindt einen Vorschlag der EU von 2013. Sie wollte der Natur mehr Raum geben und deshalb sogenannte ökologische Vorrangflächen einrichten. Auf denen sollten die Landwirte nur noch sehr eingeschränkt anbauen dürfen. Am Ende kamen deutlich abgeschwächte Regeln raus, Landwirte konnten eine Zeitlang zum Beispiel dort auch noch Pflanzenschutzmittel einsetzen.
Bauernverband mit viel Einfluss
Aus Sicht des Agrarexperten ist der Deutsche Bauernverband "nach wie vor eine der einflussreichsten Interessenorganisationen" in Deutschland. Das Gefühl der Bäuerinnen und Bauern aber ist ein ganz anderes. Das liegt aus Sicht von Feindt daran, dass "die Bauern sich als machtlos erfahren, weil sie das schwächste Glied in der Kette sind". Sie fühlen sich zerrieben, zwischen einerseits starken Dünge- und Pflanzenschutzfirmen, die Preise ihrer Produkte diktieren, und mächtigen Handelsverbänden andererseits, die die Lebensmittelpreise drücken.
Außerdem gebe es durchaus mehr bürokratische Lasten, die Mehrarbeit und Kosten verursachen. Die Landwirte könnten das aber nicht in höhere Preise für ihre Produkte ummünzen, sagt der Agrarwissenschaftler.
Richtungswechsel in der Agrarpolitik
Seit zehn bis 20 Jahren gibt es einen Richtungswechsel in der Agrarpolitik - hin zu einem stärkeren Fokus auf Tier- und Umweltschutzthemen. Auch befeuert durch die einflussreicher werdenden Stimmen von Natur- und Tierschützern. Gleichzeitig liefert die Wissenschaft neue Erkenntnisse zum Beispiel zum Artenschwund.
Die Landwirte stehen unter Druck, nachhaltiger zu wirtschaften. Also mehr Klima-, Umwelt- und Tierschutz, sagt der Agrarwissenschaftler Alfons Balmann bei NDR Info. Gleichzeitig verändern sich die Rahmenbedingungen in der Landwirtschaft, unter anderem durch die Digitalisierung und den demographischen Wandel. Die Politik schafft es aus Sicht Balmanns nicht, die eigentlichen Probleme anzusprechen, was zu Orientierungslosigkeit führt. Die Politik gibt den Bauern keine Planungssicherheit.
Aber auch der Bauernverband hat nach Einschätzung von Experten lange wenig Perspektiven entwickelt. Die Landwirtschaft hat "bei allen Problemen immer versucht zu blockieren, Veränderungen möglichst in die Länge zu ziehen", statt Lösungen zu entwickeln, sagt Balmann.
Landwirte in den Parlamenten
Und sie hatte damit durchaus Erfolg im Ringen um politische Reformen. Woher dieser Einfluss kommt, das hat Guido Nischwitz vom Institut Arbeit und Wirtschaft der Universität Bremen erforscht, unter anderem mit einer Studie im Auftrag des Naturschutzbundes Deutschland. Ein Punkt ist, dass überdurchschnittlich viele Landwirte direkt in den Parlamenten sitzen. Teils sind sie gleichzeitig auch im Bauernverband aktiv, haben also mehrere Funktionen und Posten inne.
In Schleswig-Holstein ist der Präsident des Bauernverbands, Werner Schwarz (CDU) gerade auf den Posten des Landwirtschaftsministers gewechselt. Im letzten Bundestag war der Abgeordnete Johannes Röring eine Zeitlang gleichzeitig auch Präsident des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbands.
Im Bundestag, im EU-Parlament und den Landtagen finden sich dann in den entsprechenden Ausschüssen viele Landwirte wegen ihrer Expertise. Sie "bestimmen dann maßgeblich die Politik, die sie dann sehr eng mit ihren Verbänden abstimmen", sagt Guido Nischwitz. Ihr Vorteil sei, "mittendrin im Prozess zu sitzen und die Entscheidungen da sehr stark zu beeinflussen".
Bauernverband tief verwurzelt in Deutschland
Diese Vernetzung hat auch historische Gründe. Der Bauernverband ist tief verwurzelt im ländlichen Raum, mit vielen Orts- und Kreisverbänden. Außerdem engagieren sich viele Landwirte in ihren Gemeinden, sind in Vereinen aktiv, helfen bei den Dorffesten und sind dann oft auch im Gemeinderat und in Parteien - viele bei CDU und CSU, aber auch bei den Grünen und anderen Parteien.